Die 1 und die 2
Die Beobachtung als
Übergang vom EinsSein in die Dualität in informationstheoretischen und
systemtheoretischen Ansätzen im Vergleich zum Nichtbeobachten
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Autor: | Werner Held | |
Keywords: | Beobachtungsbegriff, Beobachtungsprozeß, Quantenphysik, Informationstheorie, Systemtheorie, Psychologie | |
Abstract: |
Der Beobachtungsbegriff aus dem Blickwinkel der Theorien verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen, insbesondere der Quantenphysik, der Informationstheorie und der Systemtheorie. Der Beobachtungsprozeß in einer übergreifenden Perspektive - Vorbedingung jeder Beobachtung, der holistische Beziehungscharakter im Kontext einer möglichen Entwicklung des Menschen. |
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Copyright: | Werner Held | |
Diplomarbeit - vorgelegt am Fachbereich Erziehungswissenschaften und Psychologie der Freien Universität Berlin im Sommersemester 2000 | ||
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9. Mai 2001
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Einführung
I.Teil Beobachten
1. Die Beobachtung
in der Quantenphysik
1.1. Philosophische Konsequenzen
der Quantentheorie
1.1.1. Diskontinuität
1.1.2. Komplementarität
1.1.3. Kontextualität
1.1.4. Nichtlokalität
1.1.5. Wahrscheinlichkeitsausrichtung
1.1.6. Beziehungen statt Objekte
1.1.7. Überwindung der zweiwertigen Logik durch
die Quantenlogik
1.1.8. Dichotomie zwischen unitärer Entwicklung
der Wellenfunktion und irreversibler Reduktion der Wellenfunktion
1.1.9. Beobachterabhängigkeit
1.2.1. Der Beobachtungsprozeß in der Quantenmechanik
1.2.1. Schrödingers Katze
1.3. Das Unbeobachtete in der Quantenmechanik:
"Du sollst dir kein Bild machen"
2. Informationstheoretischer
Teil
2.1. Abstrakte Theorie der Information
von Holger Lyre
2.1.1. Vollständiger Informationsbegriff
2.1.2. Definition: Information
2.1.3. Syntaktischer, nachrichtentechnischer
Aspekt der Information
2.1.4. Semantischer Aspekt der Information
2.1.5. Pragmatischer Aspekt der Information
2.1.6. Systematik des vollständigen Informationsbegriffs
2.2. Weizsäckers Ur-Hypothese
2.2.1. Mehrfache Quantisierung
2.3. Der quantenmechanische
Meßprozeß in informationstheoretischer Sichtweise
2.4. Das Modell der Pragmatischen
Information von Walter von Lucadou
2.5. Weitere experimentelle
Indizien für die Informationshypothese
2.5.1. Das EPR-Paradox im menschlichen Gehirn
2.5.2. Polyseme Wörter
2.5.3. Quantenmarkieren und -radieren
2.5.3.1. Beschreibung Quantenradierer
3.
Systemtheoretischer Teil
3.1. Gregory Bateson
3.1.1. Was ist ein Unterschied?
3.1.2. Creatura-Pleroma
3.2. Die Theorie autopoietischer
Systeme von Niklas Luhmann
3.2.1. Autopoiesis
3.2.2. System/Umwelt-Differenz
3.2.3. Differenz statt Identität
3.2.4. Operationen statt Gegebenheiten
3.2.5. Sinn
3.2.5.1. Sinn und Sein
3.2.5.2. Sinn und Evolution
3.2.5.3. Sinndimensionen
3.2.6. Sinn und Information
3.2.7. Operation und Beobachtung
3.2.8. Wer kann beobachten?
3.2.9. Strukturelle Kopplung
3.2.10. Die Frage der Grenze
3.2.11. Die Frage des Menschen
3.3. Zusammenfassung
3.3.1. Das Problem der Rückübertragung
3.3.2. Die Frage des Menschen
3.3.3. Ist der Begriff der Beobachtung nützlich
hinsichtlich des Beobachtungsproblems in der Quantenmechanik?
