Das Online-Magazin des DATADIWAN
Ausgabe Nr. 2 / November 1998 - ISSN 1435-1560 
Tagungsdiskussion
 Monophasische Prospektive Einzelfallstudie
Autor: Diskussionsteilnehmer
Keywords: Methodologie, Methodology, monophasische prospektive Einzelfallstudie, single-case studies, Wirksamkeitsnachweis, Naturheilkunde, Naturopathy, unkonventionelle Therapierichtungen, randomisierte placebokontrollierte Doppelblindstudie
Abstract: Diskussion der Teilnehmer am Kreativ-Symposium vom 15.06.1996
Copyright: Patienteninformation für Naturheilkunde e.V., Berlin 1998
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Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Diskussionsrunde


Diskussionsmitschnitt [(*) = eine neue Person spricht] :
Es könnten nicht alle Diskussionsteilnehmer namentlich ermittelt werden. Diejenigen, die bekannt sind, werden mit Namen genannt, sonst wird ein neuer Diskussionteilnehmer mit (*) gekennzeichnet.

Herr Tröger begrüßt die Anwesenden:
Ja, jetzt fange ich an. Es war ja angekündigt worden, daß die Diskussion über die vier Vorträge jetzt gemeinsam stattfinden soll. Das ist so zu verstehen, daß wir vielleicht zunächst auf die einzelnen Vorträge blicken und uns fragen, was nun fragwürdig für uns geworden ist. Es ist aber keinesfalls so zu verstehen, daß nur über das gesprochen werden soll, was in diesen vier Vorträgen angeregt wurde, sondern wir wollen ja gemeinsam weiterkommen. Wir fangen damit aber vielleicht an. Herr Hornung hatte ja zunächst einleitend über die klinischen randomisierten Studien gesprochen und die Gründe, die eigentlich dagegensprechen, genannt und gruppiert. Er selbst hatte die Frage aufgeworfen, daß, wenn man, wovon er, wie ich glaube, zurecht ausging, wie wir alle diese Art der klinischen Prüfung grundsätzlich in Frage stellt, es sein könnte, daß uns etwas entgangen ist, was doch dafür spricht. Wo sind sozusagen, wo wären die Gebiete, wo diese randomisierten Studien ihren Platz haben?

(*) Ich finde die Frage bezüglich dessen, was Herr Hornung gemeint hatte, ein bißchen falsch herum formuliert. Er hatte erst einmal grundsätzlich gefragt, ob wir das alle nicht schon ein bißchen von der falschen Seite sehen, wir, die die randomisierten klinischen Studien mit kritischen Augen sehen und ob das in der restlichen medizinischen Welt überhaupt so wahrgenommen wird ? So habe ich Sie verstanden.
Da ist mein Eindruck, daß wir hier doch relativ isoliert sind. Also es gibt biometrische Richtlinien zur Durchführung von klinischen Studien, die die Doppelblindstudie als definitiv festschreiben. Die Qualität einer Richtlinie ist relativ hoch, und sämtliche Richtlinien, die so im letzten Jahr herausgekommen sind, ich habe mal für die verschiedensten Medizinbereiche recherchiert, sprechen eigentlich alle ausnahmslos davon, daß Therapien durch Doppelblindstudien geprüft sein müssen. Insofern glaube ich, daß die Kritik, die wir hier an einer Doppelblindstudie üben, von der großen weiten anderen wissenschaftlichen Welt nicht in dem Maß geteilt wird.

(*) Das wären ja alles Gründe, die von außen wirken. Wir haben ja die Frage, gibt es wirklich Gründe, die von innen her dafür sprechen.

(*) Also ich bin ja kein Mediziner, ich bin nur Pädagoge, aber ich habe im Grundstudium gelernt, immer dann, wenn du nicht weißt, welche Störfaktoren existieren, dann ist der sichere Weg die Randomisierung. Wenn du weißt, welche Störfaktoren existieren, kannst du ja z. B. ausbalancieren, geschichtete Stichproben ziehen usw. Aber wenn ich keine Vorstellung davon habe, welche Störvariablen z. B. den Heilungsprozeß beeinflussen könnten, dann ist eine Methode in der klassischen Methodenlehre die Methode der Randomisierung. So habe ich es gelernt und ich fand, das klang auch gar nicht so dumm. Das muß ich schon sagen.
Die andere Frage ist, ob es realisierbar ist. Wenn man genau überlegt, dann setzen randomisierte Stichproben ja eigentlich voraus, daß sie eine Population definieren können und daß sie aus dieser Population zufallsbezogen eine Stichprobe ziehen können. Randomisierung in der medizinischen Forschung, so wie ich sie dort und auch in der pädagogischen Forschung kenne, beinhaltet meistens nur, daß eine anfallende Stichprobe genommen wird und lediglich die Aufteilung in meinetwegen Versuchsgruppe und Kontrollgruppe per Zufallsprinzip vorgenommen wird. Das ist dann eigentlich nur eine teilrandomisierte Stichprobe. Was dazu kommt, ist, daß man auf der einen Seite durch Randomisierung möglicherweise die Chance gewinnt, unbekannte Störfaktoren statistisch (in Anführungszeichen) zu kontrollieren. Wenn aber der Preis, den man dafür bezahlt der ist, daß die Studie insgesamt in ihren Verfahrensweisen der normalen Vorgehensweise, mit der man arbeitet, also etwa der ärztlichen Praxis oder wie bei mir der sonderpädagogischen Praxis überhaupt nicht mehr entspricht, dann ist der Preis oft zu hoch.

