Psychodynamik und Kreativität
Autor: Dr.med. Brigitte Haléwitsch
Keywords: Psychodynamik, Kreativität, Kreapädie, Psychotherapie, Erkenntnis
Language: German
Copyright: CO@MED-Verlagsgesellschaft, 1999, Sulzbach/Ts. 100276.210@compuserve.com
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  • Mysteriöse Unbekannte mit vielen Namen
  • Erkenntnis macht kreativ
  • Heidrun - Krank ohne Probleme
  • Hanne - Die Topfigur
  • Diskussion
  • Literatur und Adresse
  • Mysteriöse Unbekannte mit vielen Namen
    Das 20. Jahrhundert hat bekanntlich außer der Atomenergie die Seele entdeckt und könnte auch als das Jahrhundert der Psychotherapie bezeichnet werden. Es existiert heute eine große Vielfalt verschiedener Methoden, ganz abgesehen von mehreren integrativen Ansätzen. Wenn auch seitens der Krankenkassen nicht alle Techniken anerkannt sind, steht doch prinzipiell jedem potentiellen Psychotherapieklienten eine Fülle von Möglichkeiten zur Auswahl, so daß seine Gesamtsituation und Problematik in individueller Weise Berücksichtigung finden kann.

    Man darf allerdings hierbei vielleicht auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen Aufwand und Wirkung aufwerfen. Leider kann sich die wachsende Konkurrenz auf dem Psychomarkt kaum als qualitätssteigernder Faktor auswirken, da von den einzelnen Gruppierungen um die Gunst der Klienten in ähnlicher Weise geworben wird wie in der Politik um diejenige der Wähler. Jede Methode stellt sich unter Vernachlässigung grundlegender methodenunabhängiger Problemaspekte als Allheilmittel dar und sucht sich von Konkurrenten durch diskriminierende Unterstellungen abzugrenzen. Entsprechende Fachsprachen werden wie Fremdsprachen benutzt und tragen ein gut Teil zur Verdunkelung bei. Dem Klienten, der garkeine Chance zur Bildung eines eigenen Urteils hat, wird eine freie Wahl wie im Supermarkt suggeriert. Darüberhinaus wird seine Aufmerksamkeit einseitig auf Kriterien auf Seiten des Therapeuten gelenkt , während der entscheidende Faktor seiner eigenen Motivation immer mehr in den Hintergrund gerät und an Bedeutung verliert. Der Klient wird hierdurch unbewußt in eine Konsumentenhaltung gegenüber Psychotherapie gedrängt, die deren Wirksamkeit von vorne herein entscheidend einschränken muß.

    Trotz ihrer zunehmenden Verbreitung scheint eine Kenntnis über allgemeine Wirkungsweise von Psychotherapie nicht entsprechend ins Bewußtsein gedrungen zu sein. Es läßt sich tatsächlich nicht übersehen, daß sowohl in der Bevölkerung als auch bei den Ärzten ein erstaunlich geringer Kenntnisstand hinsichlich bestimmter grundlegender psychodynamischer Gegebenheiten vorliegt und an Fehlvorstellungen hartnäckig festgehalten wird. Auch die Berichterstattung und Interpretation psychotherapeutischer Themen in den Medien ist durchgängig eher als desinformativ zu werten, indem überwiegend Sensationslüste bedient oder Vorurteile bestätigt werden, wobei geringe Sachkenntnis in der Darstellung zum Ausdruck kommt. Wenn Journalisten vielleicht noch nachgesehen werden kann, wenn sie zeigen, was Menschen zu sehen wünschen bzw. im Verborgenen lassen, was die Mehrheit nicht interessiert, so verdient fortgesetzte ärztliche Ignoranz dagegen kein Verständnis. Zurückzuführen ist hier der Tatbestand inhaltlicher Unkenntnis, der häufig in Kombination mit akdemischem Teilwissen als Besserwissertum anzutreffen ist, allerdings auf Ausbildungsmängel.

