Frauen - willige Opfer der Medizin?
Früherkennung, Hormone, Geburtsmedizin auf dem Prüfstand kritischer Wissenschaft
- Wege zu einer zeitgemässen Praxis


Autor: Regina Stolzenberg 
Keywords: Frauenheilkunde, evidence based medizine, klinische Forschung, Medizinkritik, Patienteninformation, Evaluation, Wechseljahre
Abstract:
Copyright: Texte: Stiftung PARACELSUS HEUTE
HTML-Gestaltung:  Bernhard Harrer Wissenstransfer

Autoren
Begrüßungen
Die alterndeFrau

Prof. Elina Hemminki,
Hormone nach der Menopause - Nützliche Prävention oder umstrittenes Geschäft?
Regina Stolzenberg,
Wie entstehen Menopause-Symptome? - Das Erleben der Wechseljahre im transkulturellen Vergleich
Dr. Misha Cohen,
Wechseljahrbeschwerden im Lichte der traditionellen chinesischen Medizin
Prof. Arthur E. Imhof,
Erfüllt leben, in Gelassenheit sterben - Der moderne Wahn, dem Tod ein Schnippchen schlagen zu können
Die schwarze Madonna/Theater
Die schwangere Frau
Die krebsgefährdete Frau
Moderne Medizin

Wie entstehen Menopause-Symptome? - Das Erleben der Wechseljahre im transkulturellen Vergleich

Regina Stolzenberg
Feministischen Frauen- und Gesundheitszentrum Berlin/Deutschland

(... am Anfang fehlt ein kleines Stück ...) dass in noch viel stärkerem Masse, als das bisher geschehen ist, die Sicht von Frauen gerade zu diesem Thema, „das Frauenbild in derMedizin", einbezogen werden muss. Ich denke nämlich, dass es bei der Frage, warum Frauen Opfer sind, keineswegs nur um die Kontroverse zwischen Schulmedizin und chinesischer Medizin geht, sondern auch um Machtverhält-----nisse in der Medizin. Auf einige dieser Aspekte möchte ich in meinem Vortrag eingehen.

Die Frage, wie die Begleiterscheinungen der Wechseljahre entstehen, kann ich Ihnen sicher nicht generell und erschöpfend beantworten. Wenn sie überhaupt beantwortbar ist, dann wahrscheinlich nur für jede Frau individuell. Jede Frau erlebt ihren eigenen Wechsel geprägt von biologischen, körperlichen, biographischen, sozialen und kulturellen Faktoren. Ich will aber sehr wohl darauf eingehen, wie Menopause-Symptome, und ich habe bewusst diesen Begriff gewählt, entstehen. Einen Begriff, den wir in unserer Beratungsarbeit im Feministischen Frauen- und Gesundheitszentrum Berlin normalerweise nicht benutzen, weil er eine Konstruktion darstellt und widerspiegelt, wie eine Lebensphase von Frauen einer gesellschaftlichen Definition unterworfen wurde.

Die westliche Medizin hat eine biologisch verengte Sichtweise auf die Wechseljahre entwickelt, die gerade auch mit grossem Erfolg Einzug in die Selbstwahrnehmung von Frauen hält. Mir geht es darum, durch den Vergleich mit anderen Kulturen darzustellen, wie sich auch in dem Bereich der Wechseljahre das Spannungsfeld zwischen Natur und Kultur zeigt und dass biologische Abläufe nie als reine Natur existieren, sondern das individuelle Geschehen immer auch kulturell geprägt ist. Als Beispiele habe ich die Türkei und Japan gewählt, einmal deshalb, weil beide sehr alte Kulturen haben, die zudem auch noch relativ gegensätzlich sind, so dass es möglich ist, die ganze Bandbreite des Erlebens von Wechseljahren daran aufzuzeigen. Es geht mir überhaupt nicht darum, diese Kulturen zu idealisieren, so nach der Gleichung alt = gut, modern = schlecht oder sie gar als natürlicher zu erklären. Das wäre, wie Sie an den Beispielen merken werden, auch gar nicht angebracht. Vielmehr möchte ich aus diesem Vergleich Anregungen beziehen für die Analyse und auch die Veränderung vor allem unseres heutigen Umgangs mit den Wechseljahren.