3.4. Vorläufiger Versuch
einer Zusammenfassung des wissenschaftlichen Beobachtungsbegriffs
II. Teil Nichtbeobachten
4. Versuch eines
anderen Anfangs
4.1 Was ist die 1?
4.2. Martin Buber
4.2.1. Das dialogische Prinzip
4.2.2. Fazit
4.3. Paradoxie des Beginns
4.4. Zeit
4.4.1. Aktuelle Gegenwart - wiederabgerufene Gegenwart
4.5. Potentialität
5. Die Grenzen der Wissenschaft
6. Psychologie
der möglichen Entwicklung
6.1. Vom Umgang mit Formen
6.2 Der Weg des Festhaltens der
2
6.3. Ein Weg hin zur 1
6.4 Oszillationen
6.5. Desinformation/Transformation
6.6. Abschließende Betrachtung
des Beobachtungsproblems
7. Schlußbetrachtung
Ein Schmerz, ein Riß, ein Unterschied
Das Thema dieser Arbeit ist die Beobachtung. Hinter diesem harmlosen Begriff verstecken sich viele große Fragen und vielleicht das größte Mysterium: Wie und warum kommen Dinge in die Existenz? Die Beobachtung scheint den Übergang zu markieren zwischen einem potentiellen Möglichkeitshorizont und den aktuellen manifesten Ereignissen. In der Quantenphysik nennt man diesen Übergang den Kollaps der Wellenfunktion und er stellt den Wechsel dar von holistischen quantentheoretischen zu klassischen Beschreibungen, die in Raum und Zeit angesiedelt sind. Dieser Dichotomie zweier komplementärer Beschreibungen versuchen wir durchgehend gerecht zu werden, nur so kann eine annähernd vollständige Beschreibung unseres Thema gelingen. Die Arbeit kreist um den "verschieblichen" Schnitt, den die Beobachtungen ziehen. Um diese Grenze auszuloten, werden mehrfach die Seiten gewechselt, viele verschiedene Betrachtungsweisen aus unterschiedlichsten Bereichen werden angeführt.
Da die Arbeit immer wieder neue Anläufe unternimmt, das Problem der Beobachtung von verschiedenen Wissenschaftsbereichen und philosophischen Richtungen anzugehen, möchte ich dem Leser die zum Verständnis notwendigen Einführungen in die jeweiligen Einzelkontexte vermitteln. Außerdem wird dadurch ansatzweise ein generalistischer Überblick über den gegenwärtigen Forschungsstand möglich. Aufgrund der unterschiedlichen Zielsetzungen und Terminologien der einzelnen Theorien ist jedoch keine fugenlose Aneinanderreihung möglich. In diesem abstrakten transdisziplinären Argumentationsstrang, der immer wieder durch angeführte experimentelle Befunde gestützt wird, erhalten die beiden verbindenden roten Fäden der Arbeit durch den Wechsel der bereichsspezifischen Perspektiven und terminologischen Eigenheiten einen unvermeidlich diskontinuierlichen, kompilatorischen Charakter. Die beiden angesprochenen Fäden sind:
1. Unter welchen Voraussetzungen können sich Beobachtungen ergeben
und wie sind sie beschreibbar.
2. Wie lassen sich Beobachtungen im Vergleich zum Unbeobachteten weltanschaulich
einbinden und einer "Nichtbeobachtung" gegenüberstellen. Und läßt
sich mit letzterer der Versuch eines anderen Anfangs wagen?
Die Arbeit besteht aus zwei großen Teilen. Im ersten Teil stellen wir den Beobachtungsbegriff vor, wie er aus dem Blickwinkel der Theorien verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen betrachtet wird (insbesondere der Quantenphysik, der Informationstheorie und der Systemtheorie). Nachdem wir die Beiträge der angeführten Theorien zusammengetragen und gesichtet haben, versuchen wir eine abstrakte Definition des wissenschaftlichen Beobachtungsbegriffs. Im zweiten Teil erweitern wir den Fokus und versuchen den Beobachtungsprozeß in eine übergreifende Perspektive einzubinden, indem wir die Vorbedingung jeder Beobachtung, den holistischen Beziehungscharakter im Kontext einer möglichen Entwicklung des Menschen beschreiben. Ich hoffe, daß dadurch eine andere, dem Beobachten komplementäre Form des Weltzugangs angemessen beschrieben wird: das "Nichtbeobachten".