(*) Ja, also ich würde mich dagegen wehren zu sagen, daß ich Gegner der randomisierten Studie sei, weil ich finde, daß randomisierte Studien sehr wohl einen Sinn haben. Das Problem ist aber , daß sie mehr oder weniger als einziger Standard anerkannt werden. Darin sehe ich das große Problem, denn man sollte ja eine sinnvolle Forschung machen und nicht einen auf ein Eisenbahngleis beengten Weg gehen. Insofern denke ich, man sollte für die jeweilige Fragestellung den für die Antwort sinnvollen Weg gehen.

(*) Also ich denke auch, da stimme ich Ihnen völlig zu, daß es nicht darum geht, jetzt grundsätzlich zu sagen, „randomisierte klinische Studien möchten wir im Bereich Komplementärmedizin überhaupt nicht haben". Es gibt ja genügend Beispiele dafür, wo z. B. randomisierte klinische Studien, gerade auch in der Homöopathie, bei denen die individuelle Therapie mit all ihren Problemen durchgeführt wurde, auch positive Ergebnisse gezeigt haben. Dann wurden Studien durchgeführt, in denen die Patienten die Präparate nach bewährten Indikationen erhalten haben, also ganz weg von der individuellen Homöopathie, mit auch sehr guten Erfolgen, natürlich auch zum Teil mit negativen Erfolgen. Ich denke, da sind wir nicht weit weg von der konventionellen Therapie. Ich denke, man sollte sich einfach nur grundsätzlich fragen, was ist das Ziel, was möchte ich beweisen. Möchte ich wirklich eine klinische Indikation prüfen, möchte ich wirklich nicht individuell therapieren oder auch individuell und möchte eine klinische Indikation prüfen, und was ist das Ziel. Möchte ich mehr für die Wissenschaft etwas machen, für die Anerkennung, mehr die Rechtfertigungsforschung, oder möchte ich wirklich für die, ja innerhalb der Homöopathie etwas machen, um einfach dann in der Praxis mehr Erfahrung, dem Patienten dann in Zukunft mehr anbieten zu können. Ich denke, das sind einfach verschiedene Ansätze. Von da aus gesehen, ist es sicherlich so, daß man klinische Doppelblindstudien, in den Fällen, wo es ganz gut geht, machen kann, es gibt Beispiele dazu, daß es ganz gut geht. In anderen Fällen, wo es eben nicht möglich ist, wo man z. B. keine Möglichkeit hat, Placebo kontrolliert zu prüfen, oder wo man keine Möglichkeit hat, eine entsprechende Vergleichstherapie zu finden, oder wenn andere ethische Gründe dagegen sprechen, da denke ich, sollte man dann eine Möglichkeit suchen, wirklich eine offene Untersuchung durchzuführen, und die dann einigermaßen so zu gestalten, daß sie eben auch wissenschaftlich akzeptabel ist. Ich denke, das ist eigentlich das, worüber wir uns unterhalten sollten.
 
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Rainer Stange:
Ja, ich unterstütze das voll, ich denke auch, daß die Methodologen bisher verpaßt haben, uns mitzuteilen, wo die Grenzen dieser Studien sind Das hat Joachim Hornung überspitzt gezeigt, und ich wundere mich sehr, daß auch von anderer Seite z. B. von Patientenorganisationen noch keine Kritik gekommen ist. Gerade für Langzeiteffekte von schwachwirksamen Therapien z. B. Vitaminprophylaxe und dergleichen, ist es durchaus üblich, Studien durchzuführen, die zwanzigtausend Leute involvieren. Das muß irgendwann auch mal sozusagen den Patienten- oder auch den Konsumenteninteressen zuwider laufen, daß zwanzig-, dreißig-, vierzigtausend Leute über Jahre solchen Versuchsbedingungen ausgesetzt werden. Da wird das Ganze irgendwo sehr verzerrt. Also wenn man sozusagen alle therapeutisch offenen Fragestellungen untersuchen wollte, und dafür beliebige Mittel und beliebig viele klinische Einrichtungen an der Hand hätte, dann würde tendenziell die ganze Bevölkerung in Studien involviert. Das kann nicht der Sinn der Medizin sein. Irgendwo stößt dieses Prinzip schon an immense Grenzen, und ich denke, damit muß man auch die Verfechter konfrontieren. Man muß sie auffordern, die Bedingungen zu präzisieren, unter denen randomisierte, kontrollierte Studien aussagekräftig sind.

(*) Ich denke, wir müssen unterscheiden, so wie Frau Heger es auch getan hat, auf welcher Ebene wir darüber sprechen wollen. Sie haben gerade darauf aufmerksam gemacht, was sozusagen die Rechtslage erfordert, daß wir nämlich alle gefordert sind, solche Studien zu machen, weil wir nur über diese Ergebnisse weiter existieren. Das ist die eine Ebene und die können wir im Moment nicht ändern. Danach müssen wir uns verhalten, und wir müssen sie auch nicht retrograd sozusagen begründen. Das ist so. Wir können uns aber auch von der anderen Ebene her darüber unterhalten, nämlich, was sagt diese Methodik, was kann sie wirklich aussagen ? Ich meine, was Herr Hornung vorgeführt hat, waren ja doch alles Gründe, die eigentlich dagegen sprechen, also wenn man nur diesen einen Grund nimmt, daß es erstens bei Wiederholung häufig zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt, daß zweitens, das was herauskommt selten das ärztliche Praxisverhalten bestimmt, daß bei der Durchführung eigentlich irgendeiner nicht die optimale Therapie bekommt, daß man, wenn es nachher herauskommt, irgendwo das Vertrauen verliert... Also es sind doch so viele Gründe, die dagegen sprechen, und es sind ja im weiteren da noch genügend weitere Gründe angeführt worden, daß man dann sich doch fragen soll, gibt es denn nicht genügend ‘Push’ daran zu arbeiten, daß man auch den Methodologen zeigen kann, es gibt noch einen anderen Königsweg.