Japan

Ich beginne mit den Wechseljahren in Japan. Bei uns gelten Hitzewallungen als das typische Merkmal der Wechseljahre. Ungefähr 75 bis 80% aller Frauen erleben sie hier. Nicht so in Japan. In Japan sind Hitzewallungen nahezu unbekannt. Nur 19,6% der Japanerinnen haben gemäss einer Untersuchung jemals Hitzewallungen. Noch entscheidender ist allerdings die Tatsache, dass die japanische Sprache überhaupt keinen Begriff dafür kennt, sondern nur Umschreibungen. Z.B. plötzlicher Blutandrang im Kopf, verbunden mit Schwindel, was normalerweise mit anderen Krankheitsbildern in Verbindung gebracht wird. Ein anderes gebrauchtes Wort bedeutet roter Kopf nach Alkoholgenuss. Es ist sicher müssig zu erwähnen, dass da, wo noch nicht mal ein Begriff existiert, erst recht kein Handlungsbedarf gesehen wird. Dies steht in starkem Gegensatz zu den Erfahrungen, die westliche Frauen machen, die ja teilweise sehr-- massiv unter Hitzewallungen leiden und dafür auch medizinische Hilfe in Anspruch nehmen. Auch für die Wechseljahre selber gibt es in Japan keinen direkten Begriff. Das Wort, das in dem Zusammenhang benutzt wird, entstand unter dem Einfluss der deutschen Medizin zu Beginn dieses Jahrhunderts und hat eigentlich auch einen anderen Bedeutungsgehalt.

Die meisten japanischen Frauen assoziieren „konengi" mit Altern und glauben, dass die Wechseljahre einen graduellen Uebergang darstellen, der im Alter zwischen 40 und 45 beginnt und den Eintritt in den späteren Teil des Lebenszyklus markiert. Grauwerden der Haare, Veränderung der Sehstärke, Verlust des Kurzzeitgedächtnisses, Kopfschmerzen, Steifheit der Schultern, Schwindel, unspezifische Schmerzen und Beschwerden und Abgespanntheit sind die Anzeichen, die am häufigsten mit diesem Uebergang verknüpft sind. Das Ende der Menstruation stellt nur einen kleinen und relativ unbedeutenden Teil dieses Prozesses dar. Japanische Aerzte stimmen trotz ihrer umfassenden Vertrautheit mit westlichen medizinischen Publikationen mit diesen Beschreibungen überein.

Die Uebereinstimmung zwischen der Art der Beschwerden und der besonders für Frauen in Japan noch stark von Tradition bestimmten Lebensweise ist meines Erachtens unübersehbar. Anforderungen an japanische Frauen, wie die Einhaltung von Formen und Ritualen zum Beispiel. Selbstdisziplin und Selbstkontrolle finden in Symptomen wie Kopfschmerzen, Steifheit der Schultern oder Abgespanntheit ihren entsprechenden Niederschlag. Dem steht in unserer Kultur der Zwang zu Flexibilität und Schnelligkeit gegenüber. Bedingungen, die durchaus geeignet sind, Beschwerden wie Hitzewallungen und Schweissausbrüche hervorzubringen. Und zwar nicht nur bei Frauen in den Wechseljahren.

Der Vergleich drängt sich geradezu auf zwischen der steifen, zeitaufwendigen japanischen Tee-Zeremonie und der schnellen Tasse Kaffee, der hier bei uns vielen Frauen den Antrieb gibt. Auch wenn Japan sicherlich nicht unbehelligt von westlichen Einflüssen geblieben ist, ist die japanische Frau noch stärker tradierten Rollenbildern verhaftet. Ihr kommt traditionell die lebenslange Aufgabe der Ernährerin zu, die sowohl für das körperliche als auch für das seelische und das spirituelle Wohl der Familie zuständig ist. Als Bindeglied zwischen allen Generationen, und zwar bis hin zu den Ahnen, erreicht sie gerade in der Lebensmitte die Blüte ihrer Jahre. Ihre Hauptaufgabe wird es nun sein, die Pflege der hochverehrten Alten zu übernehmen. Probleme mit dem Uebergang ins Alter haben nach dieser Auffassung nur Frauen, die ihrer Rolle nicht gerecht werden und dadurch unausgefüllt und unzufrieden sind. Ueberdies spielt die Sichtweise der japanischen Medizin auch mit eine Rolle für das Erleben der Wechseljahre in Japan, währenddem eine neuere Studie aus Berlin ergab, dass ca. 80% aller Frauen ihre Probleme, die sie im mittleren Lebensalter haben, auf den Hormonabfall zurückführen.