    Der ärztlichen Ausbildung fehlt Selbsterfahrung als selbstverständlicher Bestandtteil. Wo solche als Pflichtbaustein in vorgeschriebenen Weiterbildungsgängen einen eben geduldeten Platz gefunden hat, findet dort vielfach offensichtlich nicht statt, was diese Bezeichnung verdient. Der typische Arzt bleibt daher ein Beckmesser, der an "Selbsterfahrung", wenn überhaupt, allenfalls die Anzahl Doppelstunden nötig hat, wie bestimmte Zertifikate und Abrechnungsberechtigungen von ihm verlangen, in speziellen Gruppen verbracht zu haben. Ein solcher Kandidat erhält sich die mitgebrachte und durch seine Weiterbildung lediglich etwas modifizierte Überzeugung, daß er allein mit seinem sogenannten gesunden Menschenverstand ausreichend gut psychotherapieren kann. Es ist schwer vorstellbar, wie er unter solchen Umständen, selbst als designierter Psychotherapeut imstande sein sollte, psychodynamische Vorgänge bei seinen Klienten ohne grobe Verzerrung zu zu erfassen und in angemessener Weise darauf zu reagieren. Ohne entsprechende Selbsterfahrung kann der Arzt garnicht erkennen, daß Psychotherapieklienten in der Regel nicht unter exotischen, telegenen Spezialproblemen leiden, sondern in den allermeisten Fällen unter dem, was den meisten Menschen das Leben schwer machen kann. Er wird durch diese Einstellung zum Schaden seiner Klienten also zwangsläufig zur Erhaltung des Vorurteils beitragen, daß Psychotherapiepatienten eine ganz andere Sorte Menschen darstellen, zu der niemand gehören möchte, wenn es sich irgend vermeiden läßt. Da Menschen nach einer Psychotherapie erwiesenermaßen seltener ernsthaft krank sind, ließen sich erhebliche Kosten im Gesundheitswesen einsparen unter der Voraussetzung, daß Ärzte ein anderes Verhältnis zu Selbsterfahrung gewinnen. Im Hinblick auf die bei Ärzten bekanntlich erhöhte Selbstmordrate dürfte Anlaß hierzu genügend gegeben sein.

    Psychotherapie, die sinnvollerweise besser als begleitetes Wachstum denn als spezielle Technik zu verstehen ist, benötigt wie jedes Wachstum den Faktor Zeit. Der Arzt ohne ausreichende Selbsterfahrung bleibt aber ein Macher und tendiert von daher in der Regel dazu, schnelle Verfahren den langsamwirkenden vorzuziehen. Soweit hierdurch Selbsthilfepotentiale bei Klienten mobilisiert werden können, wirkt sich ein Angebot von Kurzverfahren wie AT oder NLP sicher insgesamt hilfreich aus. Der Arzt, der für die eigene Person jedoch Selbsterfahrung als ein nach Möglichkeit zu vermeidendes Übel betrachtet, wird nicht imstande sein, seinen Klienten die potentiell lebensentscheidende Bereicherung solcher Erfahrung überhaupt als wünschenswert nahezubringen.

    Am wenigsten verbreitet hat sich im allgemeinen Bewußtsein einschließlich des ärztlichen die grundlegende Bedeutung der Motivation eines Psychotherapieklienten für die Wirksamkeit jedes Verfahrens. Eines der zählebigsten Fehlurteile, das in vielen Fällen zu Vergeudung psychotherapeutischen Potentials führt, beinhaltet die Grundannahme, daß Psychotherapie vor allem derjenige Patient benötigt, der irgendwie „arm dran ist" bzw. dem mitleidigen Arzt in irgendneiner Weise als besonders bedauernswerter armer Teufel erscheint. So werden vorzugsweise Personen, die einen Arbeitsplatz, einen Lebenspartner, einen Angehörigen verloren haben oder bei denen eine nahezu unheilbare Krankheit diagnostiziert wurde, zum Psychotherapeuten geschickt oder selbst in eine entsprechende Behandlung genommen. Eine besondere Zuwendung solcher Art mag den betreffenden Personen wohltun, hat jedoch mit Psychotherapie nur wenig zu tun. Was sich in diesem Mechanismus verborgen am Leben erhält, ist die ärztlich gestützte Fehlvorstellung, daß ein Mensch vorwiegend durch äußere Schicksalseinwirkung psychotherapiebedürftig wird, oder anders gesagt, daß es in erster Linie schwerer Schicksalsschläge bedarf, um eine Psychotherapie zu „brauchen". Umgekehrt verbirgt sich darin die irrige Wunschvorstellung neurotischer Menschen, daß es zu ihrer Heilung lediglich einer Veränderung in der bösen Umwelt bedarf.