(*) Also ich kann nur von der Universität Bern berichten. Wir haben ein Dezernat für klinische Forschung. Das ist sehr gut dotiert mit Personal und hat intelligente Leute an der Spitze und ich habe mit einem der beiden Leiter mal gesprochen. Der hat mir gesagt, daß die randomisierte Doppelblindstudie eigentlich ein vorzügliches Marketing-Instrument für die pharmazeutische Industrie sei, und sie das darum auch verwenden, weil die pharmazeutische Industrie quasi die Hälfte ihres Budget damit finanziert. Aber eigentlich hätte er, zumindest hat er das im persönlichen Gespräch bestätigt, genug, weil das für ihn keine ‘Challenge’ mehr sei. Es sei nicht mehr so interessant so eine Studie zu machen, sondern er hat gemerkt, daß die grundsätzlichen Fragen des ärztlichen Tuns mit der randomisierten Doppelblindstudie nicht erfaßt sondern ausgeklammert werden. Also es gibt da schon Ansätze, wo man zumindest intelligente, denkende Leute auch in den Universitäten wahrscheinlich, wie soll ich sagen, packen kann.

Joachim Hornung:
Reiner, ich hab das überhaupt nicht überspitzt gemeint. Ich könnte da noch einen darauf setzen (Lachen). Es war nicht überspitzt. Nur ist mir natürlich klar, daß diese randomisierte Doppelblindstudie, seit vielen Jahren paradigmatischen Charakter in unserer Wissenschaftslandschaft hat. Und wenn man jetzt dagegen argumentiert, wird man natürlich ganz viel Opposition kriegen. Das Wissenschaftssystem ist grundsätzlich sehr konservativ, muß es auch sein. Also ich rede jetzt im Sinne von Thomas Kuhn, und dieses Paradigma ist, wie Herr Lüdtke auch noch einmal betont hat, wirklich sehr starr und allgemein verbreitet und akzeptiert. Es gibt dazu nur ganz wenige Autoren, das weiß ich aber eben auch nicht so ganz genau, vielleicht könnten David Riley oder Robert Edwards erzählen, wie das in Amerika ist. Gibt es dort Autoren, so wie Helmut Kiene z. B., die etwas schreiben und Kritik an diesem Konzept der randomisierten Doppelblindstudie üben, oder ist sie auch in Amerika ganz allgemein akzeptiert? Und wenn wir jetzt hergehen, also Helmut Kiene und ich z. B. als Autoren und schreiben, das ist aber eine äußerst zweifelhafte Geschichte und es gibt ganz, ganz viele auch empirische Momente, die dagegen eigentlich sprechen, dann ist natürlich klar, daß wir nicht sofort jetzt von der gesamten ‘Scientific Society’ Beifall kriegen, das ist ganz selbstverständlich. Wir müssen uns natürlich auch selbst die Frage stellen, ob wir überhaupt recht haben. Aber ich denke, die Beweislage ist, so ist zumindest meine Argumentation, ich weiß nicht, ob ich da für Sie mitsprechen darf, außerordentlich stark. Nur man muß sie natürlich eine Weile studieren, muß sich immer wieder mit dieser Frage beschäftigen. Wenn jetzt vielleicht auch unter den Anwesenden der eine oder andere noch sehr, sehr lange den Doppelblindstudien anhängt, dann wird er seine Meinung deswegen nicht so schnell ändern. Ich kann ja noch einmal sagen, wodurch bedingt ist, daß sie so stark ist. Das hat also mehrere Gründe, einen oder zwei haben sie schon genannt.
Ein Grund ist folgender. Wenn man erstmal anfängt zu denken, wie müßte man eigentlich eine Studie machen, damit sie beweiskräftig ist, und wenn man so sehr in einem mechanistischem Weltbild denkt, welches ja auch historisch beeinflußt ist, wie sie das so schön dargestellt haben, Herr Kiene, dann kommt man eigentlich zwangsläufig logischerweise darauf, daß man randomisieren muß, wie sie das auch gerade noch einmal gesagt haben, Herr Wember, daß man randomisieren muß, und daß man blind verfahren muß. Das scheint logisch zu sein. Das leuchtet einem ein, und man sagt dann, das ist also so richtig. Aber das ist ja noch kein Beweis dafür, daß das dann wirklich auch in der Praxis funktioniert. Meines Erachtens funktioniert das System eben nicht in der Praxis.
Dann kommen noch praktische Gründe dazu. Der eine praktische Grund ist, daß es sich wie Sie auch angedeutet haben, sehr gut reglementieren läßt. Man kann das in EU-Richtlinien aufnehmen, man kann das unterrichten. Man kann das vom Lehrer auf den Schüler weitergeben, man kann sagen, so mußt du das machen. Und wie Sie sagten, ist es eben auch für die Pharmaindustrie als Marketinginstrument außerordentlich interessant. Ich kenne in Berlin einen Leiter einer medizinisch-wissenschaftlichen Abteilung eines großen schulmedizinischen Pharmakonzerns, der selber über hundert klinische Studien gemacht hat. Er hat, ganz in dem Sinne, wie sie es erzählt haben, zu mir persönlich direkt gesagt, klinische Studien haben nur zwei Zwecke. Der eine Zweck ist ein Arzneimittel zur Zulassung zu führen oder zu vermarkten, und der andere Zweck ist, daß einer sich habilitiert.
Es gibt keinen Erkenntnisgewinn durch diese Studie, es gibt ihn einfach nicht. Ich meine das eigentlich ganz im Ernst so, und wenn das stimmt, was Herr Lüdtke sagte, und wenn wir das vielleicht aus Amerika bestätigt bekommen, Sie können es ja gleich noch einmal sagen, dann scheint es so zu sein, daß die Forscher im Bereich der besonderen Therapierichtungen, wenigstens einige von ihnen, nicht nur insofern Außenseiter sind, als sie sich eher mit besonderen Therapien und deren Wirksamkeitsnachweis beschäftigen, sondern daß die Forscher in diesen Bereichen auch noch methodologisch innovativ wirken müssen, weil das offiziell akzeptierte Instrumentarium einfach nicht ausreicht.
Ich würde gerne noch zwei Bemerkungen machen, eine zu Herrn Lüdtke und eine zu Frau Heger. Also Herr Lüdtke hat gesagt, die Doppelblindstudie ist vorgeschrieben. Die meisten Therapien kann man aber überhaupt nicht blind prüfen, es kann also gar nicht vorgeschrieben sein. Der Zahl nach sind vielleicht 50% de Studien Doppelblindstudien, aber Sie können weder chirurgische, physikalische noch psychotherapeutische Maßnahmen doppelblind prüfen. Die meisten Maßnahmen können Sie überhaut nicht doppelblind durchführen. Insofern kann das gar nicht generell vorgeschrieben sein. Das ist aus diesem ganz wichtigen Grund gar nicht möglich, aber sonst denke ich, ist es so, wie Sie es gesagt haben, richtig und zu Frau Heger möchte ich...., ja, das sage ich vielleicht später mal, das hat auch noch mit dem Buffet zu tun.
 