Ganz im Einklang mit der Medizin werden also Krankheiten und Beschwerden in der fernöstlichen Medizin nicht einzelnen Organen oder Körpersubstanzen angelastet, sondern als Störungen im körperlichen Gleichgewicht und als Behinderung von Energieflüssen gesehen, also dem nichtstofflichen Bereich zugeordnet. Der Grund für Veränderungen im Alter, und zwar bei beiden Geschlechtern, ist nach diesem Konzept nicht die Veränderung der Hormone, sondern die nachlassenden Energien. Das Aufhören der Menstruation wird in diesem Zusammenhang als durchaus sinnvoll erachtet, da es unnötigen Blutverlust vermeidet oder verhindert und Energien spart.

Türkei

Ich komme jetzt zu den Wechseljahren in der Türkei. Die Bedeutung der Wechseljahre in der Türkei ist nur über die Bedeutung der Menstruation zu erklären, der in der islamischen Religion eine Reinigungsfunktion zukommt. Eine Befragung von türkischen Frauen zeigte folgendes: Offenbar haben die Frauen die Vorstellung, dass in ihrem Körper eine erhöhte Spannung besteht. Im Körperinnern wird sozusagen alles Ueberflüssige zusammengeführt. Der Körper arbeitet und daher entstehen, besonders vor dem Ausscheiden, die Beschwerden. Obwohl die Blutung selber mit Kranksein und Schmutzigsein assoziiert wird, leiden die Frauen während der Regel subjektiv kaum, im Gegenteil. Eher scheinen sie stolz darauf zu sein, erst recht, wenn sie von starken Blutungen sprachen. Da der Spermienerguss ebenfalls als Reinigungsprozess gilt, dient die Menstruation - sofern die Frau sexuellen Kontakt mit einem Mann hatte - der doppelten Reinigung, sowohl der körpereigenen wie auch der körperfremden.

Der Ausdsruck für Wechseljahre bedeutet übersetzt abgeschnitten sein vom Monatszustand und wird mit Verlust der Reinigungsfähigkeit gleichgesetzt, was vor allem bei früh einsetzenden Wechseljahren als Unglück gilt. Leiden und Beschwerden wie z.B. eben Hitzewallungen, Nervenkrisen oder auch sehr ernsthafte Erkrankungen werden damit in Zusammenhang gebracht. Doch für türkische Frauen ist diese Situation keineswegs aussichtslos und der Verlust, den sie erleiden, nicht unwiederbringlich. Er wird durch einen Gewinn auf der Ebene des sozialen Status für ältere Frauen aufgewogen, der umso grösser ist, je mehr Söhne sie geboren hat - schlimm genug. Die nun erlaubte Reise nach Mekka ist ein symbolisches Zeichen dieser Aufwertung. Aber türkische Frauen haben offenbar noch andere Handlungsmöglichkeiten. Sie leiden so lange an Wechseljahrbeschwerden, solange sie Geschlechtsverkehr mit Männern haben. Laut dem Koran müssen Frauen Männern Zugangsrecht zu ihrem Körper gewähren. De facto ist dies allerdings von der individuellen Macht der einzelnen Frau abhängig. Je höher ihr gesellschaftlicher Status ist, umso eher ist es ihr möglich, sich zu verweigern.

Auf diesem religiös-kulturellen Hintergrund scheinen  die Wechseljahre für türkische Frauen eine Art Balanceakt zu sein. Auf der einen Seite sind sie sehr daran interessiert, so lange wie möglich zu menstruieren, und zwar notfalls auch mif Hilfe von Hormonen. Auf der anderen Seite aber arbeiten sie daran, ihren gesellschaftlichen Status zu erhöhen, um dadurch die Freiheit ihres Körpers zu erreichen. Und damit eröffnen sich ihnen auch Handlungsspielräume und Perspektiven für eine aktive Gestaltung der späteren Lebensjahre.