Als Ausgangspunkt dient uns der Blickwinkel der Quantenphysik, von dem die bemerkenswertesten wissenschaftlichen Experimente und philosophischen Untersuchungen zum Beobachtungsprozeß ausgingen. In der Quantenphysik läßt sich auch par excellence beobachten, wie stete Verfeinerung der Meßmöglichkeiten schließlich bis zu einer prinzipiellen Grenze des wissenschaftlich Erklärbaren vorgedrungen ist und durch den vorgefundenen holistischen Beziehungscharakter auf die Begrenztheit des analytisch begrifflichen Erkenntnisvermögens aufmerksam werden läßt. Diese Grenze ist das Unbekannte vor jedem Beobachtungsvorgang. Die Ergebnisse der Quantenphysik lassen das klassische Weltbild mit seinen deterministischen, lokalen und kausalen Prinzipien im Möglichkeitshorizont vor der Beobachtung zusammenbrechen und machen einem holistischen Weltbild Platz. Die philosophischen Prinzipien, die hinter den quantenphysikalischen Vorgänge stehen werden im ersten Abschnitt kurz erläutert, da sie erkenntnistheoretische Konsequenzen beinhalten, die auch für emergente Sinnebenen zu gelten scheinen. Daher erscheinen Erkenntnistheorien, die rein mit klassischen Prinzipien operieren, nach den Entwicklungen in der Quantenphysik nicht mehr adäquat.
Gerade am Punkt des Beobachtungsvorgangs und dem damit verbundenen Übergang von Möglichkeit zur Faktizität gelangte eine ungeheuere Freiheit in die Welt der Physik, aber auch ein unüberwindlich scheinendes Rätsel. Anschließend wollen wir dieses Quantenrätsel in abstrakte informationstheoretische Termini umschreiben. Feinsinnige Beobachter der Meßthematik hatten erkannt, daß das Psyche-Materie-Dilemma am besten durch einen verbindenden dritten Begriff, Information als Erschaffung von Form, ausgedrückt werden sollte und so erlangen informationstheoretische Ansätze in der Diskussion um den Beobachtungsvorgang immer größere Bedeutung. Den Zugang zur informationstheoretischen Sichtweise des Beobachtungsvorgangs wähle ich anhand der Theorien der Weizsäckers (Carl Friedrich, Ernst Ulrich und Christine) und seines Schülers Holger Lyre, da sich vor allem bei letzterem ein Modell eines vollständigen Informationsbegriffs finden läßt.
Im Übergang von informationstheoretischen zu systemtheoretischen Ansätzen dienen uns zwei weitere kluge Perspektiven auf den Beobachtungsbegriff. Dies wäre erstens das Modell der Pragmatischen Information des Freiburger Physikers, Parapsychologen und Systemtheoretiker Walter von Lucadou und zweitens die Kybernetik Gregory Batesons. Als nächstes widmen wir uns dem meiner Meinung nach zur Zeit erkenntnistheoretisch anspruchsvollsten Denksystem, der Theorie der autopoietischer Systeme von Niklas Luhmann. Dieses stellen wir etwas ausführlicher dar, da dort einerseits der Beobachtungsbegriff in einer neuen theoretischen Konzeption behandelt wird und uns die Überlegungen Luhmanns und die seines wichtigsten Nachfolgers Peter Fuchs als Gegenposition zu unserer im Anschluß entwickelten erweiterten Sichtweise des Beobachtungsvorgangs erscheinen. Ich möchte versuchen zu zeigen, daß die Systemtheorie von Luhmann und Fuchs nicht den Ansprüchen an eine Erkenntnistheorie genügt, die sich aus den möglichen philosophischen Konsequenzen der Quantentheorie ergeben.
