Frauen - willige Opfer der Medizin?
Früherkennung, Hormone, Geburtsmedizin auf dem Prüfstand kritischer Wissenschaft
- Wege zu einer zeitgemässen Praxis


Autor: Karl W. Kratky
Keywords: Frauenheilkunde, evidence based medizine, klinische Forschung, Medizinkritik, Patienteninformation, Evaluation, Moderne Medizin, Physik
Abstract:
Copyright: Texte: Stiftung PARACELSUS HEUTE
HTML-Gestaltung:  Bernhard Harrer Wissenstransfer

Autoren
Begrüßungen
Die alternde Frau
Die schwarze Madonna/Theater
Die schwangere Frau
Die krebsgefährdete Frau
Moderne Medizin
 

Dr. Johannes G. Schmidt,
Was ist Behandlungsnutzen? - Cholesterin oder vom 1. zum 2. Wissenschaftlichen Einsiedler Symposium
Nora Jacobson,
Die weibliche Brust - Schönheits-Operationen als medizinische Normierung und Perfektionierung des Frauenkörpers
Prof. Karl W. Kratky,
In welchem Sinn ist die moderne Medizin eine Naturwissenschaft? - <<Weiblich-Chaotisches>> in der modernen Physik
Prof. Alvan R. Feinstein,
Krankheitserscheinungen am intakten Menschen - Was für eine Nosologie der Krankheitseinteilung brauchen wir?
Prof. Barbara Katz Rothman,
Entstehung von Leben unter Geburtsschmerzen - Sind Frauen Opfer ohne Wahl?
 Jon Rudolf Boner,
Wir meinen, es müsse einen Grund geben, weshalb wir krank oder gesund sind und weshalb diese Krankheit bösartig und jene gutartig verläuft. Wenn wir sehen, wie sich Ursache nach Ursache finden und sich der letztendliche Grund nie festmachen lässt, können wir unser Leben als Geheimnis akzeptieren und so in einem ursprünglichen Bewusstsein Klarheit für viele Fragen finden.


Die moderne Medizin eine Naturwissenschaft? - "Weiblich-Chaotisches" in der modernen Physik

Prof. Karl W. Kratky
Institut für Experimentalphysik, Universität Wien/Österreich

In meinem Vortrag wird es auch um Sprache und Missverständnisse gehen. «Weiblich-Chaotisches» im Untertitel könnte z.B. ein solches Missverständnis sein. Das Weibliche - und das schliesst dann auch an die Frauenbild-Diskussion an - wird als «Chaos» charakterisiert. Ich bin zwar Chaosforscher, und nicht Frauenforscher. Aber es scheint mir doch, dass es sehr viel damit zu tun hat. Und überhaupt werden Sie bei meinem Vortrag einiges hören, was Sie dann hintenherum anders interpretiert bekommen. Seien Sie also auf einiges gefasst.
 

Welche «Naturwissenschaft»?

Fangen wir doch zuerst einmal mit dem Hauptitel an. Es geht hier also um Naturwissenschaft, um Medizin. Die Frage ist nun, welche Naturwissenschaft ist gemeint? Es gibt nicht nur eine Naturwissenschaft. Und welche Medizin ist gemeint? Es gibt nicht nur eine Medizin. Das wissen Sie noch viel besser als ich.

Beginnen wir mit der Medizin. Der Begriff Schulmedizin ist auch nicht übersetzbar mit school medicine, sondern mit conventional oder wie immer Sie das auf englisch hören. Im Deutschen soll also der Ausdruck Schulmedizin etwas Kanonisiertes, etwas Anerkanntes, das man an der Universität hört, etwas Naturwissenschaftliches bedeuten, was immer das jetzt sein mag. Etwas aber, das mit Ursache und Wirkung zu tun hat, wo man etwas erklären, etwas voraussagen kann.

Das wird von anderen Richtungen nicht unbedingt so gehandhabt. Diese anderen Richtungen haben verschiedene Namen. Z.B. Alternativmedizin, Komplementärmedizin, Erfahrungsheilkunde, was besonders kurios ist, weil es sich nicht im Gegensatz zur Naturwissenschaft befindet. Es heisst ja auch empirische Naturwissenschaft und sollte also auch etwas mit Erfahrung zu tun haben. Der Grund, warum es diese Unterschiede in der Medizin gibt, liegt teilweise auch in den verschiedenen Kulturkreisen begründet. Die Akupunktur, TCM, kommt aus dem Chinesischen Raum und bedeutet traditionelle chinesische Medizin. Da kommt man dann sofort in ein Dilemma, weil das in China ja eine Art Schulmedizin ist. Conventional medicine wäre also dort eigentlich genau diese TCM, die Akupunktur. Oder Ayurveda in Indien: Was bei uns so exotisch klingt wie Ayurveda, ist dort möglicherweise immer noch oder schon wieder Standard.

Man tut sich daher ein bisschen schwer mit der Kategorisierung. Wenn man jetzt wirklich auf verschiedenen Weltbildern basiert und sagt, dass hinter diesen verschiedenen Richtungen in Europa, auch der Homöopathie, ein anderes Weltbild steht, stellt sich die Frage, ob das überhaupt integriert werden kann. Bei uns in Österreich heisst es zum Beispiel «Die Akupunktur ist jetzt anerkannt». Was heisst das? Die Antwort ist relativ einfach. Es bedeutet, dass gewisse Techniken, die in der Akupunktur Platz haben, irgendwo reproduzierbare Erfolge liefern, und dass das daher auch gelehrt werden darf. Die Frage ist nur, wie das jetzt zu dem anderen Weltbild passt? Die alternativmedizinischen Richtungen haben ein Dilemma. Deswegen gibt es in einigen Ländern auch meistens zwei Homöopathie- und zwei Akupunktur-Gesellschaften. Die Traditionalisten sagen: «Wir lassen uns unser Weltbild nicht nehmen. Zur Akupunktur gehört eben das Denken in fünf Elementen» usw. Andere sagen: «Es kommt ja nur auf den Erfolg an, auf die Technik.» Auch diese Diskussion erzeugt viele Fronten. Die einen schimpfen oder werfen den andern vor: «Ihr degeneriert ja zu reinen Technikern. Ihr macht ja nur die Technik.» Die andern sagen: «Ihr werft diesen philosophischen Ballast, der gar nicht in die heutige Zeit passt, nicht weg.» Ich vermute - und das ist meine persönliche Ansicht, die nicht als Gegnerschaft zur Homöopathie anzusehen ist -, dass die Akupunkteure früher dran waren im Anerkanntwerden, als die Homöopathen, weil die Akupunkteure weniger Traditionalisten haben als die Homöopathen. Solche gesellschaftspolitischen Nebenbedingungen spielen also ebenfalls eine Rolle dabei, was man so anerkennt und was man noch nicht anerkennt.

