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Autor: | Dr. Alois Maria Payer | |
Keywords: | Frauenheilkunde, evidence based medizine, klinische Forschung, Medizinkritik, Patienteninformation, Evaluation, Geburtshilfe, Hebamme, | |
Abstract: | ||
Copyright: | Texte: Stiftung PARACELSUS HEUTE
HTML-Gestaltung: Bernhard Harrer Wissenstransfer |
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Autoren
Begrüßungen
Die
alternde Frau
Die
schwarze Madonna/Theater
Dr. Alois Maria Payer, M.A.,
Die schwarze Madonna - Nicht zensurierende Urmutter und alte schwarze Bauern-Gottheit
Dieter Bitterli, Regisseur und Angelika Krautzberger,
Sonja findet sich hässlich, das macht sie schön - Eine Theaterprobe mit der Rolle der Sonja aus Tschechows "Onkel Wanja"
Die schwarze Madonna - Nicht zensurierende Urmutter und alte schwarze Bauern-Gottheit
Von D. Rosenmund erstelltes Transskript der Tonbandaufnahme. Verantwortlich: Stiftung Paracelsus Heute
Dr. Alois Maria Payer, M.A.
Seminar für Indologie, Universität Tübingen/Deutschland
Eine indische Göttergeschichte
(... es fehlt am Anfang ein kleines Stück ...)
«... Ich will zu meinem Vater, dem Berg Himalaya gehen und mich
in glühender Askese selbst umbringen. Was hab ich zu schaffen, dass
ich am Leben bleibe, wo ich von einem Schelm betrogen bin!» Also
Krach zwischen einem Liebespaar! Shiva sagt: «Pravati kommt, sei
ruhig, es war ja nur Spass. Ich wollte Dir doch nicht wehtun , ich wollte
Dich doch nicht schmähen.» Doch sie beschimpft ihn weiterhin
wüst und stürmt wutentbrannt davon, um Glut der Askese zu sammeln,
um dann Gauri, die Lichte genannt werden zu können. Sie legt ihren
Schmuck ab und kleidet sich in Baumrinde. Im heissen Sommer glüht
sie zwischen Feuer - sie hat also Feuer um sich angemacht - und in der
Sonnenglut. Zur Regenzeit steht sie im Wasser, in den Winternächten
liegt sie auf nacktem Boden. So harrt sie in asketischer Glut ihrer Vollendung
entgegen, damit sie, die Schwarze, eine Lichte werde. Schliesslich wird
ihr der folgende Wunsch erfüllt: «Dank schwer vollendbarer Askese
habe ich den Friedensbringer zum Gemahl erlangt. Er hat mich die Schwarze
genannt. Von goldener Erscheinung will ich sein und mit meinem Lichtreiz
ihm gefallen. In den Leib meines Gatten will ich eingehen, wie ein Glied
an ihm will ich eins mit ihm sein.» Da spricht Prachma zu ihr: «Sei
wie Du begehrst und nimm hinfort den halben Leib Deines Gatten ein.»
Da tat sie den dunklen Leib, der wie ein dunkelblauer Lotus war, von sich
ab und ward strahlend hell an ihrer Haut. So kehrte sie heim zu Gott Shiva.
Dieser Auszug aus einer indischen shivaitischen Göttergeschichte
vermittelt eine Vorstellung von einer schwarzen Göttin wieder, welche
sich letztlich doch den Vorstellungen und den Wünschen ihres Mannes
unterwirft. Die schwarze Göttin ist mit Shiva liiert und wird, bevor
sie zu seiner einen Hälfte wird, hell und strahlend. Und fortan wird
Shiva und seine Gattin sehr oft als halb Shiva - halb Parvati - halb Gattin
dargestellt. Mitten durchgeteilt, halb Mann - halb Frau. Eine Vorstellung
einer schwarzen Göttin, in der all die Ablehnung des Schwarzen als
hässlich steckt und so durch den Mann betont wird. Es gibt in Indien
aber auch Vorstellungen von einer schwarzen Göttin, die sich emanzipiert
hat, die selbständig ist. Ja die es ist, die dem Gatten Shiva, der
ohne sie ein Leichnam ist, das Leben gibt. Die schwarze Göttin, die
das entscheidende ist, dass der Gott Shiva überhaupt leben kann.
