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Das Online-Magazin
des DATADIWAN
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Ausgabe Nr. 2 / November 1998 - ISSN 1435-1560
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Autor: | Prof. Dr. Joachim Hornung, Jana Hinkel | |
Keywords: | Methodologie, Methodology, monophasische prospektive Einzelfallstudie, single-case studies, Wirksamkeitsnachweis, Naturheilkunde, Naturopathy, unkonventionelle Therapierichtungen, randomisierte placebokontrollierte Doppelblindstudie, single-case experimental design, N-of-1 randomized controlled trial, A-B-A withdrawal design, A-B-A reversal design, B-A-B withdrawal design, multiple baseline design, alternating treatment design, repeated measurement, baseline, changing criterion design, multiple schedule design, multi-element baseline design, randomisation design, simultaneous treatment design, independent verification, functional manipulation, carry-over effects | |
Abstract: | Single-case studies sind bisher hauptsächlich in der
klinischen Psychologie, aber auch zur Überprüfung der Wirksamkeit
somatotherapeutischer Therapieansätze verwendet worden.
Es wird eine Übersicht gegeben über die wichtigste Forschungsliteratur zu diesem Thema, über die verschiedenen Typen von single-case studies sowie über methodologische Implikationen. Eine Möglichkeit zur Therapieprüfung in den unkonventionellen Therapierichtungen kann das A-B design bieten, eine Sonderform des experimentellen A-B-A withdrawal design, welches allerdings einen nicht-experimentellen Ansatz darstellt. Single case studies have thus far been mainly applied in Clinical Psychology and for evaluating the effect of somatotherapeutic approaches. This is a survey on the most important research literature on this topic and on the different types of single case studies as well as methodological implications. A possibility for therapy evaluation in unconventional therapeutic approaches may be the A-B design, a special form of the experimental A-B-A withdrawal design, although this being a nonexperimental approach. |
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Copyright: | Patienteninformation für Naturheilkunde e.V., Berlin 1998 | |
Um diesen Ansatz zu vertiefen und möglicherweise ein passendes Studienkonzept zu entwickeln, schien es sinnvoll zu sein, die experimentellen Prinzipien bei der Durchführung von single-case studies anhand der vorhandenen Literatur zu erarbeiten. Dabei wird vor allem auf single-subject research designs, welche auch single-case experimental designs genannt werden und auf N-of-1 randomized controlled trials eingegangen werden.
Ziel dieser Arbeit ist es darzustellen, was single-case studies sind und auf welche Fragestellungen sie zur Zeit angewandt werden.
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Material und Methoden
Die Literatur, die unter dieser Fragestellung gelesen wurde, umfaßt
den Zeitraum von 1985-1995 für die Arbeiten, welche sich mit den theoretischen
Aspekten der single-case Methodologie auseinandersetzen und den Zeitraum
von 1990-1995 für die Arbeiten, welche experimentelle Anwendungsbeispiele
der single-case studies dar-stellen.
Die Literaturrecherche wurde in den Datenbanken Medline, Embase, Somed, Ethmed, Biosis, Psyndex und Psycinfo durchgeführt. Ebenso wurden Quellenangaben einzelner Autoren zur Literaturrecherche herangezogen.
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Einführung
Mit einem Überblick zum Thema single-case study wird das Prinzip
der single-case studies kurz dargestellt.
Bei der Durchführung von single-case studies müssen einige Grundregeln zur allgemeinen Verfahrensweise, wie repeated measurement, Erstellung einer baseline und changing one variable at a time, beachtet werden.
Single-case studies können nach dem single-case experimental design oder als N-of-1 RCT durchgeführt werden.
Den single-case experimental designs liegen verschiedene Schemata zugrunde, einmal das A-B-A withdrawal oder reversal design und andererseits das multiple baseline design.
Die Auswertung der in einer single-case study erhobenen Daten erfolgt in der Regel durch visuelle Analyse.
Ein besonderes Thema in der single-case Forschung ist die Frage nach
der Verallgemeinerung der Studienergebnisse, welche nur für einen
einzelnen Patienten erhoben wurden.