Eine Integration in dem Sinne, dass es in unser westliches Weltbild integriert werden kann, ist wohl tatsächlich nur dann möglich, wenn man auf diesen philosophischen Unterbau sozusagen des Welt- und Menschenbildes zumindest zum Grossteil verzichtet. Auf Akupunktur wird auch immer wieder angesprochen, weil es modern ist und man bei uns, von der europäischen Richtungen her, relativ wenig derartige Heilmethoden kennt. Es ist, wie zum Beispiel auch Ayurveda, irgendwie eine exotische Richtung, und es ist sehr anziehend. Man beschäftigt sich ja oft mit Dingen, die weit weg sind und schätzt die Dinge, die im eigenen Land oder Kontinent geboren wurden, weniger.

Wie ist das nun mit der Naturwissenschaft? Da ist es für Sie vielleicht verblüffender, dass es verschiedene Richtungen gibt, z.B. die Physik, die Chemie und die Biologie. Und die streiten sich auch. Das meine ich aber nicht. Ich möchte es verschärfen und sagen, dass es in der Physik so etwas gibt wie verschiedene Schulen. Und das ist ein interessanter Punkt. Es hängt irgendwie damit zusammen, dass sich die Forderungen an die Naturwissenschaft verändert haben. Wie war das früher? Da sagte man, Vorhersagbarkeit ist notwendig oder wichtig, also die Reproduzierbarkeit der Ergebnisse eines Experiments. Das war sozusagen der Stand des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Und das war nur deshalb möglich, weil sich die Physik auf sehr einfache Systeme beschränkt hat. Und anstatt dass die Biologen und Mediziner gesagt haben, «Ja, das ist uns zu einfach, wir geben das nicht so billig,» haben sie es den Physikern nachgemacht und haben gesagt, «Wir wollen das auch können, reproduzierbar, vorhersagen» usw. Und dieser Weg hat meiner Ansicht nach teilweise in die Irre geführt. Ich würde eher sagen, dass sich die Physik eben ganz einfach mit relativ einfachen Systemen befasst und daher über viele medizinische Fragen keine Aussagen machen kann.
 

Neuerungen in der Physik - Ordung im Zufall und Zufall in der Ordnung

Was hat sich nun im 20. Jahrhundert getan? Tabelle 1 zeigt: Die Jahre 1905 und 1915 waren durch einen Mann, nämlich Einstein, gekennzeichnet. Einstein hat der Reihe nach verschiedene Formen der Relativitätstheorie entwickelt. Sie beschäftigt sich mit grossen Räumen, mit der Astrophysik. Mit etwas, was den Menschen normalerweise eher weniger direkt betrifft. Ich habe das mit dem Stichwort Makro bezeichnet. 1925 wurde dann die Quantenmechanik entwickelt. Da gab es gleichzeitig schon mehrere Erfinder oder Entdecker. Die Quantenmechanik hat sich wieder mit der Atomphysik, mit dem Mikrokosmos beschäftigt. Und dann ca. 1975 - Sie sehen schon die Unsicherheit - gabs weder einen noch wenige Entdecker. Sondern es ist plötzlich aus allen Gebieten, nicht nur der Physik, hervorgebrochen. Erste Anzeichen gab es bereits 1963, was dann aber wieder vergessen wurde. Aber um ca. 1975 hat es dann wild eingesetzt. Die Chaosforschung, die ich lieber mit dem Verhalten komplexer dynamischer Systeme umschreiben möchte. Also die nicht ganz einfachen Systeme, wie vorher in der Physik, sondern wirklich komplexere Systeme. Und das betrifft auch den Menschen. Alles ist teilweise wirklich mesoskopisch, also im mittleren Bereich oder z.B. im Meterbereich. Es geht weder um Lichtjahre noch um Millimeterbruchteile, sondern um den Meterbereich, ein für uns näherliegendes Gebiet.

Interessant ist, dass alle drei Bereiche grosse Neuerungen sind. Jede ist auf ihre Art sehr wichtig, jede hat sich vielfach bestätigt. Die Quantenmechanik hat sich leider - wie für viele Physiker auch für mich leider - immer wieder bestätigt. Keiner will sie. Sie ist so abstrus. Bevor man an die Quantenmechanik glaubt, ist die Astrologie noch leichter zu glauben. Und dann hängt es auch noch miteinander zusammen. Aber davon sage ich jetzt nichts.

Da kommt also das Bewusstsein, das die Welt erzeugt. Die wildesten Interpretationen über die Quantenmechanik entstehen. Aber sie hat einen Nachteil. Sie ist ein Kochrezept. Wenn ich das Experiment durchführe, kann das und das rauskommen. Aber es ist, zumindest in der gängigen Schuldeutung der Quantenmechanik verboten, dahinter zu fragen. Würde wohl auch etwas passieren, wenn ich nicht schaue? Gibt es den Mond, wenn ich nicht hinschaue? Das war übrigens ein seriöser Artikel in einer seriösen Zeitschrift, im Stile der Quantenmechanik geschrieben. In der Physik tauchen also plötzlich alte philosophische Fragen auf. Und das will man eigentlich nicht. Man will weder nicht fragen, noch will man komische Fragen stellen. Man will etwas Handfestes haben. Und das hat schon dem Herrn Einstein nicht gefallen, und die beiden Richtungen haben deshalb sehr wilde Sträusse ausgefochten.

Beide Theorien sind heute unwiderlegt. Aber sie passen nicht zusammen. Wahrscheinlich stimmen beide nicht. Aber es ist so, dass es besonders peinlich wurde, als die Chaosforschung dazu kam, die nämlich auch im Widerspruch zur Quantenmechnik steht. Es gibt also streng genommen kein Chaos, und die ganze Chaosforschung könnte einpacken. Jedenfalls könnte sie den Betrieb einstellen, wenn die Quantenmechanik wirklich hundertprozentig recht hätte. Trotzdem ist sie in der Physik interessanterweise erlaubt. Es gibt Lehrstühle, und man kann Vorlesungen über alle drei Theorien an einer Universität hören, ohne dass sie sich gegenseitig irgendwie schlecht machen. Das ist ein äusserst interessantes Phänomen. Und so was gibt es in der Physik!