Kali
Die bekannteste und verbreiteste Form einer solchen Vorstellung ist die Göttin Kali, die der Weltstadt Kalkutta (Kalikatta) ihren Namen gibt. Nach dem Kuratistotra, einem bekannten Hymnus an Kali, sozusagen einem «salve regina» für Kali, kann man sich Kali so vorstellen: Kali hat dunkle Haut, ihre Bekleidung ist die Luft, d.h. sie ist splitternackt. Sie hat aufgelöstes Haar. Aus ihrem Munde rinnt Blut. In der einen Hand schwenkt sie ein Schwert, mit der anderen hält sie eine Schädelschale. Um ihre Taille trägt sie einen Gürtel aus abgeschlagenen Köpfen. Ihr bevorzugter Ruheplatz ist eine mit Leichen übersäte Verbrennungsstätte. Ihr Gesicht können sich diejenigen, die die Einsiedler Fasnacht kennen, recht gut vorstellen. Der Teufel bei der Einsiedler Fasnacht hat unverkennbare Ähnlichkeiten mit vielen Darstellungen der Göttin Kali. Also noch einmal, damit Sie sie sich wirklich vorstellen können, bemühen Sie Ihre Vorstellungskraft: Schwarz, nackt, wirr aufgelöstes Haar, heraushängende Zunge, das Blut trieft heraus, denn sie hat gerade wieder einmal zugeschlagen. In der einen Hand schwenkt sie ein Schwert, mit der andern hält sie eine Schädelschale, einen Menschenschädel. Das können Sie sich ja als Mediziner gut vorstellen. Um ihre Taille trägt sie einen Gürtel aus abgeschlagenen Köpfen. Und ihr bevorzugter Ruheplatz sind Verbrennungsstätten, wo die Leichen herumliegen, bevor sie verbrannt werden. Das ist eine schwarze Göttin! Kali ist also der Ausdruck der furchtbaren, der Angst einflössenden Aspekte der Wirklichkeit. Sie ist Mutter und Zerstörerin. Sie ist eine sich schnell wandelnde Zauberin. Sie ist - das ist ein Wortspiel - die zerstörende Kraft der Zeit. Die Zeit heisst kala, und sie ist die Kali. Sie ist die Energie der Schöpfung, die Energie des Lebensspendens und die Energie der Zerstörung. Sie ist die Gewalt im positiven und im negativen Sinne.
Kali ist besonders bei den einfachen Bevölkerungsschichten beliebt, während sich die Oberschicht ihrer gerne schämt. Schon wegen der blutigen Opfer, die ihr dargebracht werden. Es war z.B. unmöglich für uns, Kali in Kalkutta in Begleitung unserer Freunde, immerhin also den Teil von Kalkutta zu besichtigen, der Kalkutta den Namen gibt. Das mussten wir insgeheim, ohne das Wissen unserer Freunde tun. Denn es ist etwas, dessen man sich schämt. Es ist eine Unterschichtsgöttin. Sie ist wohl deshalb so beliebt, weil sie, die Besiegerin der Dämonen, mit den wirklichen Bedrohungen im Leben der kleinen Leute zu tun hat. Den Bedrohungen durch Hunger, Krankheit und Ungewitter. Sie als Gewalttätige, Zornige, Hässliche, als unlieber Gott, als unliebe Mutter gibt die Erfahrung des Göttlichen im Alltag der kleinen Leute, die keine Zuflucht zu medizinischer und anderer moderner Hilfe haben, viel besser wieder als ein lieber Gott, eine liebe Mutter, die ja eine Trivialvorstellung ist, wie sie eigentlich normalerweise nur in Schundromanen vorkommt. Wo Armut den Kochtopf bestimmt, ist es auch verdammt schwer, eine liebe Mutter zu sein.