    Der ausreichend selbsterfahrene Arzt dagegen weiß aus eigener Erfahrung, daß eine bestimmte Einstellung zu sich selbst, zum eigenen Leben, insbesondere zu seinen Leidensaspekten erforderlich ist, um ein psychotherapeutisches Angebot ebenso wie Selbsterfahrung sinnvoll nutzen zu können. Er weiß dann auch, daß hiervon grundsätzlich jeder Mensch profitieren kann, weil Jedermann seine neurotischen Einschränkungen hat. Eine geeignete Haltung ist manchen Menschen von sich aus stärker gegeben, bei anderen kann sie in einem gewissem Umfang induziert werden. Hierzu ist jedoch nur der ausreichend selbsterfahrene Arzt (Ärzte einschließlich sonstiger heilkundlich tätiger Berufe) imstande. Derjenige Klient aber, der in Psychotherapie gesandt wird, weil er für bedauernswert gehalten wird, wird gleichzeitig in eine unvermeidliche Enttäuschung geschickt.
     
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    Erkenntnis macht kreativ
    Menschen, die ihr Leben im Verlaufe einer Psychotherapie oder auf dem Wege intensiver Selbsterfahrung wirklich neu gestaltet haben, sprechen darüber wesentlich seltener als solche, die über entsprechende Fehlschläge zu berichten haben. Was solche Menschen, die sich glücklich schätzen, in den Genuß dieser Chance eines zweiten Lebens gelangt zu sein, in auffallender Weise auszeichnet, sind mitnichten Defekte, Schwächen oder Anzeichen von Versagen. Vielmehr erscheinen solche Menschen eher außergewöhnlich vital und kreativ. Hieraus kann geschlossen werden, daß Kreativität in einem bestimmten, noch zu definierenden Sinne, als Wirkungskriterium für gelungene Selbsterfahrung betrachtet werden kann, wobei eine wachstumsorientierte Psychotherapie als ein Spezialfall hiervon gelten darf.

    Mit Kreativität ist in diesem Zusammenhang ein variabler Komplex von Eigenschaften, Haltungen und Fähigkeiten gemeint, die eine Voraussetzung für eine eigenständige und konstruktive Lösung von allgemeinen Lebensproblemen darstellen. Hiervon ausdrücklich abzugrenzen sind andere Verwendungen des vieldeutigen Begriffes Kreativität. Soweit diese Bezeichnung für regressive Zerstreuung verwendet wird, steht ebenso ein anderes Verständnis dahinter als in Verbindung mit Kunst bzw. Begabung. Von der älteren Psychologie wurde Kreativität in letzterer Bedeutung als angeborene Eigenschaft bestimmter besonderer Menschen behandelt. Interessanterweise bewegen sich hinsichtlich des Kreativitätsverständnisses Kunst und Psychologie heute eher aufeinander zu. Von beiden Seiten wird Kreativität heute weniger als gegebene Eigenschaft denn als Prozeß betrachtet. Aus der Sicht einer prozeßorientierten Psychotherapie betrachtet dreht sich das ganze Verfahren im Grunde um das kreative Potential des Klienten.