Und jetzt möchte ich nur einen kuriosen Hinweis in Bezug auf die Quantenmechnik geben, nämlich die Frage, was der Urgrund aller Erscheinungen ist. Der Urgrund aller Erscheinungen in der Quantenmechanik ist der Zufall. Eigentlich entsteht alles aus einer zufälligen Ursuppe oder aus einem zufälligen Urgrund. Da können dann aber geordnete Dinge entstehen. Werfen Sie z.B. ein paar Würfel auf und nehmen Sie an, dass dies ein Zufallsprozess ist. Wenn Sie oft genug würfeln, können Sie trotzdem vorhersagen, dass etwa gleich oft jede der sechs Seiten herauskommt. Aus Zufallsprozessen können also durchaus, wenn Sie es sozusagen gut managen, vorhersagbare Prozesse entstehen.

Die Chaosforschung geht genau umgekehrt vor. Es gibt überhaupt keinen Zufall. Daher heisst es auch oft deterministisches Chaos. Und trotzdem kommt letztlich, und deswegen heisst es ja Chaos, alles so raus, als ob es zufällig wäre. Also zwei kuriose Theorien. Die eine baut auf dem Zufall auf, weil eigentlich dann die Ordnung herauskommt. Die andere fusst auf der Ordnung, und eigentlich kommt der Zufall heraus. Solche Dinge werden ja derzeit entwickelt.

Und Sie werden gleich sehen, was das alles miteinander zu tun hat. Zum Beispiel Kausalität, also Determinismus. Es ist im Prinzip alles vorhergegeben. Aber wenn es chaotische Prozesse gibt, sind sie extrem empfindlich auf kleine Störungen. Dass es so etwas und warum es so etwas überhaupt gibt, darüber werden wir gleich noch reden. Nehmen wir beispielsweise das Wetter. Früher glaubte man, dass das vielleicht deswegen so schwer vorhersagbar ist, weil die Meteorologen nicht richtig studiert haben oder weil noch nicht genug Satelliten da sind oder irgend so etwas. Oder weil es so viele Luftmoleküle gibt. Wenn es viel weniger gäbe, wäre es vielleicht leichter vorhersagbar. Die Antwort der Chaosforschung ist: Das macht nichts. Es würden streng genommen sogar drei Luftmoleküle genügen, und man könnte nichts vorhersagen. Also es kommt gar nicht darauf an, sondern auf diese extreme Empfindlichkeit, auf die Sensibilität auf ganz kleine Störungen.

Nehmen Sie den sog. Schmetterlingseffekt, die Vorstellung, dass beispielsweise in Mittelamerika ein Tornado entstehen könnte. Und es kommt jetzt darauf an, ob in Europa in demselben Moment irgendwo ein Schmetterrling schlägt oder nicht und auch, wie er schlägt. Das System insgesamt, das Wettersystem wäre so instabil, dass der arme Schmetterling, der gar nicht weiss, welche Verantwortung er hat, aufgrund dieses Schlagens oder nicht Schlagens diesen Tornado auslöst oder ihn vielleicht sogar verhindert. Das heisst, die Kausalität ist nicht gestört. Der Schmetterling bestimmt das Schlagen, daher bestimmt er den Tornado. Aber irgendwo könnte ein anderer Schmetterling sein, der von dem ersten nichts weiss und der das wieder ausgleicht. Das heisst also, da alles eine Ursache sein kann, ist nichts eine Ursache. Die Verantwortung ist ja fast unmöglich. (Wenn ich mir vorstelle, dass wenn ich jetzt langsamer oder schneller spreche, ich damit über irgendwelche Luftschwingungen auch einen Tornado auslösen könnte... Also ich trau mich, ich trau mich nicht mehr reden! Aber vielleicht ist gerade das schädlich, nicht zu reden...!).

Pointiert formuliert bedeutet das: Indem die Kausalität ganz extrem ernstgenommen wird, wird sie ad absurdum geführt. Und ich kann eigentlich nichts mehr vorhersagen, obwohl eigentlich für den Zufall zunächst kein Platz ist. Und diese Widersprüche zwischen den verschiedenen Richtungen, die paradoxen Aussagen oder Auswirkungen der Quantenmechanik, aber auch der Chaosforschung sind doch interessante Aspekte.

Ich möchte jetzt nochmals auf die Sprache zurückkommen, bevor wir hier weitergehen können. Und zwar ist der Ausdruck Chaostheorie, Chaosforschung ein mehrfaches Missverständnis. Und da komme ich jetzt auch ein bisschen zum weiblichen Chaos. Erstens ist es keine Theorie. Ich habe ganz bewusst das Wort Forschung verwendet. Es ist noch ein zu junges Gebiet, und man hat keine abgeschlossene Theorie. Und deswegen ist es für mich auch besonders spannend, weil man sozusagen nicht weiss, was nächstes Jahr wieder kommt.

Zweitens hat es mich Chaos im üblichen Sinne nichts zu tun. Also Regellosigkeit? Es ist im Gegenteil die perfekte Regelhaftigkeit. Nur habe ich sozusagen nichts davon. Wenn ich mich zum Beispiel im Kinderzimmer ärgere, weil dort oft ein Chaos herrscht, ist es vielleicht für die Logik des Kindes völlig regelhaft. Man kann vielleicht sogar erklären, warum es so ist und woran es liegt. Es ist also durchaus vielleicht nicht gar so anders als das physikalische Chaos.

Und das dritte Missverständnis ist, dass Chaos nur für einen viel grösseren Begriff steht, nämlich das Verstehen von komplexen Systemen. Chaos ist nur ein kleiner Teil davon. Weil aber Chaos so schön ist - und das ist wieder ein interessanter Begriff, weil er so schön negativ ist - und sich sogar die Physik mit so etwas beschäftigt, ist es gerade aufgrund dieses Begriffs so populär geworden. Es wurden Bestseller geschrieben, die es vielleicht nie geworden wären, wenn man für dieses Gebiet einen wissenschaftlicheren Ausdruck gewählt hätte. In diesem Sinne ist das Missverständnis vielleicht sogar oder ziemlich sicher von den Physikern provoziert worden.
 