Selbstverständlich gibt es auch eine Auffassungsmöglichkeit
von Kali für die Gebildeten, die theologisch Interessierten. Für
die, die sich erhaben fühlen über das gemeine Volk mit seinen
alltäglichen Ängsten und Nöten. So wird Kali denn symbolisch
gedeutet: Sie wird schwarz dargestellt, denn so, wie alle Farben in Schwarz
verschwinden, vergehen auch alle Namen und Formen in ihr. Nackt ist sie,
frei von allen Schleiern der Illusion. Ihr zerzaustes Haar ist ein Vorhang
des Todes, der das Leben mit dem Geheimnis umgibt... und so fort. Theologen
sind auf der ganzen Welt gleich.
Die «Göttin von Einsiedeln»
Wie anders die «Göttin von Einsiedeln»! Auch sie ist schwarz. Aber sie ist ohne alle vom Bildhauer gewollte Grässlichkeit, Schrecklichkeit oder Hässlichkeit. Denn gerne wendet man auf sie den Vers aus Hohelied 1.4 an: «Nigra sum, set formosa» (Ich bin schwarz, aber trotzdem schön). Sie fällt nicht aus dem normalen, von den religiösen Funktionären domestizierten Marienbild heraus. Maria als reine Jungfrau, als Helferin und Mutter, als Beschützerin und Königin, wie das alles wunderbar im salve regina ausgedrückt ist. Dieses domestizierte Marienbild dürfen wir keineswegs verachten. Denn auch diese domestizierte Maria bot und bietet unendlich viel Trost, unendlich viel Heilung, unendlich viel emotionale Beziehungen. Sie würden mich missverstehen, wenn Sie meine Vorschläge zur Erweiterung des europäischen Göttinnenkultes so auffassen würden, als ob ich nicht die vielen Vorzüge des Kultes der europäischen katholischen Göttinnen hoch genug schätzen würde.
Dort, wo Mediziner und alles versagen, hilft oft der Glaube an Maria. Trotzdem ist es beachtlich, dass die Einsiedler Maria schwarz dargestellt wird, dass Maria überhaupt schwarz dargestellt wird. Und zwar neben zahlreichen weiteren Orten, auch an zwei der wichtigsten Marienwallfahrtsorte. In Einsiedeln und in Tschenstochau (polnisch Czestochowa), wo sie der gegenwärtige Papst zu seiner persönlichen Königin gemacht hat. Denn schwarz, besonders schwarze Haut ist in unserer abendländischen Kultur, genauso wie in der indischen Kultur, vorwiegend mit negativen Assoziationen, durchaus teilweise auch rassistischer Art belegt.
Ich will mich hier nicht mit den historischen Fragen des Ursprungs der schwarzen Marien-Darstellungen befassen, da man hier bald in nicht belegbaren historischen Spekulationen endet. Ob Sie nun irgend ein Buch oder ein modernes Buch einer Feministin über schwarze Madonnen lesen oder vom Einsiedler Archivar, Pater Odillo Ringholz über die Wallfahrtsgeschichte Einsiedelns lesen, schaut es ziemlich anders aus. Aber wo sollen wir hin? Wir haben keine historischen Belege. Ausserdem ist der Ursprung einer Darstellung etwas ganz anderes, als die Auffassung davon. Unser Adventskranz mag als Ursprung haben, was er will, das wissen wir meistens gar nicht. Den Ursprung kennen sowieso nur Volskundler und Historiker. Was der Adventskranz aber für die Leute bedeutet, ist eine ganz andere Frage. Und so möchte ich also nicht auf die historische Frage des Ursprungs schwarzer Marien-Darstellungen eingehen, sondern Ihnen vielmehr in der Gegenüberstellung der schwarzen Madonna von Einsiedeln und den schwarzen Göttinnen oder schwarzen Madonnen Indiens zeigen, wo eventuell Verkürzungen bei unseren schwarzen Madonnen vorkommen.