    Wie aus den beiden folgenden Beispielen hervorgeht, spielen in einer solchen prozeßhaften Entwicklung Haltungen und. Blockaden eine entscheidene Rolle, die Jedermann bekannt anmuten dürften. Was ist normal - welche Rolle spielt Veränderung im Leben ?
     
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    Heidrun - Krank ohne Probleme
    Die junge Frau wurde von ihrem Arzt wegen einer schweren therapieresistenten Migräne in Psychotherapie geschickt. Obwohl persönlich davon überzeugt, daß sie unter einer rein körperlichen Krankheit leide und keinerlei Probleme habe, folgte sie in ihrer Verzweiflung der Empfehlung.

    Sie berichtete nach und nach über recht belastende Lebensereignisse. Als Tochter einer zeitlebens depressiven Mutter, hatte sie diese schon als Kind mehrfach vor dem Selbstmord retten müssen. Später als Jugendliche drangsalierte sie ein besitzergreifender Vater mit jahrelangem Psychoterror. Sie heiratete einen Jugendgeliebten. Ein Wunschkind wurde mit schwerer geistiger Behinderung geboren. Ärzte warnten vor weiterer Nachkommenschaft, so daß Heidrun auf diesen Lebenswunsch verzichten mußte. Nach jahrelangem vergeblichem Bemühen um das behinderte Kind starb dasselbe, wofür der Ehemann sie verantwortlich machte. Anschließend hatte Heidrun neben ihrem Beruf als Botin wiederum mehrere Jahre lang die verwirrte Großmutter ihres Mannes zu pflegen, der sie nichts rechtmachen konnte. Tagsüber trug sie bei jedem Wetter schwere Pakete aus. Abends hatte sie zu Hause einen täglichen Kleinkrieg um Ordnung mit einem Ehemann zu führen, der seine Kleidungsstücke und Gebrauchsgegenstände in der Wohnung zu verteilen liebte, damit seine Frau „auch etwas zu tun haben solle". Ein Selbstwertgefühl existierte nicht mehr.

    Doch Heidrun beharrte darauf, keinerlei Probleme zu haben. Sie fand ihr Leben selbstverständlich, so wie es war, und lebte in der Vorstellung, daß es anderen Menschen auch nicht besser ginge. Das Leben erschien ihr zwar grau und sinnlos, aber das fand sie sozusagen normal. Tatsächlich litt sie lediglich unter ihren Migräneanfällen und sah keinerlei Zusammenhang zwischen diesen und irgendwelchen seelischen Hintergründen. Menschen mit Problemen waren in ihren Augen Versager und Jammerlappen.

    Im Verlaufe ihrer Psychotherapie und begleitenden Selbsterfahrung änderte sich diese Situation allerdings erheblich. Heidrun wurde nämlich zunehmend unzufriedener mit ihrem Leben, gleichzeitig wurden ihre Migräneanfälle seltener. Sie erkannte, daß sie ihrerseits ihrem Mann die Schuld an dem Tode des behinderten Kindes gegeben hatte und keine Bereitsschaft aufbringen konnte, ihm zu verzeihen. Ebensowenig fühlte sie sich in der Lage, ihrem Vater , ihrer Mutter, den Ärzten oder ihrem Schicksal zu verzeihen. Immer noch in der Überzeugung, daß sie keinerlei Probleme habe, faßte Heidrun den Entschluß, zusammen mit ihrem Mann auszuwandern, um einer Gesellschaft endgültig den Rücken zu kehren, in der einer der Wolf des anderen sein müsse. In ihrer Psychotherapie damit konfrontiert, daß sie beabsichtigte, vor Problemen wegzulaufen, um diese nicht wahrnehmen zu müssen, nahm sie Abstand von dem Emigrationsvorhaben. Jetzt hatte Heidrun Probleme, aber keine Migräneanfälle mehr.