Wechseljahre im Westen

Ich komme jetzt zu den Wechseljahren in unserer Kultur. In unserer abendländischen Kultur waren die Wechseljahre lange Zeit ebenfalls durch die Religion geprägt. Das Christentum mit seiner Sexual- und Leibfeindlichkeit hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Wechseljahre und auch die Menstruation zu einem Tabu geworden sind. Seine Ueberbetonung der Gebärfähigkeit hatte zwangsläufig die Entwertung älterer Frauen zur Folge. Sie wurden unsichtbar, erhielten allenfalls noch eine dienende oder unterstützende Funktion in der Aufzucht der Enkel zugewiesen.

Inzwischen hat eine neue Frauengeneration die Wechseljahre erreicht. Eine Frauengeneration, die schon viele Tabus im Hinblick auf Körper und Sexualität gebrochen hat. Die Rolle der Tabubrecherinnen haben allerdings in dem Falle - also im Hinblick auf die Wechseljahre - weniger die Frauen selbst gespielt, sondern vielmehr die Pharmaindustrie im Verein mit der Aerzteschaft, die den Wechseljahren ihren Stempel aufgedrückt hat. Es ist heute nicht mehr möglich, über Wechseljahre zu reden, ohne auch über Hormone zu sprechen. Das ist eine Erfahrung, die wir täglich in unserer Beratungspraxis machen.

Durch die Definitionsmacht der Medizin sind die Wechseljahre erstmalig ins öffentliche Bewusstsein geraten. Allerdings in einer Art, die diesen Lebensabschnitt biologisiert, pathologisiert und medikalisiert hat. Biologisierung bedeutet, dass nahezu alle Probleme, die Frauen in der Lebensmitte haben, auf die weibliche Biologie, d.h. auf den Rückgang der Hormone zurückgeführt werden. Pathologisierung bedeutet, dass die weibliche Natur als defizitär betrachtet wird. Dadurch wird der weibliche Teil der Gattung Mensch sozusagen zu einer Fehlkontruktion der Natur. Als Messlatte dienen Männer, junge Frauen oder weibliche Säugetiere. Medikalisierung bedeutet, dass angenommen wird, dass nahezu alle Probleme von Frauen, also auch mittleren Alters, mit Hormonen zu beheben seien.

Der Körper von Frauen ist damit zum Austragungsort geworden, an dem sich exemplarisch ein Kampf vollzieht. Eine Auseinandersetzung zwischen der Natur auf der einen Seite und der Kultur, der männlich geprägten Kultur der Naturbeherrschung auf der anderen Seite. Der männliche Körper wird dagegen in unserer nach wie vor patriarchalen Gesellschaft als unantastbar betrachtet und gilt sozusagen als Mass aller Dinge. Wenn in ihn eingegriffen wird, dann allenfalls um ihn zu erhalten, aber nicht um ihn zu verbessern, wie das bei Frauen geschieht. Und das ist sicher auch ein Grund dafür, warum es bis heute keine Hormonbehandlung für Männer im mittleren Lebensalter gibt. Wir wissen ja alle, dass auch Männer mehr oder weniger unter Testosteron-Abfall leiden und dass auch Männer ihre Krisen in der Lebensmitte haben. Ich bin mir sicher, dass wenn diese Hormone eine wirklich so segensreiche Erfindung wären, Männer sie schon längst massenweise schlucken würden.

Die sogenannte Hormonersatztherapie ist ein technologischer Eingriff, durch den natürlich vorgegebene körperliche Abläufe grundlegend verändert werden. Der Hormonspiegel der älter werdenden Frau wird dadurch künstlich auf dem Niveau einer Jungfrau gehalten. Von Befürwortern und Befürworterinnen dieses Eingriffs wird das teilweise damit legitimiert oder auch bagatellisiert, indem sie sagen, dass die Hormontherapie mit der Benutzung von einer Brille bei Kurzsichtigkeit oder von dritten Zähnen zu vergleichen sei. Ich denke allerdings, dass der Unterschied gravierend ist, weil eben diese Art von Ersatzteil wesentlich tiefer in den Körper eingreift und zwar an der Schnittstelle zwischen Körper und Seele ansetzt. Und durch diesen Eingriff können die Wechseljahre in letzter Konsequenz abgeschafft werden. Wenn die Frauen mit den Wechseljahren früher also unsichtbar wurden, werden jetzt die Wechseljahre unsichtbar an den Frauen.