Die Farbe schwarz: Schwarz ist in unseren abendländischen Kulturen
vorwiegend mit negativen Assoziationen verbunden. Schwarz ist die Farbe
der Dunkelheit, des Teufels, der Hexen. Der schwarze Mann ist oder war
ein Kinderschreck. Das schwarze Nick-Negerlein war Symbol für die
armen Heiden, die schnell der Segnung und des Christentums und unserer
Zivilisation teilhaftig werden mussten. In Einsiedeln in der Volksschule
stand auch noch so ein kleines Nick-Negerlein. Und wenn
man zehn Rappen reingeschmissen hat, hat es dankbar genickt, weil wieder
irgendwelche armen Heidenkindlein der ewigen Seeligkeit und der Zivilisation
näher gekommen sind. Schwarz ist die Farbe der Trauergewänder
und der Gewänder der Witwen. Bei den Witwen als Zeichen, dass man
sie nicht mehr als attraktiv betrachten darf. Das Zeichen der Nichtattraktivität
also. Schwarz ist auch die liturgische Farbe von Trauer und Karfreitag.
Wenn wir weiter an schwarze Kunst, schwarze Magie, schwarzen Tod und schwarze
Katzen denken, sehen wir, wie Schwarz auch bei uns mit Bedrohung verbunden
ist. Deshalb wird Schwarz als Zauberfarbe nicht nur beim Schadenszauber,
sondern auch beim Heilzauber verwendet. Schwarz schreckt die Dämonen
ab. Gewiss, Schwarz ist auch mit Feierlichkeit, z.B. schwarzer Anzug und
mit den Geistlichen mit ihrer schwarzen Kutte verbunden. Bei den Geistlichen
bedeutet die Farbe schwarz allerdings auch die offizielle Nichtattraktivität:
Das ist ein Mann, von dem die Frauen ihre Finger lassen sollen, genauso
wie eine schwarzgekleidete Witwe eine Frau ist, von der die Männer
gefälligst die Finger zu lassen haben. Bei diesen starken Verbindungen
von Schwarz mit Negativem, Bedrohlichem, Nichtattraktivem ist eine schwarze
Madonna doch sehr verwunderlich.
Schauen wir uns doch das Einsiedler Gnadenbild etwas genauer an: «Unsere
liebe Frau vom Finsteren Walde», wie sie heisst. Vom Finsteren Walde!
Wir haben noch einmal etwas Dunkles, eine schwarzhäutige Madonna mit
einem schwarzen Kind. Unter ihr wird der Totenschädel des heiligen
Meinrad aufbewahrt, dessen gewaltsamer Tod von schwarzen Vögeln, nämlich
den Einsiedler Raben, die in Wirklichkeit Krähen waren, nach Zürich
gemeldet wurde. (Denn dass die Einsiedler Raben Krähen waren, ist
das Forschungsergebnis des grossen Einsiedler Benediktiner Paters. Ob er
auch Mathematiker war, ist eine andere Sache.) Und die schwarze Madonna,
unsere liebe Frau vom Finsteren Walde wird von schwarzen Männern verwaltet.
So gesehen ist Einsiedeln wirklich ein schwarzer Wallfahrtsort. Doch diese
schwarze Madonna trägt ein Zepter. Sie ist umgeben von goldenen Wolken
und wird mit Stoffbehängen gekleidet, die der spanischen Hoftracht
des ausgehenden 16. Jahrhunderts nachgebildet sind. Wenn Sie Infantenbilder
aus der Höhepunktzeit des spanischen Weltreiches anschauen, sehen
Sie, wo die Behänge der Einsiedler Madonna ihr Vorbild haben. Maria
soll als Königin der vornehmst gekleideten Königin dieser Welt
gleichen. Wenn wir uns das weitere Ambiente ansehen, können wir sagen,
dass die Einsiedler Stiftskirche nach der Renovierung es mit jedem grünlich,
rosa und blau angestrichenen südindischen Grosstempel aufnehmen kann
und nichts mit bäuerlicher Kultur zu tun hat. Die Grosstempel werden
auch von geschäftemachenden Orden, für die das eine gute Einnahmequelle
ist, unterhalten. Wir können wohl sagen, dass die Einsiedler Madonna
eine trivialisierte schwarze Frau ist. So wie in der sog. Trivialliteratur,
z.B. Ärzteromanen, Lore-Romanen, Grünem Blatt usw. die Wirklichkeit
verklärt wird, ist Maria der harten Wirklichkeit enthoben.