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David Riley:
I am going to switch into English now, because I know the question is in English. I like these questions very much the way David has outlined them. The first question you ask then is, „Have you improved or not?" If they say yes, the second question is then, „Has the improvement been significant?" And if they say, „yes", and of course there is a mirror negative image, too, where they have gotten worse. Then the next question is, „Has the improvement affected your daily living?" And then the last question is, „Have you been cured of the problem?"  And so I like it because I don´t think it really leads the patient, and it is a series of questions which go on a plus-board, minus-board scale.

Roger Edwards:
Two things about randomization that maybe you were going to bring up, David. We are only randomizing patients in these trials, and yet we are not randomizing providers, and we are not randomizing provider-patient pairs. So if we really accept the concept of randomization as a necessary scientific tool, we should be randomizing all factors that can affect it. So they are only randomizing a piece of it, and it is fairly obvious why it would be hard to do the others, but then you have to question the under-lying assumptions of what the natures of health and healing. This same debate has gone on in the USA in a different way. And it has gone on because it is so expensive to conduct RCTs (Randomized Control Trial), and you could not possibly do it on all care, and 80% of the care anyway has no RCT done on it, and yet it is practiced all the time. So you have had a shift in funding and a shift in consideration for other kinds of studies that demonstrate the effectiveness of different therapies. The RCT is very limited, because it tried to take the model of the laboratory, bench science, and bring it into human beings. That just doesn´t happen for ethical reasons, for practical reasons, and for assumptions of what is going on.

David Riley:
That was not what I was going to say, and I was hoping you would say that. I am going to speak in English so that Roger can respond. What I was going to say: I think the problem is not with the randomized control trial, but it is that the RCT has become one of the idols of medicine, and so there is an inability to look at something else, at other ways of using it. I think for everybody who practices something that has stepped outside the mainstream, the  RCT has become a tool to hit you over the head with, rather than being a tool to advance understanding of science. I agree with everything you were saying there. What we have to do is just find other ways we can learn to understand. For me the argument always comes back to how we can help patients, how are we going to understand what is going to get patients better. If we focus on patients, then the whole argument shifts. Right now the argument in conventional methodology seem to me to be about irrelevent facts. How many annuals can bounce on the head of a pin, rather than what is going to improve patient care?

(*) Das hat mir sehr gut gefallen. Randomisierte Studien, finde ich in der Tat, sind nicht das Problem, sondern das Problem entsteht, wenn randomisierte Studien zum Dogma werden, und das Problem besteht dann in unserem Kopf, weil, um mal einen alten Deutschen zu zitieren : Karl Marx hat gesagt, ‘das Dogma ist nichts anderes, als ein Verbot zu denken.’ Der meinte zwar das kirchliche Dogma, aber das gilt auch für wissenschaftliche Dogmen. Hinter der Logik von randomisierten Designs steht eine ganz spezielle Variante von Kontrolle, nämlich nur statistische Kontrolle. Das heißt, du bist nicht aktiv, du versuchst nicht aktiv Einfluß zu nehmen, sondern du verläßt dich darauf, daß nach dem Gesetz der großen Zahl Mutter Natur die Faktoren schon zufällig verteilen wird.
Es gibt eine gänzlich andere Auffassung von Kontrolle in wissenschaftlichen Versuchen und die heißt beziehungsweise in USA wird dann gesagt ‘experimental control’ und d. h. ich muß versuchen, in meinen Forschungsprojekten die Einflußnahme zu verbessern. Denn es ist so, je stärker der Effekt meiner Intervention ist, das klingt jetzt verrückt, desto weniger brauche ich Randomisierungen. Wenn ich eine sehr mächtige Intervention habe, dann können ruhig ein paar Störfaktoren dazukommen, die Kraft meiner Intervention wird sich durchsetzen. Wenn meine Intervention eine schwache Effektivität hat, dann brauche ich Randomisierung und am besten eine möglichst große Stichprobe. Je größer die Stichprobe, desto kleiner kann der Effekt sein. Man nennt das in der Statistik den Schereneffekt, und es gibt Statistiker, die sagen, man kann damit regelrecht korrupte Wissenschaft betreiben, wenn nämlich ein Verfahren bei 500 Personen nicht wirksam ist, dann nehme ich 5000, dann kann der Effekt sehr klein werden und läßt sich trotzdem statistisch abbilden. Ich glaube, daß insgesamt in den Humanwissenschaften die Variante von Kontrolle, die da lautet, „versuche die Wirksamkeit deiner Methoden zu verbessern", nach meiner Auffassung eindeutig zu bevorzugen ist.
(Podiumsbemerkung unverständlich)
... es gibt die ewigen Diskussionen, was man im Verlaufe einer homöopathischen Behandlung machen darf und was nicht. Das ist die Antidotierung usw. und es ist ganz klar und es bestätigt sich immer wieder, je präziser das Mittel gefunden wurde, um so weniger wird es gestört. Das ist ein biologisches Prinzip, das sich beispielsweise bei der Homöopathie nachweisen läßt; nicht messen, aber beobachten.