Die Regel ist das Komplexe, nicht Vorhersagbare

Aber was heisst komplex? Worauf kommt es an? Und warum beschäftigt man sich erst jetzt, also seit ca. den siebziger Jahren genauer damit? Die Antwort ist ganz einfach. Man kann in der Physik fast nichts ausrechnen. Es gibt zwar schöne Gleichungen, auch die Einstein-Gleichungen und die Quanten-Mechanik sind wunderschöne Gleichungen, aber man kann praktisch nichts exakt damit tun. Und das ist sehr wenig. Nähern kann man natürlich, spekulieren, aber mit Papier und Bleistift wirklich nachrechnen kann man nicht. Und seit es den Computer gibt, braucht man Papier und Bleistift nicht mehr. Denn der Computer kann auch Dinge, die man eigentlich nicht exakt lösen kann, in sehr guter oder beliebig guter Näherung lösen. Und jetzt entstehen ganz neue Dinge, z.B. eben chaotische Prozesse. Das hat man früher nie geglaubt. Früher hat man die Gleichungen genähert und hat nie so etwas herausbekommen. Man hat sich in der Schule und auf der Universität immer nur mit solchen Prozessen auseinandergesetzt, die man ausrechnen kann, und hat sich so auf einen ganz kleinen Teil der Welt eingeengt. Es ist so ungefähr auch der Teil der Welt der Physik des 19. Jahrhunderts. Der Computer hat hier also sehr weitreichende Erfolge gezeitigt.

Und jetzt möchte ich schlagwortartig, in Bildern und ohne Formeln zeigen, worauf es ankommt. Wann kann ich eine Überraschung erleben? Abbildung 1: Wann ist es nicht so einfach wie in der früheren Physik? Dazu sind zwei Zutaten notwendig. Das eine ist, das System muss so vernetzt sein - Sie können da immer an den Körper im menschlichen Organismus denken -, dass es zumindest eine Rückkopplungsschleife gibt. In diesem ganzen Netz muss also zumindest irgendwo einmal etwas zurückführen. Symbolisch ist das hier durch einen Kreis dargestellt. Sie können schon ahnen, dass das Probleme mit Ursache und Wirkung gibt, weil das irgendwo auch Zirkelschlüsse in der Interpretation zulässt. Es ist nicht so logisch. Das wollen wir nicht.

Gehen wir zum nächsten, die Linearität. Was heisst Linearität? Ursache - Wirkung, eine Gerade. Doppelt so viele Medikamente, doppelt so gesund, wäre zum Beispiel so eine Haltung. Das stimmt vielleicht zunächst, wenn Sie wenig Medikamente geben. Je mehr Sie aber geben, wird es immer einmal wieder umknicken, und der Patient wird wieder kränker werden. Jedenfalls bezeichnet man die Abweichung von einer Geraden als Nichtlinearität. Man kann natürlich jetzt sagen, wenn ich nur in diesem Bereich bin, kann ich ja gut etwas nähern. Mathematisch bedeutet das, dass ich lineare Gleichungen immer ausrechnen kann. Nichtlineare Gleichungen kann ich fast nie ausrechnen. Daher hat man immer, wenn man irgendwo ein Problem hatte und sich z.B. für diesen Bereich interessiert hat, die Tangente bzw. die Gerade durchgezeichnet und hat es mit der gerechnet. Und man ist dann nie auf die spannenden Verhältnisse gekommen, die eben komplexere Systeme auszeichnen.

Eine wichtige Folgerung davon ist, dass wenn es also Nichtlinearität und Rückkopplung gibt, die Wirkungen nicht mehr additiv sind. Das heisst, ich gebe Medikament A, und ich gebe Medikament B, und die beiden wirken so zusammen. Wenn also jemand zwei Krankheiten hat, gebe ich ihm Medikamente für beide Krankheiten, und dann werden die beiden Krankheiten geheilt. Das stimmt nicht! Bei Nichtlinearität gibt es immer noch einen Zusatz Termenwechsel, Wirkungsterm. Die Annahme, dass wenn man gleichzeitig verschiedene Pillen für verschiedene Krankheiten nimmt und es schon passen wird, beruht also auf dieser Hypothese der Linearität. In der Chaosforschung spielt diese Linearität kaum mehr eine Rolle oder nur noch als kurioser Sonderfall.

Man kann das Argument jetzt in gewisser Hinsicht auch umdrehen. Wenn die Medizin also schon unbedingt die Physik als Vorbild haben möchte, könnte sie es ja jetzt so machen. Wenn sogar die Physik, die sich doch immer noch mit relativ einfachen Systemen beschäftigt, so grosse Probleme mit der Vorhersagbarkeit hat und Chaos usw. findet, um wieviel schlimmer muss es dann erst in der Biologie und in der Medizin sein! Falls es überhaupt noch schlimmer sein kann. Das ist ja hier schon schlimm genug. Und wenn man sich hier das Vorbild nimmt, könnte man vielleicht durch ein Umdrehen der Argumentation doch zu anderen Schlüssen kommen.
 

Video: Demonstration chaotischer Ordnung

Wir schauen uns jetzt ein Video an. Dazu möchte ich einleitend ein paar Erklärungen geben. Das Video ist tonlos. D.h. Sie lassen das, was Sie sehen - ob Sie es nun glauben oder nicht - völlig auf sich einwirken, um einen Eindruck zu gewinnen. Der Grundgedanke dieses Videos ist: Was wollen wir in der Technik? In der
Technik wollen wir kein Chaos. Wir wollen nichts Kompliziertes, wir wollen nichts Komplexes, wir wollen alles vorhersagbar. Wenn wir eine Videoaufnahme machen, dann wollen wir wissen, dass das richtige, sozusagen wahre Bild auch wirklich in den Kasten hineinkommt. Möglichst unverfälscht. Und unverfälscht und ohne Fehler heisst normalerweise linear. Wenn das Bild doppelt so hell ist, dann soll es auch doppelt so hell abgebildet werden auf der Videokassette zum Beispiel. Oder wenn eine Stelle heller ist als die andere, soll es dann auf dem Bild genau um das heller sein. Das heisst, Linearität kann und wird oft mit Perfektion gleichgesetzt. Eine perfekte Kamera ist also sozusagen in dem Sinne perfekt linear. Rückkopplung gibt es auch keine, weil hier sozusagen die Aufnahme reinkommt, und da schauen wir es uns am Monitor an. Es ist nur in eine Richtung.