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Die Basis des Designs stellt der klinische Verlauf einer Erkrankung dar, im eigentlichen Sinne die Bewertung und Diagnostik der Erkrankung, die Festsetzung der Therapie, die Beobachtung des Patienten während der Behandlungsphase und die Beurteilung des Therapieerfolges, wobei Fehler bei der Bewertung des Therapie-erfolges durch subjektive Verzerrungen aufgrund der Erwartungen von Arzt und Patient, durch Spontanheilung, regression to the mean oder durch das Auftreten des obsequious bias, womit gemeint ist, daß die Frage des Arztes nach einer Verbesserung im Befinden des Patienten dem Arzt zuliebe bejaht wird, auftreten können. Solche Schwierigkeiten sollen durch den experimentellen Ansatz vermieden werden [2].
Eine single-case study kann nur dann zur Bestimmung der Wirksamkeit einer Therapie beitragen, wenn diese nicht kurativ wirksam ist und wenn diese eine schnelle Symptomänderung, welche auch schnell reversibel ist, hervorruft [17].
Grundlegende Arbeiten zur single-case Problematik sind von Hayes [24]
und von Barlow [5] vorgelegt worden, weshalb sich die folgenden Ausführungen
hinsichtlich der single-case experimental designs in ihrer Systematik in
erster Linie auf diese Arbeiten stützen werden, siehe auch [43].
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4.2.1 Repeated Measurement
Zum ersten wäre dies die Technik der repeated measurements, welche
kontinuierlich im gesamten Studienverlauf durchgeführt werden müssen.
Die Operationen zur Erlangung der Messungen müssen klar spezifiziert,
beobachtbar, allgemein bekannt und in jeder Hinsicht wiederholbar sein
[75]. Die Messungen selbst sollten bezüglich der benutzten Meßvorrichtungen,
des Zeitpunktes der Messungen (Tageszeit, Wochentag) und spezifischer Umweltbedingungen
unter standardisierten Bedingungen erfolgen, da ansonsten durch das Auftreten
von Pseudoeffekten im Datenmaterial keine Aussagen über die Ursachen
des beobachteten Effektes möglich sind [67]. Die Anzahl der Messungen
muß so an die Studienbedingungen angepaßt werden, daß
einerseits repräsentative Aussagen abgeleitet werden können und
auf der anderen Seite eine Verfälschung der Ergebnisse durch Ermüdung
der Studienteilnehmer oder durch einen sich einstellenden Trainingseffekt
bei Erhebung von zu vielen Meßwerten vermieden wird [5].
4.2.2 Baseline
Da die Daten im Krankheitsverlauf erhoben werden, ist es nötig,
über eine Ausgangsbeurteilung zu verfügen, mit der nachfolgend
die Wirksamkeit des experimentellen Eingriffs im Vergleich zum natürlichen
Verlauf bewertet werden kann. Dies wird durch die Erstellung einer Baseline
realisiert [76].
Um die Ausgangssituation wirklich mittels der Baseline so darzustellen, daß ein Vergleich zwischen dem natürlichen Krankheitsverlauf und der Effektivität der therapeutischen Intervention möglich wird, wäre die Ausdehnung der Baseline-Erhebungsperiode bis zum Auftreten eines stabilen Baselinemusters wünschenswert, wobei das Ausmaß der nötigen Stabilität von der Größe des zu erwartenden Therapieeffektes abhängt [24]. Die zeitliche Ausdehnung der Baselineperiode ist jedoch aus ethischen und technischen Gründen nicht unbegrenzt möglich [7].
Das Fehlen der Stabilität im Trend der Baseline-Daten kann durch den natürlichen Krankheitsverlauf verursacht sein. In diesem Falle zeigt sich entweder ein Abwärts-trend, was einer Verschlechterung im natürlichen Krankheitsverlauf entsprechen würde oder ein Aufwärtstrend, was bei einer Verbesserung im natürlichen Krankheitsverlauf auftreten würde. Ein anderer Grund für das Fehlen der Stabilität der Baseline-Daten kann das Auftreten eines Placeboeffektes zu Beginn der Studie sein, was sich in einem Abwärtstrend gefolgt von einem Aufwärtstrend im Datenmuster der Baseline zeigt [5].
Ein zweiter Punkt, der die Bedeutung der Erhebung der Baseline-Daten unterstreicht, ist die Möglichkeit, anhand des Baselinemusters eine Charakterisierung der Patienten hinsichtlich ihrer Vergleichbarkeit vorzunehmen [77].