Maria und Frausein
Wieviel vom Frausein Marias ist eigentlich übrig geblieben? Und
wieviel weniger erst vom Frausein ist übrig geblieben in einer vorindustriellen
Gesellschaft, mit all den Bedrohungen durch Tod im Kindsbett, infolge Mangelernährung,
Überarbeitung usw.? Maria wird zwar als Mutter dargestellt. Aber was
für eine
Mutter? Schon die Empfängnis erfolgte nicht auf natürlichem
Wege, sondern keimfrei und steril, ohne Geschlechtsverkehr. Ihre Schwangerschaft
und ihre Geburt waren ohne die üblichen Beschwerden und Schmerzen.
Denn Maria, als die unbefleckt Empfangene, ist ohne Erbsünde. Bringen
Sie also nie die unbefleckte Empfängnis mit der Jungfrauengeburt durcheinander.
Unbefleckt ist die Maria empfangen worden. Sie hatte keine Erbsünde.
Und damit gilt für sie auch nicht der Hauptfluch Gottes gegenüber
Eva, bei der Vertreibung aus dem Paradies, wo Gott gesagt hat: «Überaus
zahlreich will ich Deinen Schmerz und Deine Schwangerschaft machen. In
Schmerz sollst Du Kinder gebären. Aber zu Deinem Manne soll Dein Verlangen
trotzdem gehen. Und er soll über Dich Herr sein.»
Dieser Fluch der Erbsünde, der nach der christlichen, zumindest
nach der katholischen Erbsünde-Auffassung über jeder Frau lastet,
von dem war Maria als einzige Frau seit Eva ausgenommen. Also hatte sie
keine Schwangerschaft und keine Geburt, wie eine normale Frau. Ohne Risiko,
ohne Schmerzen, alles ging hiphop! (Sie brauchte darum auch keine Sonographie
und solche Sachen... Also ausgesprochen mies für Gynäkologen...
Jetzt wissen Sie also, dass die Gynäkologen die eigentlichen Nutzniesser
der Erbsünde sind...) Obwohl die Phantasie der religiösen Funktionäre
und Theologen sich ausführlich mit dem Jungfernhäutchen der Maria
beschäftigte und anatomische Überlegungen anstellte, wie Maria
vor, während und nach der Geburt ein unverletztes Jungfernhäutchen
haben konnte. Eine wichtige Sache, ja. (Trotz dieser Beschäftigung
mit der Vulva, den Geschlechtsorganen Marias, gibt es keinen katholischen
Wallfahrtsort, wo diese Geschlechtsteile verehrt werden. Ist doch interessant!
Etwas, was so wichtig ist, was Dogma wurde und eine ganze Disziplin der
Theologie, nämlich die Theogynäkologie jahrhundertelang beschäftigt
hat, hat nicht einen einzigen Wallfahrtsort hervorgebracht! Für einen
Inder wie mich völlig unvorstellbar! Wie kann man sich nur so etwas
entgehen lassen! Nirgends beschäftigt man sich ausführlich mit
der Menstruation Marias. Was für eine verstümmelte Frau!)