Man kann nun die Hypothese aufstellen, dass nichts perfekt ist, auch die Kamera nicht. Wenn man eine Rückkopplung einbaut, müssten sich die Fehler ja aufschaukeln. Es fragt sich nur, was dabei entsteht. Das ist die sogenannte Video-Rückkopplung. Die Kamera nimmt sich selber auf bzw. den Monitor, auf dem das Bild der Kamera zu sehen ist. Ich habe hier eine Rückkopplung eingebaut, und wenn die Kamera perfekt ist, nimmt sie genau ihr Bild auf, und das Bild ändert sich. Wenn aber Fehler auftreten, kommt ein komplexes Verhalten heraus. Sie werden den Eindruck haben, dass die Bilder ein Eigenleben entwickeln. Aus nichts, sozusagen ein Phänomen der Selbstorganisation, entstehen sehr schöne Bilder. Als Anfänger werden Sie zuerst einen verwaschenen Kreis bekommen. Da sagt man sich dann, dass das halt ein Fehler ist. Dann habe ich die Kamera ungefähr 1 bis 2 Millimeter verschoben, sie ist ja extrem sensibel. Sie werden das nur ein paar Sekunden sehen. Dann gibt es plötzlich ein Muster, das sich dreht. Aber da bleibt alles fix. Die Anordnung steht völlig fest, nur das Muster am Monitor dreht sich. Ich habe dann versucht, «therapeutisch» - im Analogieschluss jetzt - mit meiner Hand in das Muster einzugreifen. Sie werden sehen, was dann mit dem Muster passiert ist und was danach passiert ist, als ich mit der Hand wieder wegging. Das hat mich dann aber auch wieder gelangweilt, und ich habe noch einmal eine etwas andere Einstellung genommen. Da ist wieder etwas anderes herausgekommen.

Ich habe das mit der Hand gezündet. --- Sie sehen jetzt eine Rotation. Jetzt entsteht das gleiche Muster, und es bewegt sich im Kreise. --- Dann habe ich versucht, was sich da tut. Es ist gegen Störungen stabil. --- Da meine Fingernägel etwas heller sind, entstehen diese Lichterscheinungen, weil es durch den Rückkopplungskreis aufgeschaukelt wird. --- Jetzt war es fast weg, ausgelöscht. Und es kommt wieder, bildet sich wieder auf. Was passiert, wenn ich drin bleibe? Das Muster bleibt stehen, bewegt sich nicht mehr, aber es bleibt. --- So. Die Therapie war nicht erfolgreich. Es geht wieder so weiter wie vorher.

Ich habe dann ein bisschen anders eingestellt. Jetzt hat man das Gefühl, dass aus dem Nichts dieses Pulsieren entsteht und wieder verschwindet. Darüber liesse sich meditieren, nachdenken. Jeder kann seine eigenen Schlüsse ziehen. Es ist auf jeden Fall eine interessante Erfahrung. (Sie können dieses Experiment, falls Sie eine Kamera haben und diese mit einem Kabel mit dem Monitor verbinden, ebenfalls machen. Unter Umständen müssen Sie eine halbe Stunde lang ausprobieren, bis etwas Schönes herauskommt. Aber es lohnt sich! Wenn Ihre Anlage dabei kaputt geht, weil es ihr zu hell wird,
übernehme ich allerdings keine Verantwortung...!).

Ich möchte nun nur ganz kurz etwas zeigen. Das Wetter war nicht nur die Ursache unserer chaotischen Betrachtung, sondern auch die Ursache für die Entdeckung dieses Chaos bzw. den Vorläufer durch den Meteorologen Lorenz im Jahre 1963. Er hat das Phänomen studiert, dass sich manchmal eine Art Luftrollen, also Wolkenformationen oder Wolkenstrassen bilden. Dazu hat er Gleichungen aufgestellt und hat dann durch Zufall entdeckt, dass diese Gleichungen chaotischen Lösungen ergeben. Ich will die Gleichungen gar nicht interpretieren. Sie sehen nur Folgendes: Es sind drei Grössen, drei Variablen, die in einer Art Rückkopplungsschleife miteinander verbunden sind. Es hängt also jede direkt oder indirekt von allen anderen, in unserem Beispiel von den zwei anderen ab. Nichtlinear heisst, dass hier Produkte auftreten. Es entstehen also nicht nur gerade Stücke. Das Entscheidende ist aber, dass es nur drei Gleichungen sind. Es sind nicht Millionen von Teilchen, die es unübersichtlich machen würden. Man kann die Gleichungen des Mathematikers sehr leicht verstehen und würde normalerweise nie vemuten, dass da irgend etwas Geheimnisvolles dahinter steckt. Das war also dieser Vorläufer im Jahre 1963. Zum ersten Mal kam auf einem Computer etwas Chaotisches heraus.

Und was dabei resultiert, möchte ich so darstellen: Wenn in einer Periode, d.h. im Laufe der Zeit etwas periodisch schwankt - z.B. eine Grösse x oder auch eine Grösse y, die ähnlich schwankt -, dann entsteht so etwas. Wenn Sie die Zeit sozusagen weglassen und x gegen y auftragen, entsteht z.B. diese Elipse. Also das ist die Bewegung. Wenn Sie das nun auf die x-Achse, hier V1, projizieren, entsteht diese Bewegung. Es gibt also zwei verschiedene Darstellungen desselben Prozesses. Eine Rollenbewegung beispielsweise geht entweder in die eine oder in die andere Richtung. Und Chaos entsteht dann, wenn das einmal so und einmal so geht, wie ein Roulette-Rad. Wenn Sie nun erraten, wie oft es sich nach links und wie oft nach rechts dreht und das dann in der Zeit darstellen, kommt so etwas heraus. Es springt also einmal um die eine Drehrichtung da oben, und dann springt es auf die andere, usw. Wenn Sie es jetzt mit x gegen y darstellen, kommt so etwas heraus. Und wenn Sie es mit x, y, z darstellen, entsteht ein ziemlich komisches Gebilde, das man seltsamer Attraktor nennt. Der Name ist schon sehr seltsam, und ich möchte ihn gar nicht erklären. Es entstehen also solche geometrischen Gebilde.