4.2.3 Changing
One Variable at a Time
Besonders wichtig bei der Durchführung von single-case designs
ist der Grundsatz, beim Übergang von einer Phase zur nächsten
nur eine Variable zu ändern. Es ist ansonsten nicht möglich,
das quantitative Ausmaß des Effektes der unabhängigen Variable
auf die Zielvariable zu erfassen [5].
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4.3.1 Reversal-
und Withdrawal-Designs
Zu der Gruppe der reversal designs gehören auch die withdrawal
designs, welche sich von ersteren dadurch unterscheiden, daß die
Behandlung im Verlauf der Studie lediglich unterbrochen wird und nicht
wie bei den reversal designs durch eine Therapie mit dem umgekehrten therapeutischen
Ziel ersetzt wird.
Die reversal und withdrawal designs werden nach dem A-B-A-Schema und Variationen des A-B-A-Schemas durchgeführt, wobei in der A-Phase die Baseline-Daten erhoben werden und in der B-Phase die Zielvariable unter Behandlungs-bedingungen gemessen wird.
Das A-B-A design kann in verschiedenen Sonderformen ausgeführt
werden, welche nachfolgend erläutert werden.
4.3.1.1 Das A-B Design
Das einfache A-B-Schema, welches wirklich nur aus der Baseline-Phase
und der Behandlungsphase besteht, liefert keine sicheren Informationen
über den natürlichen Verlauf der Symptomatik ohne die Applikation
einer Therapie. Man kann deshalb nicht ausschließen, daß die
Veränderungen, welche gleichzeitig mit der Einführung der Therapie
in der B-Phase aufgetreten sind, auf den natürlichen Krankheitsverlauf
oder andere unkontrollierte Ereignisse zurückzuführen sind. Das
A-B design erlaubt nicht, evidente Schlußfolgerungen bezüglich
des Effektes einer Behandlung auf die Zielvariable zu ziehen [12, 52].
Andererseits wird das A-B design in einer Form durchgeführt, die keinen experi-mentellen Charakter hat, das heißt der Patient erhält genau die Therapie, die er auch ohne Teilnehmer dieser Studie zu sein erhalten hätte. Das Design kann also ohne zusätzliche gesundheitsschädliche Nebenwirkungen für den Patienten und mit einem Minimum an praktischen Schwierigkeiten durchgeführt werden.
In einem anderen Zusammenhang spricht Hornung [29] von dem HOTF-Schema, wobei die Buchstaben folgendes bedeuten:
H = patient history (Vorgeschichte, Anamnese)
O = observational period (baseline)
T = treatment period (Behandlungsphase)
F = follow-up period (Nachbeobachtungsphase).
4.3.1.2 Das A-B-A Design
Das A-B-A design läßt durch die Zurücknahme der Therapie
in der zweiten A-Phase eine Analyse der Therapieeffekte auf die Zielvariable
zu. Wenn die Einführung der Therapie im Vergleich zu den Baseline-Daten
zu einem Aufwärtstrend im Daten-material führt und die Zurücknahme
der Therapie dagegen zu einer Verschlechterung, dann kann man mit einem
hohen Grad an Sicherheit schlußfolgern, daß die Behandlung
für die in der Therapiephase beobachtete Besserung der Zielvariablen
verantwortlich ist. Ein Nachteil des A-B-A designs besteht darin, daß
die Studie, wenn die Wirksamkeit der überprüften Therapie bestätigt
wurde, mit einer Verschlechterung im Befinden des Patienten endet [5].
4.3.1.3 Das A-B-A-B Design
Diesen Nachteil kann man durch Einführung einer zweiten Behandlungsphase,
wie es bei der Durchführung eines A-B-A-B designs üblich ist,
beheben. Von Vorteil ist weiterhin, daß diese zweite Behandlungsphase
auch über das zeitliche Studienende hinaus verlängert werden
kann, wenn positive Effekte der Therapie auf die Zielvariable nachgewiesen
wurden. Außerdem kann in dieser Studienform der Therapieeffekt zweimal
demonstriert werden, einmal durch die Verschlechterung bei der Zurücknahme
der Therapie und das zweite Mal durch Verbesserung der Symptomatik bei
der Wiedereinführung der Therapie, was die Wahrscheinlichkeit, daß
die beobachteten Effekte der Therapie auf die Zielvariable wirklich auf
die Therapie zurückzuführen sind, erhöht [11, 12].