Indischer Göttinnen, Sexualität und (Schweizer) Anarchie
Wie ganz anders die Göttinnen in Indien! Die Geschlechtsorgane der Göttinnen werden fast überall in allen möglichen Formen verehrt. Selbstverständlich hat die Göttin Geschlechtsverkehr und hat auch ihren Spass dabei. In Kerala gibt es einen Tempel, in dem das Bildnis der Göttin monatlich eine Regelblutung hat. Die Göttin hat Temperament und Zornausbrüche. Sie ist eifersüchtig und eitel, sie beschimpft ihren Gatten, wie wir gesehen haben. Das heisst, sie ist eine Frau - nicht wie Du und ich, das kann ich in dem Fall nicht sagen, aber - wie Sie und Sie. Woran liegt dieser Unterschied? Haben die Europäer so viel weniger Phantasie als die Inder? Oder sind wir so viel zivilisierter, kultivierter, weiterentwickelt, wie wir ja so gerne von uns annehmen? Wohl kaum!
Der Grund für diese Unterschiede liegt meiner Meinung darin, dass es in Indien trotz aller diesbezüglicher Versuche religiöser Funktionäre irgend einer Richtung nie gelungen ist, die Religion und den Kult weitgehend zu monopolisieren. So gibt es zwar in Indien unzählig viele Verwaltungen ewiger Wahrheiten und Verwaltungen des einzig richtigen Verhaltens. Aber es gibt keine Hauptverwaltung ewiger Wahrheiten, die als Zensurbehörde alles abzuschneiden versucht, was nicht in ihr jeweiliges Weltbild hineinpasst. (Sozusagen eine Super-Ärztekammer, die auch noch bestimmt, was ärztliche Kunst ist und was nicht.) Ja mehr noch: Da in Indien der Glaube an Wiedergeburt eine Selbstverständlichkeit ist, kann man eher eine Mentalität des Lebens und des Lebenlassens pflegen. Dieses momentane Leben ist nicht das einzige und somit auch nicht das, in dem aufgrund des einzig wahren Glaubens und des einzig richtigen Verhaltens über ewige Seeligkeit oder ewige Verdammnis entschieden wird. So kann man geduldiger sein gegenüber Irrtum, Dummheit, Ignoranz oder was einem an dem andern nicht passt.
Das heisst nicht, dass Indien ein Hort der Toleranz ist. Ganz gewiss
nicht! Ich will Ihnen hier nicht den guten, religiösen Menschen von
Indien vorgaukeln. Den guten, religiösen Menschen von Indien gibt
es so wenig, wie den guten Menschen von irgendwo. Aber es herrscht mehr
religiöse Anarchie. (Und das müsste ja die Schweizer unter Ihnen
begeistern. Die Schweizer sind ja so bekannte Anarchisten! Das müsste
ihnen ja entgegenkommen! Dadurch können sich unterschiedlichste Vorstellungen
und Richtungen besser entfalten, ohne dass sie gleich gekappt werden. Es
ist zum Beispiel interessant - nur als Nebenbemerkung - dass bei den Schweizer
Anarchisten, in einem schweizerischen Zentralheiligtum Maria als Königin
verehrt wird. In der demokratischen Schweiz! Wo man eigentlich von Königen
offiziell nichts hält. Auch das belegt meine Trivialliteratur-These.
Sie müssen nämlich nur schauen, wie beliebt Stories über
Lady Di, Königin Sylvia, die Königin von England, Fergie und
wie sie alle heissen, gerade bei Schweizern sind. Ein gewisser Hang zum
Trivialen gekrönter Häupter ist also durchaus vorhanden. Dann
wundert man sich schon weniger, wieso ausgerechnet in der demokratischen
Schweiz Maria als Königin überhaupt irgendwelche Chancen hat.
Dass man nicht sagt, «Vertreibt alle Könige!» - wie die
Landvögte?) Bei uns dagegen, hier in Europa, war die religiöse
Wahrheit bis vor kurzem monopolisiert von katholischen oder protestantischen
hauptamtlichen Funktionären. Erst seit relativ kurzer Zeit kann sich
jeder Unsinn - und Unsinn ist immer das, was für die andern keinen
Sinn macht - frei entfalten. Der Erfolg des sogenannten new age zeigt,
wie sehr ein Bedürfnis nach solcher Entfaltung von Unsinn ist. Doch
die offiziellen religiösen Funktionäre sind nach wie vor zensierend.