Etwas möchte ich noch betonen, das andere müssen Sie nicht unbedingt verstehen: Wenn Sie dieses Bild sehen, haben Sie den Eindruck, dass Sie gar nichts wissen. Sie können überhaupt nicht sagen, wie oft es da oben ist, bis es unten ist und umgekehrt. Wenn Sie aber dieses Bild sehen, sagen Sie nur: Ich weiss alles! Das System ist immer auf diesem Attraktor. Immer! Ich weiss zwar nicht, ob es dahin oder dorthin geht, aber es ist insgesamt auf dem gleichen Gebilde. Und so hängt es also davon ab, ob Sie etwas als chaotisch anerkennen oder nicht. Hier würden Sie es als sehr geordnete Struktur bezeichnen. Chaos ist daher Chaos mit Methode. Andere Attraktoren können auch so aussehen, wenn sie auf zwei Dimensionen projiziert werden: Füllhörner, Pleitegeier oder was auch immer...

Wir sehen hier sozusagen Chaos und Ordnung oder Periodizität auf einem Oszilloskop. Das war ein Vorführungsexperiment aus einer Vorlesung. Das ist ein elektronischer Schaltkreis, wovon ein Element nicht linear ist. Die Stromspannungskennlinie ist also keine Gerade. Ich drehe nun an einem Knopf. Das ist ein Widerstand, den ich regeln kann. Das System ist also immer dasselbe, und ich drehe jetzt nur an einem Knopf und gehe da hinein und auch hindurch, durch grössere und kleinere Werte. Aber immer in einer Richtung. Und wir werden sehen, dass sich abwechselnd Chaos und Ordnung herausbildet. Jetzt wird's chaotisch. --- Normalerweise sehen Sie es so. Einmal wird der Kollege auch auf diese überschwenken. Und Sie werden noch etwas merken, Sie können wahnsinnig gut hören. Sie hören das Chaos, und Sie sehen es gleichzeitig. Und Sie werden das identifizieren. Das Experiment heisst: Das gleichmässige Verändern des Widerstandes.

Wir schauen uns nun an, wie komplexes Verhalten aussehen kann: Zuerst rauscht es wieder. --- Jetzt sehen Sie dann die Schwingung in der Zeit aufgetragen. --- Nun wird der Widerstand langsam geändert. --- (Es wird noch besser, Sie können also ruhig abwarten.) --- Jetzt gibt es wieder einen schönen Ton. Sie sehen auch die geordnetere Bahn. --- Und das ist so ziemlich das Schlimmste, was passieren kann. Ein Chaos.

Eine kleine Ergänzung: Das Ganze ist ja symbolisch dargestellt und liegt in einer Gleichspannungsquelle, d.h. +/- 15 Volt. Es liegt also auf 30 Volt Potentialdifferenz und macht das quasi aus den Eigenschwingungen heraus, aus eigenem Antrieb. Das System ist also so konstruiert, dass es schwingungsfähig ist. Und je nachdem, wie ich an diesem Schalter, hier symbolisch als Schaltknüppel dargestellt, drehe, reagiert das System ganz anders.

Und sozusagen das Allerneueste, worauf ich heute nicht eingehen kann, ist die sogenannte Chaossteuerung. D.h. man hat ein System gefunden, das sich plötzlich stabilisiert, wenn man das eigene Signal in das System bzw. in den Schaltkreis zurückfüttert. Das bedeutet, dass es sich dort, wo es an sich chaotisch sein kann, durch ganz kleine Rückwirkungen selbst regulieren kann. In dem Zusammenhang denke ich z.B. an Eigenblutinjektion, Bioresonanz, Urintherapie, alles, was es heute so auf dem Markt gibt und was derzeit wieder modern ist. Wo man sich fragt, was es denn eigentlich bringt, wenn ich das, was ich sozusagen von mir gebe, gleich wieder nehme. Es gibt also, zumindest von der Technik und von der Physik her Anzeichen, dass es sehr wohl so etwas geben kann, und dass sich unser Organismus möglicherweise überhaupt über Chaossteuerung selbst reguliert.

Man kann ja den Schmetterlingseffekt auch ausnützen. Wenn der Körper bzw. der Schmetterling sozusagen weiss, wie er schlagen muss, kann er mit wahnsinnig wenig Energieaufwand viel bewirken. Und eine Vermutung der medizinischen Physik oder der medizinorientierten Physik ist, dass eigentlich alle unsere Funktionen chaotisch sind. Auch der Herzschlag ist nachweislich chaotisch. Es gibt sogar Medikamente - man hat das in Tierexperimenten an Schafen ausprobiert -, die nichts anderes bewirken, als den Herzschlag zu periodisch zu machen, was unweigerlich zum Tod führt. Das ist tragisch, aber es ist interessant zu wissen, dass also offenbar auch der Herzschlag chaotisch sein muss oder zumindest ein bisschen chaotisch sein muss, damit das ganze System funktioniert.
 

Männlich - weiblich

Tabelle 2: «Weiblich-Chaotisches», männlich - weiblich. Da ist ja schon die Reihenfolge interessant. Aber irgend eine Reihenfolge muss man ja haben. Vielleicht ist es ja nur zufällig, dass da zuerst männlich und dann weiblich steht. Eine der Eigenschaften, die man da so typischerweise zuordnet, ist aktiv und passiv. Ist es vielleicht eher eine Opferrolle, wenn man passiv ist? Könnte ja sein.

Wie ist es bei den Chinesen? Die sagen ja auch auch Yin und Yang. Und das bedeutet weiblich - männlich! An sich sollten die Begriffe ja neutral sein. Aktiv kann positiv oder negativ sein, und passiv kann auch positiv oder negativ sein. Es geht also in Richtung männlich = positiv gefärbt. Bei den Chinesen geht es in Richtung weiblich = positiv gefärbt. Es ist ja auch kein Zufall, dass die zuerst Yin haben. Die Chinesen sagen zwar, dass alles beide Aspekte hat. Wenn man aber Chinesen oder Japaner direkt befragt, sagen sie, dass sie im Zweifelsfall doch glauben, dass die weiblichen Eigenschaften die besseren sind. Also auch hier steht wieder das andere Weltbild dahinter.

Ich habe 'mal versucht, chinesisch zu denken, und diese beiden Begriffe umzuinterpretieren. Sie müssen das jetzt immer kreuzweise verbinden, weil ja Yin zuerst steht. Man könnte ja zum Beispiel anstatt aktiv «unruhig oder hektisch, oder etwas tun müssen, ob es sinnvoll ist oder nicht», sagen. Und anstatt passiv könnte man sagen «souverän, ruhig, in sich ruhend oder auch etwas lassen können, wenn's nicht sein muss». Das wäre ein Vorschlag oder Denkanstoss, wie man mit solchen komplementären Paaren umgehen kann.