(*) Ich glaube, wir müssen unterscheiden zwischen den Interessen eines Arztes, der seinen Patienten zu helfen versucht, und im Grunde ein riesiges Instrumentarium zur Verfügung hat, und einem pharmazeutischen Unternehmen, das eigentlich (in Anführungszeichen) ‘nur Medikamente’ hat. Ich habe jetzt seit neun Jahren diese Problematik mit einem großen pharmazeutischen Unternehmen diskutieren dürfen, und gesehen, daß ein Vertreter, der sich intensiv mit unseren Aspekten befaßt, durchaus in dieser Runde mitdiskutieren könnte. Es besteht aber aus Managementsicht kein Interesse daran, das Etablierte zu verändern, denn damit ist ein sogenanntes offizielles Instrumentarium erarbeitet worden, das bei Politikern, bei Gesetzgebern, in der Wirtschaft, bei Kunden, Patienten und Ärzten als Argument dienen kann, um Medikamente zu verkaufen, und ein pharmazeutisches Unternehmen hat nur Interesse daran, Medikamente zu verkaufen. Wenn schon ein Instrument etabliert ist, hat das Unternehmen überhaupt kein Interesse daran, irgend etwas zu verändern. Und warum soll schon der Gedanke aufkommen, ein besseres Instrumentarium zu suchen, wenn das vorhandene ja ‘sticht’.

(*) Ich glaube, das hat sich inzwischen weitgehend überholt. Digitalis ist ja ohne jeden Doppelblindversuch in die Medizin eingeführt worden. Einfach aus einer simplen Beobachtung, weil es eben kräftig wirkt. Wenn es aber um die ‘Stelle nach dem Komma’ geht, dann muß man Riesen-Studien machen, da haben Sie völlig recht. Dann wird die Wahrscheinlichkeit immer größer, und der industrielle Effekt ist auch immer größer, weil man ja viel mehr Patienten behandelt, die es überhaupt nicht bräuchten.

Marianne Heger:
Ich würde gerne zur pharmazeutischen Industrie Stellung nehmen. Weil Sie angesprochen haben, daß eben die pharmazeutische Industrie kein Interesse daran hat oder haben kann, an einem bestehendes System wie der randomisierten Doppelblindstudie etwas zu ändern. Ich arbeite in der pharmazeutischen Industrie und ich habe, wie gesagt, auch in der konventionellen pharmazeutischen Industrie gearbeitet und bin jetzt seit einem Jahr bei der DHU. Ich denke, wir haben schon eine komplett andere Einstellung. Es ist sicherlich schon so, daß wir sagen, wir machen., z. B um ein Präparat zur Zulassung zu bringen, schon viele Doppelblindstudien, wenn es geht. Wenn dieses Design für diese Indikation anwendbar ist, d. h., wenn ich z. B. Placebo kontrolliert arbeiten kann oder eine entsprechende therapeutische Alternative habe. Wir stehen aber genauso gut vor dem Problem, daß es eher viele Indikationen gibt, oder daß bestimmte Präparate eingebettet in verschiedene andere Behandlungsstrategien ganz individuell einfach angewendet werden, so daß diese Form der klinischen Doppelblindstudie oder der randomisierten klinischen Studie einfach nicht möglich ist.
Ich denke, daß man zumindest in unserem Bereich sagen kann, daß wir sowohl das eine als auch das andere machen. Ich sehe das besonders vor dem Hintergrund, daß wir auch in der pharmazeutischen Industrie die Aufgabe haben, das Wissen um die Homöopathie eigentlich zu fördern. Das heißt, einmal das Wissen um die Arzneimittel mit Arzneimittelprüfung dann eben auch mit offenen Untersuchungen zu erweitern, um wirklich auch innerhalb der Homöopathie einfach zu mehr Fortschritt zu kommen, bzw. dem Arztdann auch mehr an Informationen zur Verfügung zu stellen. Ich sehe das nicht so beschränkt, daß wir sagen, ja gut, wir haben eben ein Präparat und die und die Indikation und dann Doppelblindstudien und sonst nichts. Ich denke, wir haben es für uns so entschieden, sowohl das eine als auch das andere zu machen, je nachdem, welche Zielrichtung wir haben. Wir haben also auch klar entschieden, daß wir insgesamt die Homöopathie als Bestandteil der Komplementärmedizin fördern und weiterbringen wollen - und damit auch eher erreichen, daß die Homöopathie in die Medizin integriert werden kann. Das können wir eben nicht mit randomisierten klinischen Studien, weil die randomisierte klinische Studie wirklich nur für die spezielle Patientengruppe, wo das Präparat oder eine individuelle Therapie untersucht wurde und nicht für andere Patienten mit soundsoviel Begleit- oder anderen Erkrankungen zutrifft.
Deswegen sehe ich schon die Notwendigkeit, daß wir auch offene Untersuchungen machen und die Therapieerfolge in der Homöopathie belegen, also das, was jeder Arzt, der homöopathisch arbeitet, schon weiß. Er braucht das nicht, er braucht doch keine Doppelblindstudie. Wir haben in der Industrie auch die Aufgabe, den Arzt in dieser Sicherheit zu unterstützen, und vor allen Dingen für die Behörden und für die Krankenkassen Material zu sammeln, daß die Homöopathie wirksam und sicherlich auch kostengünstig ist, bzw. daß sie auch sehr gut verträglich ist. Und das können wir nur mit solchen Studien.
 