So wurden nach dem 2. Vatikanum dann halt alle Reliquien mit Milch der
heiligen Maria und ähnlichen schönen Sachen, die z.B. eine Rom-Reise
wirklich sinnvoll gemacht haben, stillschweigend entfernt. Alles, was in
das momentane, sog. aufgeklärte Weltbild und die zeitgemässe
Theologie nicht hineinpasst, soll möglichst verschwinden. Was gerade
als Kitsch, als Aberglaube, als unhistorisch, als unaufgeklärt angesehen
wird, soll in die Rumpelkammer. Alles wie schon immer gehabt. Dabei gilt
wohl für Religion wie für Medizin das herrliche Diktum von Prof.
Hagenbucher, dem grossen Psychiater und Neurologen aus Innsbruck, der uns
schon 1963 beigebracht hat: «Medizin beruht nicht in erster Linie
auf Wahrheit, sondern auf Wirksamkeit.»
Nicht abstrakte Wahrheit, sondern Wirksamkeit
Da würde ich sagen, auch Religion beruht nicht in erster Linie auf Wahrheit, sondern auf Wirksamkeit. Deswegen können wir von den indischen Religionen lernen: Lasst Tausende von Kulten spriessen, lasst den Leuten ihren sogenannten Aberglauben. Oder um mit dem Dalai Lama zu sprechen, einem Nicht-Hindu, einem Buddhisten: «Die Menschen sind verschieden in ihren Bedürfnissen. Je mehr Religionen es gibt, umso grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass jeder etwas für sich Geeignetes darunter findet.» Das kommt Ihnen ja vielleicht aus der Medizin bekannt vor. Religion und Medizin haben, hoffe ich, viel miteinander zu tun. Heilung, Heil, alltägliche Sorgen. Das ewige Seelenheil, abstrakte Erlösung, Halleluja-Singen eine Ewigkeit lang ist auch nicht jedes Gläubigen Hauptgrund, sich mit Religion zu beschäftigen und eine Religion zu haben!
Die schwarze Madonna, nicht zensurierte Urmutter und alte schwarze Bauern-Gottheit?
- ich muss sagen, ich muss Sie enttäuschen, für die Einsiedler
Madonna eine Fehlanzeige. Solange die Madonna von Einsiedeln und der Kuratel
der schwarz gekleideten und natürlich auch der purpur gekleideten,
violett gekleideten Männer und des weiss gekleideten Mannes steht,
hat sie keine Chance, so viele Aspekte der weiblichen Wirklichkeit abzudecken,
wie die indischen schwarzen und andersfarbigen Göttinnen. Vor einer
Illusion will ich aber zum Abschluss warnen. Wie die indische Wirklichkeit
zeigt: Auch eine unerschöpfliche Vielfalt von Wegen zum Heil und zur
Heilung schafft kein Heil.
Diskussion
Anonyma:
Ihrer umfassenden Darstellung dieser zerstörerischen Gottheit
ist eigentlich nichts beizufügen. Was Sie in der Aufzählung der
schwarzen Madonnen nicht berücksichtigt haben, ist die schwarze Madonna
von Chartres. Sie wurde auch historisch sehr gut untersucht. Bei der schwarzen
Madonna von Chartres ist es historisch belegbar, dass die Figur selbst
aus vorchristlicher Zeit stammt. Sie stellt dort eine alte, wahrscheinlich
im Zusammenhang mit den Druiden, mit der keltischen Bevölkerung zusammenhängende
Gottheit dar, die dann halt vom Christentum wie so manches okkupiert und
zu einer bestimmten Zeit in hübsche Gewänder gehüllt wurde.
Ich weiss nicht, ob in Einsiedeln die Gewänder der Maria auch im siebentägigen
Rhythmus gewechselt werden. In Chartres hat sie sieben verschiedene Ausführungen.
Diese schwarze Mutterfigur oder schwarze Gottheit ist einer von drei Aspekten
der Ur-Mutter. Es gibt den weissen, den roten und den schwarzen Aspekt.