Beweiskräftigere Schlußfolgerungen lassen sich ziehen, wenn man gleichzeitig mit der Messung der Zielvariablen auch Nicht-Zielvariablen mißt, da die Nicht-Zielvariablen je nach Grad der Abhängigkeit von den Zielvariablen sich mehr oder weniger mit dieser ändern, wenn die Therapie die Änderung der Zielvariablen verursacht hat.
Die Verzerrung der Studienergebnisse durch die Erwartungshaltung des Untersuchers läßt sich weitgehend verhindern, indem man die Studie ohne Feedback für den Untersucher durchführt, wobei die Phasenlänge vor Beginn der Studie festgelegt werden muß. Die Verblindung des Untersuchers hat aber möglicherweise eine Verschlechterung der Qualität der Studie zur Folge, da Entscheidungen über den passenden Zeitpunkt der Einführung und der Zurücknahme der Therapie unter Beachtung des Datentrends und der Variabilität der Daten in den einzelnen Phasen nicht getroffen werden können [5].
4.3.1.4 Das B-A-B Design
Eine weitere Möglichkeit, eine single-case study nach dem withdrawal
design durchzuführen, ist das B-A-B-Schema. Dieses Schema endet zwar
nicht wie das A-B-A-Schema mit einer möglichen Verschlechterung, es
läßt jedoch durch das Fehlen einer initialen Baseline-Erhebung
keine Analyse der Therapieeffekte gegenüber dem natürlichen Verlauf
der Zielvariablen unter Studienbedingungen zu.
4.3.1.5
Erweiterungen des Withdrawal Designs
Das A-B-A withdrawal design kann auf verschiedene Art und Weise erweitert
werden. Dadurch wird es möglich, die Wirksamkeit zweier verschiedener
Therapien miteinander zu vergleichen. Es wird ebenso möglich, die
interaktiven Effekte von zwei oder mehr Therapiekomponenten zu untersuchen,
was von Bedeutung ist, wenn die Arzt-Patienten-Beziehung ein wichtiger
Teil der Therapie zu sein scheint [2].
Es lassen sich fünf Kategorien der erweiterten withdrawal designs unterscheiden, das A-B-A-B-A-B design, welches eine mehrmalige Wiederholung des einfachen A-B designs darstellt, das A-B-A-C-A design, wobei zwei verschiedene Behandlungs-komponenten mit der Baseline verglichen werden, das A-B-A-B'-B''-B''' design, welches dem parametrischen design entspricht und die Bewertung einer Therapie mit verschiedener Wirkungsintensität zum Beispiel im Sinne einer ausklingenden Therapie beinhaltet, das A-B-A-B-BC design, welches zur Untersuchung der interaktiven Effekte von zwei oder mehr Variablen dient und das A-B-C-D-E-F design, wobei das Datenmuster, welches in der jeweiligen Behandlungsphase erhoben wird, nach Erreichen eines vorher festgelegten Niveaus im Datenmuster der Zielvariable per definitionem das Baseline-Muster darstellen, mit dem die Ergebnisse, die nach Applikation der nächsten therapeutischen Intervention auftreten, verglichen werden (changing criterion design) [40, 63].
Die Ergebnisse der experimentellen Anwendung der withdrawal und reversal
designs sind wenig aussagekräftig, wenn carry-over Effekte wie bei
Medikamenten mit langer Halbwertzeit oder bei Therapien, die einen irreversiblen
therapeutischen Effekt hervorrufen, auftreten, wenn mehrere Zielvariablen
untersucht werden sollen oder eine Rücknahme der Therapie aus ethischen
Gründen nicht verantwortet werden kann [76].
In einer solchen Situation besteht die Möglichkeit, eine single-case
study auf der Grundlage eines multiple baseline designs durchzuführen.
4.3.2 Multiple Baseline
Design
Es existieren drei verschiedene Formen eines multiple baseline designs.