    In der Folgezeit setzte eine fulminante Entwicklung ein. Heidrun nahm eine abgebrochene Ausbildung wieder auf, fand eine wesentlich attraktivere neue Beschäftigung und begann, sich kreativ zu betätigen, indem sie Zeitungen illustrierte. Sie veränderte sich auch äußerlich positiv, entdeckte ihren Ehemann als erotischen Partner neu und entwickelte erstaunlich viel Humor. Sie sprühte vor Lebendigkeit, Neugier und Interesse an der Welt und an den eigenen früher ungeahnten Fähigkeiten. Das Verhältnis zur Mutter entspannte sich bis zu der Möglichkeit hin, miteinander lachen zu können. Es wurde ihr immer unvorstellbarer, in welchem Lebensgefühl sie jahrelang gelebt, wie sie dieses ausgehalten hatte. Jetzt hatte sie eine Zukunftsperspektive. Vielleicht würde sie sogar doch noch ein zweites Kind bekommen, vorausgesetzt daß sie mit ihrem Mann zusammenbliebe. Als Heidrun ihre Therapie beendete, waren nicht etwa alle Lebensprobleme gelöst. Vielmehr konnte Heidrun jetzt damit leben, daß Probleme zum Leben gehören wie der Hintergrund zum Bild.
     
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    Hanne - Die Topfigur
    Hanne ist eine recht normal wirkende Frau Mitte Dreißig. Sie will auch garnichts anderes sein. Sie möchte nämlich so sein, wie die meisten Frauen sein wollen. Die meisten Frauen wollen schlank sein und eine aufregende erotische Beziehung mit ihrem Partner haben. Dies und nichts anderes sind Hannes Therapieziele. Genauer gesagt stehen diese Ziele oben auf einer Liste der von ihr zu verwirklichenden Wünsche. Hanne hat in dieser Hinsicht ihre festen Vorstellungen, von denen sie wahrscheinlich kein Therapeut abbringen könnte. So wie wie sie ihren Hals gewohnheitsmäßig versteift, zeigt dies deutlich ihre Halsstarrigkeit. Was für ein Spinner wäre ein Therapeut, der nicht weiß, daß „eins nach dem anderen" kommt. Zuerst kommt also die Modellierung der eigenen Figur, danach dann die Erotik, und dann erst vielleicht noch irgendwelche sonstigen Punkte.

    Hanne hat eine ganz normale Figur und sieht meistens blühend aus. Sie ist eine ausgesprochen hübsche Frau mit deutlichen Rundungen. Auch ihr Eßverhalten ist ganz normal. Leider steht Hannes Ehemann nur auf zartere Frauentypen, was er ihr ständig unter die Nase hält. Er findet z.B. auch, daß ihr Parfüm nach Klo riecht. Die Beziehung war noch nie wirklich gut. Hanne hat diesen Mann geheiratet, weil er ihrer Mutter gefallen hat. Er würde auch vielen anderen Frauen zusagen, weil er gut aussieht, treu und solide ist, im Haushalt mithilft und ein sicheres Einkommen hat. Deswegen wäre sie schön dumm, dieses Juwel einer anderen Frau zu überlassen, nachdem sie jahrelang an ihm herumgefeilt hat. Hanne sagt sich, daß in keiner Ehe alle Wünsche erfüllt werden, und sowieso überall ein Wurm drin ist, nur verraten den die Leute nicht.

    Deswegen kommt für sie auch keine Trennung oder eine andere Beziehung infrage. Schließlich sind Männer ja doch irgendwie alle gleich. Ein eigenes Leben zu führen, wäre viel zu unbequem und teuer. In diese Richtung zieht es Hanne überhaupt nicht.