Wenn man z.B. sagt, dass der Mann logisch denkt und die Frau chaotisch denkt, ob das jetzt wahr ist oder nicht, sind es Eigenschaften. Wobei männlich und weiblich nicht unbedingt Mann oder Frau heissen muss, weil das ja auch wieder gemischt ist. Aber chaotisch ist vielleicht gar nicht so schlecht, das muss ja noch nicht unbedingt negativ sein. Aber stimmt das überhaupt? Man kann ja auch sagen, dass das teilweise auch von der jeweiligen Kultur abhängt. Vielleicht verhalten sich in irgend einem Land die Männer gerade wie Frauen. Auch bei uns gibt es ja Männer, die sich z.B. schminken oder sich wie Frauen geben. Aber es ist kulturabhängig. Deshalb habe ich eine Videosequenz ausgewählt, die nicht kulturabhängig ist, nämlich eine Befruchtungsszene von Seeigeln. Es gibt daher auch mehrere Eier, die im Wasser schwimmen und direkt im Wasser, also über das Wasser, befruchtet werden. Und darüber habe ich mir so einige Gedanken gemacht. Ich sage dazu nur folgendes: Wer gewinnt das Rennen? - Ist es der Schnellste? - Viele sind berufen, wenige auserwählt - Eine grosse Verschwendung - Tödliches Wettrennen - Das Ei als ruhender Pol - Samenzelle, eher hektisch, chaotisch - Wer sucht sich hier wen aus? - Ist die Eizelle ein williges Opfer? Das ist ein Schutzschild, den die Eizelle, wenn sie befruchtet wird, um sich legt, damit keine anderen mehr reinkommen.

Tabelle 3: Als Anregung habe ich noch ein paar andere Eigenschaften, die man üblicherweise nicht unbedingt männlich oder weiblich zuordnet, zusammengestellt. Nachdem wir uns das angesehen haben, könnte man ja vielleicht sagen, dass das männliche Element eher etwas anbietet und das weibliche Element entscheidet. Wenn beispielsweise eine Frau zum Tanz aufgefordert wird, entscheidet ja sozusagen sie, ob getanzt wird oder nicht. Sie sagt ja oder nein. Oder: Potential, Akteur, Aktualität, Aktualisierung. Die einen variieren, andere machen die Selektion. Das wäre also eher dieses chaotische Element, im Sinne von unklar oder nicht gefestigt. Es wäre dann komischerweise plötzlich auf der Seite des Männlichen und das andere auf der Seite des Weiblichen. Es könnte ja wieder so sein - denken Sie an das Überkompensieren -, dass das Verhalten nach aussen unter Umständen genau umgekehrt zum inneren Zustand ist. Wenn jemand z.B. besonders forsch auftritt, hat er vielleicht ein besonders schlechtes Selbstbewusstsein. Deshalb wäre es auch möglich, dass die Frauen deshalb als chaotisch bezeichnet werden, weil sie sich mit chaotischen Situationen auseinandersetzen können. Chaotisch im üblichen Sinne wie z.B. bestimmte Familiensituationen. Während der Mann eher in einfachere Gefilde der Wissenschaft o.ä. enteilt, wo alles noch geordnet oder hoffentlich noch halbwegs geordnet ist. Vielleicht bewirkt ja genau diese Nichtfähigkeit, mit Chaos umzugehen, dass man sagt: «Na ja, ist ja logisch.» Er zieht sich auf ein Gebiet zurück, wo es eben noch logisch zugeht. Das wäre also eine Anregung, wie man das auch noch interpretieren könnte.

Und zum Schluss, um dem Ganzen sozusagen die Krone aufzusetzen, habe ich mir folgendes überlegt: Wie war das denn ursprünglich mit der Schöpfung und mit der Interpretation dieser Schöpfung? Welche Schöpfungsmythen gibt es? Da sagt man doch normalerweise, dass Gott, als Vater oder als Mann, die Welt erschaffen hat. Und die Mutter Erde oder dieses ungeordnete Chaos, das erst zum Kosmos werden musste, war eher das weibliche Element. In meiner Überlegung ist aber das Anbieten oder Verschwenden oder das Variieren eher männlich und das Entscheiden, Aktualisieren eher weiblich. Und das würde ja eigentlich ein Umschreiben dieser Schöpfungsgeschichte erfordern. Ich bin ja kein Fachmann, aber es könnte doch so gewesen sein.

Die entscheide Stelle heisst: «Der Geist Gottes schwebte über den Wassern». Im Anfang der Genesis und durch das Trennen der Wässer und durch das Trennen von Wasser und Land ist durch dieses Unterscheiden eigentlich alles gworden. Vom Nichts zum Chaos. Tohuwabohu heisst im Hebräischen wüst und leer. Also war zwar schon etwas da, aber man hat noch nichts damit anfangen können. Die entscheidende Schöpfung war offenbar nicht aus Nichts zu Etwas geworden, sondern von Chaos zu Kosmos.

Tabelle 4: Wie war das denn, wenn wir in der Zeit zurückgehen? Im Lateinischen kommt dies noch viel klarer zum Ausdruck als im Deutschen: Das Wasser, der Geist und die Wasser. Vom grammatikalischen Geschlecht her also eine gewisse Nahelegung. Im etwas älteren Griechischen sind beide Neutrum. Sowohl der Geist = pneuma, als auch das Wasser. Im Hebräischen gibt es formal keinen Artikel, und man kann daher nichts genaues sagen. Ursprünglich heisst ruah Wind und wird, wenn man nachschaut, meistens feminin gebraucht. Es ist zwar nicht formal feminin, aber es wird im allgemeinen so gebraucht.

»Der Geist Gottes schwebte...». Man könnte also sagen, dass es die weibliche Seite Gottes war, die das bewirkt hat. Schwieriger wird's beim Wasser. Da sagt die Fama eigentlich nichts, ausser dass Wasser mit majim übersetzt wird, was eigentlich aus dem Syrischen kommt. Was heisst Wasser ursprünglich, in noch früherer Zeit? Von welchem Wortstamm kommt es? Ursprünglich hiess Wasser Sperma. Wenn man das interpretiert, könnte man sagen, dass die weibliche Seite Gottes entschied, welcher Teil des Spermas sich sozusagen durchsetzt und wie aus diesem Gewurdel eine bestimmte Ordnung entsteht. Sie mögen das nun glauben oder nicht. Ich weiss auch nicht, ob das so stimmt oder nicht. Aber jedenfalls hat es mich doch irgendwie überrascht.
 