In jedem Fall besteht das Grundprinzip dieses Designs in der Erhebung mehrerer
Baseline-Muster. Beim multiple baseline design across behaviors werden
innerhalb eines Patienten mehrere Zielvariablen definiert. Für jede
dieser Zielvariablen wird eine gesonderte Baseline erhoben. Die Baselinemessungen
für die verschiedenen Zielvariablen werden während desselben
Zeitraumes durchgeführt. Die Einführung der Therapie auf die
verschiedenen Zielvariablen erfolgt jedoch zeitlich versetzt, so daß
bei voneinander unabhängigen Zielvariablen der zu beobachtende Effekt
auf die jeweilige Zielvariable der Therapie zugeschrieben werden kann.
Die Unabhängigkeit der einzelnen Ziel-variablen ist gewährleistet,
wenn sich bei der Einführung der Therapie eine Änderung nur im
Datenmuster der behandelten Zielvariable zeigt und die Datenmuster der
unbehandelten Zielvariablen, welche kontinuierlich erhoben werden, stabil
bleiben.
Beim multiple baseline design across subjects werden mehrere Patienten, welche vergleichbar sind und dieselbe Zielvariable aufweisen, in die Studie eingeschlossen.
Das multiple baseline design across settings ist durch die Erhebung mehrerer Baselines bezüglich der verschiedenen Behandlungssettings, in denen die Therapie der von dem in die Studie eingeschlossenen Patienten gezeigten Zielvariable durchgeführt wird, charakterisiert [7, 12, 13].
Ein multiple baseline design kann als Kombination mehrerer separater A-B designs begriffen werden, wobei nur durch die Unabhängigkeit der Variablen voneinander die aufgetretenen Effekte nach Einführung der Therapie dieser mit größerer Sicherheit als bei der Durchführung eines einfachen A-B designs zugeordnet werden können.
Beachtenswert ist, daß in diesem Design nur geringe Schwierigkeiten bei der Durchführung und keine gesundheitsschädlichen Nebenwirkungen für den Patienten, ähnlich wie bei der Durchführung einfacher A-B designs, auftreten und gleichzeitig aber die Wirksamkeit einer Therapie, eben durch die Anwendung dieses Designs als Kombination, überzeugend demonstriert werden kann.
Es ist ebenfalls möglich, daß ein multiple baseline design aus einer Kombination mehrerer reversal-designs besteht, was dieses zu einem experimentellen design umgestalten würde.
Die Wirksamkeit einer Therapie wird beim multiple baseline design anders als beim withdrawal design nicht direkt dargestellt, sondern aus den Datenmustern der noch nicht behandelten Zielvariablen abgeleitet [5].
4.3.2.1
Nonconcurrent Multiple Baseline Design Across Individuals
Zur Bewertung der Wirksamkeit einer Therapie für selten auftretende
Zielvariablen, bei denen es nicht möglich ist, mehrere Patienten gleichzeitig
in die Studie einzuschließen und zu bewerten, wird ein nonconcurrent
multiple baseline design across individuals verwendet. Hierbei werden die
Baselinelängen zu Beginn der Studie festgelegt und den im Laufe der
Zeit in die Studie eingeschlossenen Patienten durch Randomisierung zugeordnet.
Von Nachteil ist, daß die Therapie der Patienten nicht im selben
Zeitraum und daher wahrscheinlich auch nicht unter identischen Bedingungen
stattfinden kann [5].
Zur Prüfung der Wirksamkeit einer medikamentösen Therapie kann ein multiple baseline design across subjects verwendet werden, wobei in der Baselinephase ein Placebo verabreicht wird, gefolgt von der Gabe des zu prüfenden Medikamentes in der Behandlungsphase.
4.3.3 Alternating
Treatment Design
Das alternating treatment design stellt eine Möglichkeit zur Untersuchung
der relativen Wirksamkeit von zwei oder mehr Behandlungsmethoden oder Behandlungs-bedingungen
dar. Durch sehr schnelles Alternieren der Behandlungskomponenten innerhalb
eines einzelnen Patienten werden die Behandlungskomponenten praktisch unter
denselben Bedingungen und ohne unterschiedliche Beeinflussung der Behandlungskomponenten
durch möglicherweise auftretende Hintergrundtrends auf die Zielvariable
appliziert und können hinsichtlich ihrer Wirksamkeit miteinander ver-glichen
werden. Die Darstellung und Auswertung erfolgt für die getesteten
Methoden getrennt. Um endgültige Schlußfolgerungen ziehen zu
können, muß diese Studie an mehreren Patienten wiederholt werden.