    Also kann sie nicht bleiben, wie sie ist. Diese Frau, die ihren Mann angeblich nicht reizt, lehnt Hanne ab zu bleiben. Sie schmiedet einen Abmagerungs-Schlachtplan, den die Therapeutin bewundern soll. Nach einem halben Jahr ist Hanne kaum wiederzuerkennen. Sie ist nach rigoroser Gewichtsabnahme tatsächlich ein anderer Frauentyp geworden. Jetzt strahlt sie eher vor Stolz denn aus Vitalität. Das Gesicht erscheint spitz, humorlos und streng. In einigen Jahren wird sie sehnig, zäh und giftig aussehen. Tatsächlich fühlt sich Hanne unzufriedener denn je. Jetzt nimmt sie sich nicht mehr einige überflüssige Pfunde übel sondern die eigene Unzufriedenheit. Sie müßte doch zufrieden sein, wenn sie so viele Frauen um ihr Traumgewicht beneiden.

    Ihr Mann findet sie jetzt sehr attraktiv und gibt gerne vor seinen Freunden an mit der Topfigur seiner Frau. Aber Hanne hat keine Lust mehr auf Sex mit ihm. So hat sich ihr Erotikproblem auf diese Weise auch bereits gelöst. Überhaupt gibt es wenig Lustvolles mehr in ihrem Leben, weil es auf die Dauer einfach keinen Spaß macht, von allem nur ganz wenig nehmen zu dürfen. Hanne hat früher gerne gefeiert. Jetzt ist sie ungesellig geworden. Ihre Arbeit war noch nie sonderlich interessant für sie, jetzt ist sie nahezu unerträglich, weil ihre Kolleginnen sie mit ihrer Diäterei aufziehen. Die sind doch bloß alle neidisch auf ihren Erfolg. Hanne hat auch keine Lust, sich eine neue Arbeitsstelle als Arzthelferin zu suchen. Hier langweilt sie sich zwar, aber sie kennt sich aus und wird für die erworbene Routine gut bezahlt. Wer weiß, welche Probleme anderswo auf sie warten. Die meisten Menschen suchen doch einen solchen Arbeitsplatz, an dem sie sich nicht anstrengen müssen und möglichst viele Vorteile und Freiheiten genießen.. Wer arbeitet schon gerne ? Es ist doch ganz normal, wenn einem der Job auf den Geist geht. Weitere Therapieziele hat Hanne nun nicht mehr. Denn es ist doch eigentlich auch ganz normal, unzufrieden zu sein. Bestimmt ist die Therapeutin auch nicht zufriedener mit ihrem Leben und gibt es nur nicht zu.
     
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    Diskussion
    Unabhängig von der immer gegebenen Möglichkeit, daß ein geeigneterer Therapeut vielleicht eine günstigere Entwicklung im Falle II bewirkt haben könnte, wird ersichtlich, daß Menschen eine prinzipiell unterschiedliche Haltung zu Veränderung einnehmen. Sofern Veränderung überhaupt eher angestrebt wird, sind auch die Aussichten auf eine fruchtbaren Verlauf von Psychotherapie günstiger. Es zeigt sich ferner, daß der psychotherapeutische Prozeß zwar immer zukunftsorientiert, nicht aber im Detail exakt planbar ist. Menschen, denen durch Selbsterfahrung bzw. Psychotherapie tiefgreifende Lebensveränderungen gelingen, haben individuelle kreative Lösungen für Probleme gefunden, unter denen alle leiden.

    Literatur

    1. Paul Matussek „Kreativität als Chance" - Piper 1979
    2. Abraham A. Maslow „Psychologie des Seins - Fischer 1990
    3. Rollo May „Der Mut zur Kreativität" - Junfermann 1982
    4. Arno Gruen „Der Wahnsinn der Normalität" - dtv 1989
    5. Daniel Goleman „Emotionale Intelligenz „ dtv 1997
    6. Michael Hauskeller „Was ist Kunst?" Beck’sche Reihe 1998
    7. Janssen-Cilag „Zukunft direkt" Mai 2/1996, Interview mit dem ehemaligen Präsidenten der Berliner Ärztekammer Ellis Huber
    Dr.med. Brigitte Haléwitsch
    Psychotherapeutische Medizin
    Psychoanalyse
    Diepensiepen 27
    40822 Mettma
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