Der weisse ist der jungfräuliche, den man der Maria als einzigen gelassen
hat. Der rote Aspekt der Gottheit ist die Fruchtbarkeit, das Menstrualblut,
die Mutter, bei der nurmehr angedeutet ist, dass sie das Kind auf dem Arm
hält, aber sonst nichts. Und das Schwarze ist Zerstörung zum
Wiederaufbau. Man muss erst ein Feld abbrennen, eben auch die Leichenberge
verbrennen, um fruchtbare Erde zu bekommen, damit man es wieder aufbauen
kann. Dieses Sterben und Werden ist darin enthalten. Ich weiss nichts über
die historische Entwicklung der Figur, aber sie ist halt schwarz, und dann
bleibt das so,
weil diese Figur verehrt wurde. Dass es die Madonna ist, ist eigentlich
ein sekundärer Effekt.
Alois Payer:
Das ist vollkommen richtig und gilt für die schwarze Madonna in
Chartres. Für die Einsiedler Madonna stimmt es insofern nicht, weil
die Einsiedler Madonna ursprünglich helle Hautfarbe hatte. Das weiss
man aus alten Beschreibungen. Sie ist erst später schwarz angemalt
worden, aus welchen Gründen auch immer. Aber das halte ich gar nicht
für das Entscheidende. Wie Sie selber richtig gesagt haben, ist es
ja nur der weisse Aspekt, egal, ob die schwarze Madonna sozusagen ein altes
Kultbild ist oder nicht. In dem Kontext, in den sie gestellt wurde, wurde
sie domestiziert. Sie wurde sozusagen «geweisselt». Der historische
Aspekt ist zwar hochinteressant, da sind wir uns ganz einig. Aber die Verwaltung
ewiger Wahrheiten hat alles getan, dass dieser schwarze Aspekt nicht zum
Durchbruch kommen konnte. Sondern es ist eine Trivialisierung. Es werden
nur die romantischen und idealen und sonstigen Aspekte zugelassen und das
zeigt diese Domestizierung. Das Rote, das Menstrualblut, weg! Menstruierende
Madonna? Ich habe in keinem Theologiebuch über die Menstruation der
Madonna etwas gelesen, massenhaft aber über ihre Jungfernhaut. Über
ihre Menstruation findet man nichts, obwohl die Mariologien meistens sehr
dicke Bücher sind. Aber darüber findet man da nichts.
Anonymus:
Wenn die schwarze Madonna sowohl in Polen als auch hier auffindig ist,
lehrt sie uns Toleranz oder zementiert sie Intoleranz?
Alois Payer:
Da müssen Sie den Heiligen Vater selber fragen. Ich würde
sagen, gerade auf dem Hintergrund dessen, was ich über Trivialisierung
gesagt habe, sollten wir auch den Heiligen Vater nicht trivialisieren und
schwarz-weiss-Bilder machen. Es wäre jetzt sehr leicht, den Heiligen
Vater als einen, der Wasser predigt, Toleranz predigt und Intoleranz übt,
darzustellen. Ich glaube aber, dass wir mit solchen schwarz-weiss-Bildern
eben nicht weitermachen sollten. Der Heilige Vater ist ein Mensch wie jeder
andere Mensch, mit Toleranz und mit Intoleranz. Und auch die Verwalter
der Ewigen Wahrheit, die dafür sorgen, dass die Einsiedler Madonna
nicht rot oder schwarz wird, sind nicht einfach Vertreter der Intoleranz.
Denn auch ein solches Weltbild - entweder tolerant oder intolerant - ist
ein triviales Weltbild. Das gibt es in Lore-Romanen, da gibts die Guten
und da gibts die Bösen. Da gibt es den guten Grafen und den bösen
Förster oder was es sonst ist.
Johannes Schmidt:
Meine Vorstellung der schwarzen Madonna ist eben auch, dass sie nicht
in Gut und Böse unterscheidet, sondern einfach alles zulässt,
was die Menschen da so haben.
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