Der Unterschied des alternating treatment design zum A-B-A-B-A-B design besteht in der durch Semirandomisation bestimmten Reihenfolge der Einführung der ver-schiedenen Behandlungsmethoden, wodurch Effekte, die aufgrund der Reihenfolge auftreten könnten, neutralisiert werden.
Das alternating treatment design ist auch unter den Namen multiple schedule design, multi-element baseline design, randomisation design und simultaneous treatment design bekannt [5].
Durch das Vorhandensein von carry-over Effekten treten Schwierigkeiten bei der Beurteilung der quantitativen Effekte auf, es kommt aber in der Regel nicht zur Umkehr des Verhältnisses der Wirksamkeit der beiden Behandlungen zueinander. Die Beurteilung des Ausmaßes der carry-over Effekte kann durch independent verification, das heißt durch Prüfung der Wirksamkeit einer der beiden Behandlungsformen im A-B design oder durch functional manipulation, das heißt durch Veränderung in der Dosis einer der beiden Behandlungsformen und Betrachtung der Auswirkungen auf die Daten, welche unter der unveränderten Dosis der anderen Behandlungsform erhoben werden, erreicht werden. Die Ergebnisse einer Studie nach diesem Schema lassen sich nur schwer auf klinische Bedingungen übertragen [5].
4.3.4 Auswertung
der erhobenen Daten
Die Daten der single-case studies werden in der Regel graphisch dargestellt.
Die Auswertung erfolgt in den meisten Fällen durch visuelle Analyse.
Sie bezieht sich auf Veränderungen im Niveau des Datenmusters in den
einzelnen Phasen, auf Veränderungen im Anstieg des Datenmusters beim
Übergang von einer Phase zur anderen, das Vorhandensein oder Fehlen
eines Anstiegs innerhalb einer Studienphase sowie Änderungen in der
Stabilität des Datenmusters beim Übergang von einer Phase zur
nächsten [11, 33, 51, 67].
4.3.5
Generalisierung der gefundenen Ergebnisse
Zur Begründung der Reliabilität der in einer single-case
study gefundenen Ergebnisse und zur Bestimmung der Allgemeingültigkeit
der gefundenen Ergebnisse unter ver-schiedenen Bedingungen ist es notwendig,
eine über das Individuum hinausgehende Replikation durchzuführen,
wobei man zuerst eine direkte und daran anschließend eine systematische
Replikation durchführt.
Bei der direkten Replikation wird das Experiment durch denselben Untersucher und in demselben setting repliziert. Durch die Replikation am selben Patienten wird die Reliabilität der Ereignisse geprüft. Die Allgemeingültigkeit der Ergebnisse hinsichtlich anderer Patienten, die die zu therapierende Zielvariable aufweisen, kann nur durch Replikation an mehreren anderen Patienten bestimmt werden, welche bezüglich der Hintergrundvariablen wie Alter, Geschlecht und Begleiterkrankungen zu dem Patien-ten der zu replizierenden Studie passen. Hat man die Reliabilität und teilweise die All-gemeingültigkeit der Untersuchungsergebnisse durch die direkte Replikation fest-gestellt, kann man durch die systematische Replikation die Allgemeingültigkeit der Ergebnisse hinsichtlich unterschiedlicher Therapeuten und Behandlungssettings prüfen [12].
Bei der Durchführung von single-case studies treten keine interindividuellen Variationen, welche durch Kontrollgruppen und Randomisierung neutralisiert werden müßten, auf, da nur jeweils ein Patient in die Studie eingeschlossen ist.
Da es bei Gruppenstudien unter der Voraussetzung, daß die Gruppe homogen zusammengesetzt ist möglich ist, die Ergebnisse auf ein Individuum zu übertragen, ist es andererseits ebenso möglich, die Ergebnisse von einem Individuum auf andere Individuen zu übertragen, eben unter der Voraussetzung, daß sie dieselben spezi-fischen Merkmale besitzen, welche man zum Beispiel anhand des Datenmusters der Baseline bestimmen kann. Daher ist es möglich, die Übertragbarkeit von Studien-ergebnissen auf andere Patienten anhand des Datenmusters der Baseline voraus-zusagen. Das heißt umgekehrt, daß bei Patienten, die unterschiedliche Baseline-Daten zeigen, eine Voraussage, daß die Therapie in derselben Größenordnung wirksam sein wird nicht sicher möglich ist.