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Wilfried Tröger:
Jetzt möchte ich eine Ergänzung zu Herrn Lüdtke bringen. Er sprach von äußeren Gründen, einer Festsetzung der Methodik, bis in die Gesetze und die EU-Normen rein, ich vermute, daß das in diese neuen Normen rein wächst und über Europa dann wieder nach Deutschland zurück kleckert, daß man dann das zu machen hat, unbesehen von dieser ganzen Problematik. Aber immerhin sollten wir uns daran erinnern, daß im Arzneimittelgesetz steht, daß die besonderen Therapierichtungen mit denen den besonderen Therapierichtungen gemäßen Methoden zu prüfen sind, und auch der Wirksamkeitsnachweis so zu führen ist. Und ich muß feststellen, und das ist auch mein Antrieb, aktiv zu sein, daß in der letzten Zeit in Deutschland eigentlich ein bißchen verpaßt wurde, diese Methoden zu entwickeln. Das sollte eben auch Ziel unseres Kreativ-Symposiums sein. Wir haben ja jetzt gerade über die Schwierigkeiten gesprochen, vielleicht sollten wir doch noch mal näher auf die Vorträge eingehen; Herr Kiene hatte z. B., das mit dem Muster, eines dieser in Jahrhundertabständen gefundenen modernen Mitteln des Wirksamkeitsnachweises, angedeutet, wo ich dann nicht die große Zahl, nicht die Vergleichbarkeit, und nicht die Randomisierung brauche,. Herr Matthiessen hatte in seinem Vortrag, das Schlagwort ‘evidence based medicine’ erwähnt, daß also, wenn eine Idee wirklich zum Evidenzerlebnis im Handelnden geworden ist und in die Praxis umgesetzt wird, dann für den Anwendenden ganz klar ist, daß das so funktionieren muß und insofern auch manchmal nicht in einem zweiten Objekt wiederholbar ist. Dabei muß man sich dann natürlich fragen, was kann dann Forschung sein? Vielleicht eben nur die Methode, wie er zu diesem Evidenzergebnis gekommen ist. Sei’s drum, das wäre ja auch etwas wert, und es wäre auch mit wissenschaftlichen Methoden zu beschreiben, zu lehren und weiterzugeben. Mein Vorschlag ist, nochmals genauer darauf einzugehen, denn die Problematik von der wir ausgegangen sind und wegen der wir uns getroffen haben, ist, daß die bisherigen Methoden schlecht sind. Das verbindet uns ja gerade und wir sollten dann heute auch einen Schritt vorwärts tun, um das Innovative reinzukriegen.
Wenn ich Dr. Matthiessen richtig verstanden habe, hat er gesagt, man sollte eigentlich nicht behandeln, wenn man nicht genau die Prognose weiß. Habe ich das richtig verstanden ?

(*) Wenn man die Prognose des unbehandelten Verlaufs nicht kennt, und dann interveniert, dann würde ich sofort die Polizei rufen. Weil, wenn es eine Gesprächstherapie ist, ist es Nötigung, wenn es Chirurgie ist, ist es Körperverletzung, usw.

(*) Ich denke, wir brauchen Randomisation, gerade weil wir über Prognosen zu unsicher sind. Es gibt viele Beispiele, auch in der konventionellen Medizin, wo kausale Zusammenhänge auch ohne Randomisation ganz klar waren, weil die unbehandelte Prognose bekannt war und man nun eine Therapie brauchte. Es gab eine Veränderung und jedermann war überzeugt. Es könnte vielleicht einen zweiten Weg geben, wenn wir kreativ sein möchten. Das wäre, den Weg zu gehen, Prognosen viel präziser zu studieren. Weil es einfacher wäre, mit anderen Studien, also nicht randomisierten Studien, eine Veränderung zu zeigen, wenn wir imstande wären, die Prognose einer Krankheit unbehandelt oder nicht neu behandelt zu beschreiben. Aber dann brauchen wir genaue Informationen über die unbehandelte Prognose, ich meine natürlich nicht ganz unbehandelt, aber sagen wir, die Prognose mit Standard-Behandlung.

(*) Ich möchte dem gerne zustimmen. Aus der Praxis der Homöopathie heraus ist auch immer wieder ein ganz großes Problem, daß man oft auf sehr alte Literatur zurückgreifen muß, um überhaupt eine genaue klinische Beschreibung z. B eines Zahnabszesses oder einer Phlegmone an der Haut oder so zu kriegen, weil man so was normalerweise in unserer Zeit nicht sieht. Es wird im Ansatz erstickt, und das Vollbild erleben wir nicht mehr. Wir können dann auch häufig nur ganz wagemutig als homöopathische Ärzte so was mal laufen lassen, und gucken, daß wir das therapeutisch beeinflussen, weil es so schwer für uns ist, eine Norm darüber zu formulieren, wie das normalerweise ist, und wo wir ablesen können, ob wir jetzt einen guten Verlauf haben oder nicht. Und insofern ist es richtig, was Sie sagen. Es ist bestimmt so, daß lange Zeit die klinische Beobachtung unter den Ärzten beispielsweise auch durch die Antibiotika-Ära sehr vernachlässigt worden ist. Ich erlebe immer wieder, daß es ganz viele Kollegen fragen, wie beispielsweise eine Otitis media verläuft, weil sie noch nicht einmal mehr das erlebt haben. Insofern würde ich Ihnen da gerne beipflichten. Das gilt dann natürlich für ganz viele Krankheitenbilder.