Welcher Art sind nun die Anzeichen der Wechseljahre in unserer Kultur, dass sie einen derartig massiven Eingriff rechtfertigen? Und wodurch entstehen sie? Es gibt sehr wenige repräsentative Untersuchungen, in denen Frauen selber mit ihren eigenen Erfahrungen mit den Wechseljahren zu Wort kommen. Aber aus diesen wenigen Untersuchungen geht hervor, dass auch in unserer Kultur ein Drittel bis 40% aller Frauen eigentlich keine Probleme mit dem Wechsel haben. Viele Frauen, die in der Lebensmitte nach Beschwerden gefragt werden, können allerdings mit einer ganzen Liste davon aufwarten. Beschwerden oder bei uns klassische Wechseljahreserscheinungen wie Hitzewallungen, Schweissausbrüche, Schlafstörungen, Gelenk- und Muskelschmerzen, Haut- und Haarprobleme, Nervosität, Lustlosigkeit, Konzentrationsschwäche und Niedergeschlagenheit. Wenn man aber Männern im mittleren Lebensalter dieselbe Frage vorlegt, wie es vor kurzem an der Universität Frankfurt geschehen ist, unterscheiden sich diese Ergebnisse bzw. ihre Antworten nicht so sehr von denen der Frauen. Es ist also allenfalls ein quantitativer Unterschied. Es ist deshalb anzunehmen, dass die bei Frauen eben deutlichere Hormonveränderung wie eine Art Prisma wirkt, indem sie bereits vorhandene bzw. mit dem Alter und der Lebenssituation entstehende psychische oder körperliche Probleme verstärkt. Das zeigt sich z.B. an den Schlafstörungen. Viele Frauen mit Schlafstörungen erzählen uns nämlich, dass es durchaus sehr viele handfeste Gründe gibt, die ihnen den Schlaf rauben.

Ausserdem spielt die subjektive Einstellung der einzelnen Frau eine sehr entscheidende Rolle bei der Wertung und Gewichtung der auftretenden Probleme oder Anzeichen. Sehr deutlich ist dies bei den Hitzewallungen. Während die einen sie als Antrieb erleben und als eine Art Wärmequelle begrüssen, leiden andere sehr stark darunter. Letztlich ist es eine Frage des Lebenskonzepts und des Vertrauens in die eigene Natur bzw. auch ganz allgemein in die Natur, wie Frauen die Wechseljahre sehen. Ich denke diejenigen, die das Leben als einen zyklischen Vorgang begreifen, haben es einfacher als diejenigen, die dem männlichen Bild entsprechend im Leben einen linearen Prozess sehen. „das kommt und geht" ist übrigens eine Antwort, die ich sehr häufig von Frauen aus dem asiatischen, afrikanischen oder dem arabischen Raum höre, wenn ich sie in Veranstaltungen zu Wechseljahren über ihre Einstellung dazu befrage.

Bei uns dagegen setzt die Pharmaindustrie auf den Slogan: „ich will keinenWechsel" und setzt damit auf ein starres Lebenskonzept, hinter dem sich häufig sehr viel Angst verbirgt. Und zwar eine Angst, die für viele Frauen das Eintreten der Wechseljahre so bedrohlich und schwer erträglich macht. Die Angst, die an sie gestellten Anforderungen nicht mehr erfüllen zu können. Es ist die Angst, sexuell nicht mehr attraktiv zu sein, was vor allem sehr viele heterosexuelle Frauen betrifft. Und es ist vor allem die generelle Angst, die aus dem Bewusstsein heraus entstand, als Frau in dieser Gesellschaft keinen sicheren Stand zu haben. Und diese Angst ist durchaus sehr real. Sie bezieht sich eben vor allem auf das Alter. Als alte Frau alleinstehend, arm und hilfsbedürftig zu sein, ist tatsächlich das, was immer noch den meisten Frauen passiert. Und die fast panikartige Angst vor Osteoporose ist zu einem Synonym für die Angst vor dieser realen Situation geworden.