Es geht in dieser Arbeit auch um Leitdifferenzen . Dabei werden verschiedene Leitdifferenzen beleuchtet und deren Implikationen dargestellt. Damit soll erkenntlich gemacht werden, welches ich für die geeignetste Leitdifferenz halte, der umfassenden Beschreibung des Beobachtungsprozesses gerecht zu werden. Ich habe dazu insbesondere die Unterscheidungen Aktualität-Potentialität (Lyre/C.F. von Weizsäcker) und System-Umwelt (Luhmann/Fuchs) zur näheren Untersuchung ausgewählt. Etwas vorgreifend möchte ich betonen, daß diese Unterscheidungen die von mir vermutete Anfangsdifferenz der Beobachtung verfehlen (sie setzen zu spät ein!): es ist dies der Unterschied zwischen Ununterschiedenheit und Unterschiedenheit, bzw. zwischen Beziehung und Trennung. Ich möchte es noch kürzer ausdrücken: zwischen der 1 und der 2.
Diesen Gedanken habe ich in entsprechender Weise bei Martin Bubers Unterschied zwischen dem Ich-Du-Grundwort und dem Ich-Es-Grundwort gefunden, mit dem wir den zweiten Teil der Arbeit einleiten wollen. Die Eins wird nicht im Sinne einer Zählung verstanden, sondern als Urprinzip, als Archetyp der Einheit und des Zweitlosen. Die 2 steht für das Prinzip des Unterschiedenen und jede Form der Dualität: von Erkennenden und Erkenntnisgegenstand, Psyche und Materie, Aktualität und Potentialität, System und Umwelt usw. Wählt man die Unterscheidung zwischen Ununterschiedenheit und Unterschiedenheit, muß man zwangsläufig versuchen, über das Jenseits des Schnitts, der die Unterschiedenheit begründet, hinauszuahnen, sonst würde diese Unterscheidung keinen Sinn machen. Der eine Pol würde ausgelöscht. Solch ein Vorgehen wäre wie ein Schiff direkt auf die Sandbank zu setzen, weil man die Reise durch die Unwägbarkeit der Mutmaßungen und Ahnungen vermeiden will. Diese Arbeit folgt keineswegs einer solchen Perspektive, im Gegenteil, sie nimmt die unvermeidlichen Unschärfen und Verzerrungen in Kauf, die eintreten, wenn man mit Hilfe der 2 etwas über die 1 aussagen will. Denn dieses Sagen kann nur in einem Hindurchahnen geschehen und jedes entsprechende Wort müßte eigentlich in Anführungsstrichen stehen.
Das Zentrum der Untersuchungen bildet die Keimzelle zur Entwicklung,
die Begegnung mit der Welt, die zur Beobachtung führt. Der Unterschied
zwischen der 1 und der 2 wird als die Möglichkeit zweier unterschiedlicher
Weltzugänge des Menschen beschrieben, dem Beobachten und dem Nichtbeobachten.
Das Nichtbeobachten steht stets im Dienste der Entwicklung zur Ganzheit
und meint die Einstimmung auf die Präsenzresonanz des jeweiliges Beziehungsereignisses.
Daran ist klar eine idealistische Ausrichtung zu erkennen : die Arbeit
begnügt sich nicht mit einer Skizzierung des vorgeblich neutral und
allgemein psychisch Vorfindbaren, sondern versucht in der Beschreibung
der unterschiedlichen Aspekte der Formentstehung skizzenhaft eine abstrakte
Psychologie der möglichen Entwicklung zu beschreiben, einer
Psychologie, die den Prinzipien entspricht, wie sie in der Quantenphysik
deutlich wurden. So könnte man sie auch als "Quantenpsychologie"
oder als ganzheitlich-spirituelle Psychologie bezeichnen. Ganzheitlich
spirituelle Psychologie deshalb, weil sie dem Erleben des Verbundenheitsaspekt
im Beziehungsereignis ebensolchen (und sogar letztlich einen höheren
bzw. finalen) Wert zuweist als der analytischen trennenden Beobachtung.
Anhand des Verhältnisses zwischen Beobachtung und Wertung werden wir
zuletzt zwei verschiedene Grundformen des Umgangs mit Formen näher
ausführen und dies zum Abschluß in ein panoramisches Gesamtbild
des Verhältnisses zwischen der 1 und der 2 zusammenfassen.
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