Peter Matthiessen:
Also ich halte es für voreilig zu sagen, daß man deswegen gleich die Statistik braucht. Die gerade sagt uns ja wiederum nicht, warum die eine Krankheit sieben Tage im Schnitt, die andere einen Tag und die andere mehr braucht. Wir klammern wieder die inhaltlich zu lösende Frage, wie die zeitliche Eigendynamik von Krankheitsverläufen ist, aus? Ich glaube, wir sollten viel Forschungsgelder in solche Fragen investieren. Ich halte es einfach schlichtweg für eine Verschwendung von Volksvermögen, wenn wir inhaltlich diese Fragen nicht thematisieren. Wir haben doch eine totale Unkultur in Bezug auf die Zeitlichkeit, auf die Zeitgestalt von physiologischen Abläufen von Krankheitsverläufen usw. Und ich halte es schlichtweg für Verschwendung von Volksvermögen, inhaltlich nicht an diese Fragen heranzugehen, und sich statt dessen nur wieder in die Statistik zu flüchten. Natürlich brauchen wir die Prognose, das ist ja das Entscheidende. Ich gebe ihnen völlig recht, deswegen machen wir ja die Studie, und der unbehandelte Verlauf tritt eben nicht ein und fehlt uns dann als Kontrolle. Deswegen sind wir aufgerufen, so gut wie möglich größere Zeitabläufe auf einer genuinen biologischen Ebene zu erforschen, um dann etwas darüber aussagen zu können. Das müssen wir dringlich tun, dann haben wir nämlich eine Kontrolle, wir tun es aber nicht. Im Organischen haben wir ja eine Eigenzeitlichkeit, die nicht der physikalischen Zeit entspricht. Uns kommt da ja auch viel zu Hilfe, so wie der Physiker von der Gnade Gottes lebt, wenn er Sachen über Jahrtausende voraussagt, da sich das gar nicht aus seinen Gesetzen, die wie gesagt alle differenziell sind, ergibt. Genauso sollten wir eben die Kontrolle präzisieren, was erwarten wir also unter unserer therapeutischen Intervention, was erwarten wir morgen, was in einem Jahr
Vielleicht noch eine Bemerkung, ich meine, man sieht halt bei den Waschzetteln, bei den Arzneimittelzetteln, wie wenig seriös das ist, da steht nämlich nicht die Probabilistik drin, sondern da steht bei der Indikation drin, ‘ist ein sicheres hochwirksames Antipsychiotikum’, als ob es immer wirken würde, propabilistisch werden nur die unerwünschten Arzneimittelwirkungen angegeben, die Hauptwirkung wird dagegen immer deterministisch angegeben.
 
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David Riley:
Ich verstehe jetzt nicht, warum Sie gemeint haben, daß ich einen statistischen Vorschlag gemacht habe, weil ich gemeint habe, daß ich einen inhaltlichen Vorschlag gemacht habe (Lachen).

Peter Matthiessen:
Ach so, dann habe ich Sie falsch verstanden. Dann bitte ich das zu entschuldigen. Ich dachte, Sie sagten, wir brauchen die Statistik, um die Prognose zu haben.

David Riley:
Nein, wir brauchen die Prognose, um Kausalität im Einzelfall zu haben.

Peter Matthiessen:
Dann nehme ich alles zurück...

Joachim Hornung:
Um nochmal auf Sie zurückzukommen, wenn Sie sagen, ‘wenn ich Kollegen frage’, dann sind das aber Kollegen anderer Therapierichtungen, oder?

(*) Ja klar.

Joachim Hornung:
Ganz klar, wenn Sie jetzt Kollegen in der selben Therapierichtung fragen ...

(*) Ja, wir tauschen uns mühselig aus in diesen Fragen.

Joachim Hornung:
Wenn Sie die Kollegen derselben Therapierichtung fragen, und sie kriegen die verschiedenen Aspekte zu dem Wirksamkeitsumfang, fühlen Sie sich dann dadurch sicherer ?

(*) Ich fühle mich dann sicherer, wenn ich denke, daß ich sehe, wie der Verlauf des Patienten ist, wenn ich das wirklich begreife. Auch wenn ich merke, ob meine Intervention etwas bewirkt oder nicht, dazu muß ich aber den Spontanverlauf in etwa abschätzen können. Dazu muß ich natürlich auch Dinge heranziehen, die ich epidemologisch noch nicht erfassen kann. Ich muß das Alter sehen, muß sehen, wie gut oder wie schlecht der klinische Zustand ist, und ganz viele sehr komplexe Dinge. Es ist ein sehr komplexes Geschehen, aber ich merke oft, daß ich in alten Büchern, so um 1930 oder noch älter, nachlese, wie läuft denn so etwas, weil es uns nicht mehr vermittelt wird. Das ist sehr, sehr schade, wir brauchen es für den Einzelfall tatsächlich als Parameter.

Joachim Hornung:
D. h. wir machen keine Erfahrung mehr unter diesem Aspekt. Herr Matthiessen hatte ja gesagt, es gibt keine Theorie, die nicht sozusagen Auswirkungen auf die Praxis hat.