Die konkreten Lebensumstände von Frauen in westlichen Ländern sind ein weiterer Schlüssel zum Verständnis des heutigen Umgangs mit den Wechseljahren. Das Frauenbild in den Industriegesellschaften hat sich in den letzten Jahrzehnten entscheidend verändert. Berufstätigkeit z.B. ist in weiten Bereichen zu einem selbstverständlichen Teil der Identität von Frauen geworden. Auch wenn Frauen eben selten so lineare Karrieren wie Männern gelingen. Trotzdem sind viele Frauen auch in klassische Männerdomänen vorgedrungen, die aber eben auch sehr stark oder weiterhin durch männliche Strukturen beherrscht werden. Die traditionelle Kleinfamilie hat als lebenslange Grundlage der Gesellschaft, sozusagen als Grundeinheit, sehr an Bedeutung verloren. Viele Frauen, v.a. in Grossstädten, leben heute in neuen Beziehungsstrukturen oder allein oder allein mit Kindern. Doch die neuen Rollen, die die Frauen übernommen haben, haben nicht dazu geführt, dass alte weggefallen sind. Im Gegenteil. Eigentlich hat sich für Frauen der Anforderungsstandard in allen Bereichen erhöht. Das heisst Anforderungen in Bezug auf das Aussehen, in Bezug auf die psychologischen Fähigkeiten von Frauen für, was weiss ich, Koch-, Erziehungs- und Liebeskünste. Die Mehrheit der Frauen sieht sich dadurch einer Doppelt-, Dreifach- oder auch Vierfachbelastung gegenüber, die zwar keine je erfüllen kann, der sich aber auch keine ganz entziehen kann. Die sogenannte Erschöpfung der Eierstöcke, von der in der Medizin die Rede ist, ist deshalb meines Erachtens auch weniger eine Erschöpfung der Eierstöcke, als vielmehr eine allgemeine Erschöpfung, die dadurch entsteht, dass die Kraftreserven von Frauen aufgebraucht sind. Diese Anforderungen, aber auch der moderne Lebensstil ganz allgemein mit seiner Hektik könnten der Grund dafür sein, dass viele Frauen die Wechseljahressymptome als sehr heftig und unkontrollierbar erleben und sich ihnen sehr ausgeliefert fühlen. In einem Leben, das bis zum Anschlag durchgeplant ist, wird der Einbruch der eigenen Natur als regelwidrig und als Kontrollverlust, der auch Panik auslösen kann, empfunden. Für mich drängt sich in dem Zusammenhang der Vergleich mit einem Fluss auf. Ein Fluss, der sein gewohntes Bett verlassend plötzlich über die Ufer tritt und dabei teilweise auch Verwüstung anrichtet. Die Frage, die sich für Frauen stellt ist, soll dieser Fluss seinen Weg alleine finden können oder soll er eingedämmt und kanalisiert werden? Und das ist eben auch die Frage, die sich im Umgang mit der Hormonersatztherapie stellt.

Hormonersatztherapie - Ersatz für was?