Das Auffinden und Beschreiben der Faktoren, welche für die unterschiedlichen
Daten der Baseline verantwortlich sind, würde bessere Ausgangsbedingungen
für die Genera-lisierung der Ergebnisse schaffen, da die Wahrscheinlichkeit,
daß die Patienten, die danach zur Replikation ausgewählt werden
würden, eine gewisse Homogenität aufweisen, vergrößert
werden kann [76,77].
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Der N-of-1 trial ist ein Weg, den methodologischen Standard von Randomisierung und Doppelblindheit einer Studie beizubehalten und die Nachteile einer Studie mit großen Patientenzahlen zu vermeiden.
Die Voraussetzungen zur Überprüfung der Wirksamkeit einer Therapie durch Anwendung dieser Studiendesigns sind der chronische Charakter einer Erkrankung und das Vorhandensein einer stabilen Symptomatik. Die Wirkung der Therapie muß schnell einsetzen und nach Beendigung der Therapie rasch abbrechen, die Therapie darf nicht kurativ wirken. Eine optimale Behandlungsdauer sollte bekannt und praktikabel sein.
N-of-1 trials werden durchgeführt, um eine therapeutische Entscheidung hinsichtlich der Wirksamkeit der applizierten Therapie für diesen einen in die Studie eingeschlossenen Patienten treffen zu können. Auch die für einen bestimmten Patienten angemessene Dosierung und die Unterscheidung zwischen Nebenwirkungen der Theapie und Begleiterkrankungen, die aufgetreten sind, kann mit Hilfe der N-of-1 trials gefunden werden. Dazu unterzieht sich der Patient Paaren von Behandlungsperioden, die jeweils die zu überprüfende Therapie und eine alternative Therapie beinhalten. Die Reihenfolge der Applikation der beiden Therapieformen wird durch Randomisierung festgelegt. Wenn möglich, wird die Studie mit doppelter Verblindung durchgeführt, um Verzerrungen der Ergebnisse durch den Placeboeffekt und durch die Erwartungen von Arzt und Patient zu vermeiden. Die Beurteilung des Therapieerfolges beinhaltet die Bewertung der Verbesserung der Lebensqualität, welche in der Regel durch eine Tagebuchauswertung erfaßt wird. Eventuell aufgetretene Nebenwirkungen fließen ebenfalls in die Bewertung des Therapieerfolges mit ein.
Häufige Probleme, die im Verlauf eines N-of-1 trials auftreten, sind mangelnde Compliance auf Patientenseite und auch auf der Seite des Arztes und das Auftreten von Begleiterkrankungen.
N-of-1 trials bieten ein großes Potential zur Verbesserung der
Qualität der medizinischen Betreuung und des wohlüberlegten Einsatzes
von teuren und potentiell nebenwirkungsreichen Medikamenten bei Patienten
mit chronischen Erkrankungen [2, 20, 21, 34, 42, 61].
4.5 Anwendung
von Single-Case Study Designs
Die Anwendung von single-case experimental designs erfolgte bisher
hauptsächlich auf dem Gebiet der klinischen Psychologie, Psychiatrie
und Neurologie zur Bewertung der Effektivität verhaltenstherapeutischer
Ansätze [3, 6, 9, 31, 32, 37, 41, 44, 50, 55, 58, 59, 62, 69, 72].
Bei der Anwendung von single-case studies zur Bewertung klinischer somatothera-peutischer Ansätze kommen hauptsächlich N-of-1 trials zum Einsatz [34, 35, 46, 53, 78].