Diskussion

Johannes Schmidt:
Sie haben die Herzschläge erwähnt, und dass es tödlich sein kann, wenn man das Chaos stört. Mit Medikamenten kann man chaotische Rhythmen ja sehr gut stabilisieren. Die sogenannte CAST-Studie war eigentlich die erste aussagekräftige Studie im Bereich der Rhythmuskontrolle. Zur Überraschung der medizinischen Welt hat sich aber gezeigt, dass diejenigen, die erfolgreich gegen Rhythmusstörungen behandelt wurden, das Chaos also sozusagen entfernt wurde, viel häufiger gestorben sind als diejenigen, die man nicht behandelt hat.

Karl W. Kratky:
Aber es darf auch nicht zu chaotisch werden. Man darf nicht glauben, dass Chaos gesund ist, sondern es kommt sozusagen auf die richtige Mischung an.

Johannes Schmidt:
Das können wir noch weiter präzisieren. Ein allzu starkes Rhythmuschaos zeigt bei diesen Patienten tatsächlich an, dass sie gefährdet sind, dass sie mehr gefährdet sind als Patienten mit weniger chaotischen Rhythmen. Aber wenn diese chaotischen Rhythmen dann durch Antiarhythmika gestört werden, sterben sie eben doch eher, als wenn man sie in Ruhe lässt.

Karl W. Kratky:
Also weibliches Element = ruhen lassen, sein lassen.

Anonymus:
In bin medizinischer Berater. Diese allgemeinen Ideen der Labilität als eine Beziehung zu den biologischen Systemen sind sehr interessant. Chaos braucht in vielen biologischen Systemen im allgemeinen eine gewisse Feuchtigkeit. Das ist das einzige, was sie kontrollieren kann. Aber ich möchte doch wissen, ob die Schlussfolgerung oder Ihre Vision von der Zukunft in der Chaosforschung oder in der Arbeit mit dem Chaos zu etwas anderem führt, als zu dem, was Sie sagten. Sie haben Medizin mit der Labilität der elektronischen Rückkopplungskreise in Verbindung gesetzt. Glauben Sie, dass ein Potential vorhanden ist, etwas anderes oder mehr zu tun, als nur diese Korrelation herzustellen?

Karl W. Kratky:
Ja. Ich glaube die Chaossteuerung, das habe ich nur ganz kurz angedeutet, bedeutet etwas ganz wesentlich Neues. Die Vorhersage ist nämlich gefallen. Wenn man sich bequem in einen Sessel setzt, sich zurücklehnt und zuschaut, wie das Wetter wird, kann man langfristig nichts vorhersagen. Oder nehmen wir andere, kleinere belebte chaotische Systeme, das Wetter ist ein noch etwas zu grosses System. Wenn man aber in diese kleineren Systeme eingreift, lässt sich so ein chaotisches System sogar besonders leicht steuern. Früher hat man geglaubt, dass das, was man nicht gut durchschauen oder vorhersagen kann, auch schlecht beeinflussbar ist. Es ist aber genau umgekehrt. Nehmen wir ein Beispiel: Die Lokomotiven, klassische Fortbewegungsmittel, sind ja sehr stabil und schwer. Eine Dampflok oder eine Elektrolok fährt also auf Schienen, gut vorhersagbar und sehr selten neben den Schienen. Aber wenn Sie wollen, dass sie aus irgend einem Grund neben den Schienen fährt, gelingt es Ihnen nicht. Sie würden viel zu viel Energie brauchen, um sie aus den Schienen zu heben. Wenn Sie stattdessen z.B. einen Surfer oder einen Seiltänzer nehmen, wirkt der zwar relativ instabil, aber er kann Störungen auch sehr gut ausgleichen. Er muss dafür auch sehr wenig arbeiten. Er muss zwar viel Erfahrung haben, aber er muss nicht viel Energie aufwenden.
Es wird wohl in Zukunft auch in der Medizin so sein, dass man nicht mit massiven Einwirkungen, mit viel Einwirkung - die eher noch diese Linearität haben - darauf hinzielt, viel Einfluss zu haben. Sondern dass man versuchen wird, mit intelligenten, geringen Einflüssen etwas zu bewirken, indem man sozusagen eine Art Seiltanz des Organismus unterstützt. Und unser Gefühl ist, dass es auch beim belebten Organismus so etwas ist. Und dieser Organismus ist sicher sehr anfällig und auch sehr instabil. Er kann auch sterben, und er kann auch krank werden, immer wieder zwischendurch. Er ist instabil, aber die Evolution hat nichts Besseres hervorgebracht. Wir können daraus in einem Analogieschluss vermuten, dass wir in Zukunft auch intelligente technische Systeme, physikalische Systeme bauen werden, die eher einem Surfer als einer Dampflok entsprechen. Und dass wir vielleicht nicht mit invasiven Methoden oder mit der chemischen Keule oder wie auch immer medizinisch einwirken, sondern indem man in dieses quasi Surfen, das der Organismus ohnehin immer macht, richtig aufspringt oder sich da hinein richtig einklinken kann.
Und diese Chaossteuerung - es gibt da wie gesagt auch noch andere Dinge. Früher hat man immer geglaubt, dass man das Rauschen unterdrücken muss, um ein Signal besser durchzubekommen. Jetzt ist man darauf gekommen, dass wenn man es geschickt macht, das Signal automatisch Energie aus dem Rauschen zieht, und wenn man das Rauschen erhöht, man das Signal plötzlich besser versteht. Das sind also Dinge, die es in rein technisch-elektronischen Geräten gibt. Also eigentlich Geräte die, wenn ich zur Sprache sozusagen mehr Rauschen gebe, mich plötzlich besser hören und solche Dinge. Etwas, das man also normalerweise technisch unterdrückt, wie Chaos oder Rauschen - wobei die beiden sich überlappen aber nicht identisch sind. Das sind schon spannende Dinge, die bei uns in unmittelbarer Zukunft auf dem Programm stehen. Und sie könnten, glaube ich, auch wesentliche Einflüsse auf neue Entwicklungen oder Neubewertungen schon vorhandener medizinischer Richtungen haben.
 
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