Viele Frauen haben eine instinktive Abneigung gegen Hormone und setzen ihre Hoffnung auf Alternativen, d.h. vor allem auf die Naturheilkunde. Diese Hoffnungen werden allerdings nicht selten enttäuscht, weil natürliche Mittel in einer völlig naturfernen Umgebung nur sehr bedingt wirksam sein können. Und sei es nur deshalb, weil Zeit und Geduld fehlen. Das ist eine Erfahrung, die wir doch immer wieder von Frauen hören. Wenn Frauen Hormone nehmen, tun sie dies meines Erachtens aus dreierlei Gründen. Einerseits, weil sie nicht leiden wollen, weil sie andererseits ihr Leben unter Kontrolle behalten wollen und weil sie einen bestimmten Lebensstil bzw. vor allem auch bestimmte erreichte Positionen nicht aufgeben wollen. Die Hormone mit ihrer schnellen Wirksamkeit und Vorspiegelung einer exakten Kontrolle von Lebensprozessen scheinen eine adäquate Antwort auf diese Bedürfnisse zu sein. Tatsächlich werden Frauen dadurch aber gleichzeitig an gesellschaftliche Erfordernisse, an die Erfordernisse einer patriarchalen Gesellschaft angepasst und weibliche Rollenklischees werden verstärkt. Rollenklischees vor allem von Ausgeglichenheit und Attraktivität und gleichzeitig aber auch noch das Spagat zustande zu bringen, auch beruflich ebenso leistungsfähig wie Männer zu bleiben. Was dabei verloren gehen kann, sind die Entwicklungspotentiale, die in dem Wechsel stecken und die Vielfalt und die eigene Lebendigkeit zugunsten einer starren Uniformität und Gleichmacherei. Die eigentlichen Fragen können dabei leicht aus dem Blickfeld geraten. Nämlich die nach den positiven und starken Vorbildern für Frauen, für das Leben im Alter, nachdem frühere Rollenmuster veraltet und neue, attraktive Rollen eigentlich noch nicht in Sicht sind. D.h. Frauen haben im Moment nur die Wahl zwischen dem Stereotyp „forever young", das im Moment sehr stark propagiert wird, oder andererseits der immer noch bestehenden Realität von „arm und einsam". In diesem Vakuum stellt die Hormonersatztherapie meines Erachtens tatsächlich einen Ersatz dar, und zwar nicht für verloren gegangene Hormone, sondern für bisher nicht vorhandene soziale Lebensperspektiven und Handlungsmöglichkeiten.

Abschliessend möchte ich sagen, dass es mir nicht darum geht, die Hormonbehandlung als solche und generell zu verteufeln und schon gar nicht Frauen, die sie nehmen. Für mich ist vielmehr die Frage entscheidend, wer sie aus welchen Motiven anwendet. Die Frage „Hormone,ja oder nein" ist so sehr eine Frage von Persönlichkeitsrechten und von Lebensentscheidungen, dass keine Aerztin und kein Arzt sie einer Frau aufzwingen darf. Und das ist leider das, was im Moment in grossem Masse passiert. Es ist etwas anderes, wenn Frauen zwischen verschiedenen Möglichkeiten auswählen und sich selbst dafür entscheiden, in dem Ver-such, sich damit über bestimmte Klippen ihres Lebens hinwegzuhelfen, die Kontrolle über ihr Leben zu behalten, bzw. schon erreichte Positionen nicht wieder aufgeben zu müssen.

Ich halte es für dringend erforderlich, dass in unseren Gesellschaften eine Diskussion geführt wird, und zwar erstens darüber, wie ältere Frauen mehr Absicherung und vor allem auch mehr Macht bekommen können, und zweitens wie ein lebenswertes Alter gestaltet werden kann. Ich denke letzteres ist eine Diskussion, in die durchaus auch Männer aktiv einbezogen werden sollten, denn auch sie haben Angst davor, alt zu werden und eigentlich kaum Möglichkeiten, sich diesen Fragen zu stellen. Die Wechseljahre jedoch, mit ihren erkennbaren Zeichen, sind für Frauen eine Chance zum Einhalten, zur Bilanzierung und zur Neuorientierung. Eine Möglichkeit die, wie auch Befragungen zeigen, von vielen Frauen ausdrücklich begrüsst und auch wahrgenommen wird. Sicher ist dies auch mit ein Grund, warum Frauen so viel länger leben als Männer.

Die Diskussion, um die es jetzt gehen sollte, sollte meines Erachtens Fragen berühren wie: Was sind die Potentiale des Alters? Welche sozialen Ausgleichsmöglichkeiten können geschaffen werden, um die Nachteile des Altwerdens auszugleichen? Welche Entlastungsmöglichkeiten gibt es für ältere Menschen? Und gleichzeitig - was sicherlich ganz wichtig ist - welche neuen Herausforderungen gibt es für ältere Menschen? Und vor allem aber auch für Frauen ganz speziell: Welche Möglichkeiten gibt es, erreichte Positionen, also z.B. im Beruf zu erhalten, ohne die eigene Lebendigkeit aufzugeben und sich selber in ein starres Konzept pressen zu lassen?

Ich denke wenn es möglich ist, eine befriedigende Antwort auf all diese Fragen zu geben, wird es langfristig auch möglich sein, die Ersatzhormone durch andere Formen des sozialen Umgangs zu ersetzen.
 
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