Ein Beispiel eines N-of-1 trials wird von Johannessen (1991) präsentiert [33]. In dieser Studie wird mittels des N-of-1 RCT der lindernde Effekt von Cimetidin bei Vorliegen einer NUD (non-ulcer dyspepsia) untersucht. Die Gesamtlänge des N-of-1 trials betrug 12 Tage, wobei sechs Behandlungspaare, welche jeweils einen Behandlungstag mit Verabreichung von Cimetidin und einen Behandlungstag mit Placebogabe beinhalteten, ohne zwischengeschaltete Wash-out-Phasen durchgeführt wurden. Die Reihenfolge der Cimetidin- und Placebogabe innerhalb eines Behand-lungspaares wurde randomisiert, allerdings wurde die Anzahl gleicher Behandlungen innerhalb einer Reihe auf maximal zwei beschränkt. Die Bewertung der Therapie-wirkung auf das Befinden des Patienten wurde mittels Auswertung täglicher Tage-buchaufzeichnungen realisiert. Zwei Wochen nach Beginn der Studie wurde der Gastrointestinaltrakt der Patienten, welche die Studie beendet hatten, endoskopiert. Dadurch konnte eine Zuordnung der gefundenen Therapiewirkungen zu der der Symptomatik, welche zum Einschluß des jeweiligen Patienten in die Studie geführt hatte, zugrundeliegenden Erkrankung (peptisches Ulcus, Ösophagitis oder eben ein nicht-peptisches Ulcus) vorgenommen werden. Zur Sicherung der Ergebnisse wurde eine statistische Auswertung durchgeführt.
Die hier beschriebene Studie ermöglicht die Identifikation der Cimetidin-Responder innerhalb eines Patientengutes, was zu einer sinnvolleren therapeutischen Anwendung von Cimetidin führen kann.
Ein Beispiel für eine prospektive Einzelfallanalyse liegt mit der Arbeit von Whyte (1993) vor. Zur Aufdeckung der Ursache eines intermittierend wiederkehrenden Fiebers nach Schädel-Hirn-Trauma mit Hirnstammverletzung über fünf Jahre nach dem akuten Ereignis wurde eine prospektive Evaluation der Temperaturkontrolle des Patienten durchgeführt.
Die Krankengeschichte wurde retrospektiv erhoben. Die prospektive Studie
beinhaltete eine initiale Baseline-Erhebung, welcher zwei experimentelle
Interventionen folgten. Während der Interventionen wurde die Zielvariable,
in diesem Fall die Körperkerntemperatur, kontinuierlich gemessen.
Aufgrund der äußeren Umstände konnte ein repeated measurement
nicht durchgeführt werden, so daß die Zielvariable unter jeder
Intervention nur einmal gemessen wurde. Daher kann die Wahrschein-lichkeit
des Auftretens einer Veränderung der Zielvariable ohne eine Intervention
in dieser Studie nicht bewertet werden [74].
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Die zwei Hauptdesigntypen sind die single-case experimental designs und die N-of-1 randomized controlled trials.
Bei der Durchführung der N-of-1 trials wird der methodologische Standard der Randomisierung und Doppelblindheit beibehalten. Es können gültige Schluß-folgerungen über die Wirksamkeit der geprüften Therapie bei dem Studienpatienten abgeleitet werden.
Die single-case experimental designs unterteilt man in multiple baseline designs und reversal- oder withdrawal-A-B-A designs. Dabei nimmt die Stärke der Schluß-folgerungen, welche gezogen werden können, mit zunehmender Strukturierung des Designs und zunehmender Anzahl der Studienphasen zu, wobei leider die Ähnlichkeit der Studiensituation mit einer Behandlungssituation wie sie im therapeutischen Alltag besteht abnimmt.
Das einzige nicht-experimentelle design der single-case Forschung ist das A-B design.
Der Patient erhält unter vergleichbaren Bedingungen dieselbe Therapie wie sie für einen Patienten, der dieselben Symptome zeigt, aber kein Studienteilnehmer ist, üblicherweise angewandt wird.
Der Nachteil dieses Studiendesigns besteht in der eingeschränkten Möglichkeit, Schlußfolgerungen über die Wirksamkeit einer Therapie zu ziehen, da andere Faktoren, die möglicherweise Effekte hervorrufen, welche mit den vermuteten Therapieeffekten verwechselt werden können, durch dieses Studiendesign nicht mit genügend großer Sicherheit ausgeschlossen werden.
Da jedoch in der Komplementärmedizin häufig ein experimentelles
Vorgehen im Sinne der vorangehenden Erläuterungen nicht in Frage kommt,
besteht die Aufgabe, das A-B design so auszubauen, daß zuverlässige
Schlußfolgerungen gezogen werden können.
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Abb. 1: Hierarchie der single-case study designs
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