(*) Also es gibt da vielleicht doch eine gewisses, wie soll ich es sagen, theoretisches Werkzeug, das aus der Homöopathie kommt, und das sind die drei Hauptmiasmen einerseits und die Hering’schen Regeln. Das ist etwas, was zwar aus der Homöopathie kommt, aber natürlich auch auf jeden akuten und jeden chronischen Krankheitsprozeß anwendbar ist. Das ist auch lehrbar. Ich stelle fest, wenn ich das in Bern in meinen Vorlesungen bringe, daß die Studenten das aufsaugen wie ein trockener Schwamm. Die haben noch nie so etwas gehört und werden da mit einer prognostischen Denkweise konfrontiert, ich versuche das zumindest, und sind ganz überrascht, daß man Krankheitsprozesse mal von einer anderen Seite beobachten und angehen kann. Ich bin mit Ihnen völlig einverstanden - aus den alten Beschreibungen einer Tuberkulose beispielsweise kann man genau diese Stadien und die Abläufe des normalen, spontanen Reagierens eines noch funktionsfähigen menschlichen Organismus ablesen. Das muß gelehrt werden. Da bin ich mit Ihnen und mit Herrn Matthiessen völlig einer Meinung. Das ist eigentlich die Grundaufgabe....
Aber es geht auch darum, die behandelte Prognose zu wissen, um den Patienten sagen zu können, also wenn jetzt z.B. ein Hautausschlag kommt oder das Fieber weggeht, dann sind sie auf der richtigen Seite. Die Patienten können das erfahren und sehen dann bestätigt, was ihr Arzt ihnen vorausgesagt hat ,was allenfalls passieren könnte. Daran sieht man noch einmal die Bedeutung dessen, was ich mit Herrn Kiene im Anschluß an seinen Vortrag diskutiert habe, daß nämlich nicht nur die Urteilskraft des Arztes durch die Randomisation wegrationalisiert wird, sondern auch diejenige des Patienten. Und wir Ärzte sind auf die Urteilskraft des Patienten mindestens zu 50% angewiesen.Das ist ein Wechselspiel, und jede Reaktion, jede Beurteilung des Patienten gibt uns ja wieder die Information, die dann, und da komme ich auf ‘Francis Bacon’ zurück, quasi die therapeutische Idee des therapeutischen Experiments in Gang setzt. Wir überlegen an der Reaktion des Patienten, was könnte ich denn jetzt am besten machen, genau das ist eine experimentelle Situation.

(*) Ich möchte etwas dazu sagen, das in den Kontext paßt. Also ich habe heute gelernt, was ich bisher in der Deutlichkeit noch nicht wußte. Mir war folgendes klar. Wenn man eine randomisierte Studie durchführt, dann hat die eine ganz enge Fragestellung, nämlich ist das Arzneimittel A gegenüber dem Arzneimittel B positiv signifikant überlegen oder nicht ? Dann wird eine 5 oder 6 Seiten lange Publikation im ‘Journal of Medicine’ erstellt, und die einzige Information, die ich als Leser aus dieser 5-Seiten-Publikation bekomme, ist, besteht die Signifikanz, oder nicht ? Das ist die Information, und alles andere, was dazugeschrieben wird, dient mir als Methodologe oder als erfahrener Arzt dazu zu kontrollieren, ob die das gut gemacht haben? Welche Ärzte waren das, waren das verläßliche Ärzte, welche Einrichtungen waren beteiligt, welche Methodik haben sie, wie viele Patienten, haben sie die Fragestellung gut bearbeitet ? Aber medizinisch werde ich hier nur um diese eine Information klüger. Also ich werde eigentlich ganz wenig klüger, und das ist eine klinische Studie. Das, dachte ich bisher immer, ist eigentlich zu wenig.
Aber heute habe ich dazu gelernt, daß da ja noch ein anderes Element ist. Die Medizin und die Ärzte insgesamt werden durch dieses System der randomisierten Studie dümmer. Denn sie sind eben nicht verpflichtet, ihre klinische Erfahrung, was immer das jetzt heißt, ganz grob gesprochen auszubilden. Vielleicht ist das nicht jedem hier klar, aber in dieser Dramatik, habe ich das bisher noch nicht gesehen. Herr Matthiessen hat das ausgesprochen. Das war mir persönlich in der Schärfe noch nicht klar.
Das könnte vielleicht auch der Ansatz sein.... Hinzu kommt natürlich, daß die immer dümmer werdenden Ärzte dann von einer Allianz von Studienmethodik plus Bürokratie geistig entmündigt werden, zu recht, denn sie können es ja nicht mehr. Der Gegenstoß, der kann eigentlich jetzt nur so kommen, daß Studienformen entwickelt werden, bei deren Durchführung die Ärzte klüger werden. Und bei deren Lektüre, wenn sie kompliziert ist, die Kollegen auch klüger werden. Es geht gar nicht darum, Arzneimittel zu prüfen, sondern das sind ganz andere Stoßrichtungen von klinischen Studien. Es sind nicht Studien zur Wirksamkeitsprüfung, sondern es sind Studien, um die Ärzte besser zu machen. Das ist eigentlich ein ganz anderes Anliegen.
Das ist jetzt vielleicht ein Sektor aus dem Gesamttableau radikal herausgeschnitten, das war mir aber bisher auch noch nicht so deutlich wie heute.

(*) Ich möchte nur noch einmal sagen, das Experiment passiert ja mit jedem Patienten. Jeder Patient, der das erste Mal behandelt wird, ist ein Experiment. Denn auch wenn ich Erfahrungen habe, auch wenn ich von einer Studie ein Ergebnis weiß, ob dieser Patient sich so verhält, weiß ich ja nicht. Insofern ist jede Behandlung zunächst einmal ein Experiment, und insofern ist es in jedem Fall notwendig, sich doch bewußt zu machen, daß ich von einer solchen Studie, wie sie allgemein üblich ist, für den einzelnen Patienten keine Information bekomme. Das ist doch dann die Frage, die Herr Hornung vorhin aufgeworfen hatte, oder was er sozusagen schon vorausgesetzt hat, daß, wenn Ärzte aus diesem Mainstream herausgehen und einer Therapierichtung dienen wollen, die sich sozusagen auf das Individuum Patient richtet, die Methoden, die wir anwenden, dem auch adäquat sein müssen und nicht Ergebnisse zeitigen, die für das Individuum unbedeutend sind, oder ist das falsch ? Und in dem Sinne, Herr Kiene, wenn Sie vorhin von der ‘abbildenden Korrespondenz’ gesprochen haben, fühlen Sie sich, so wie das Gespräch gelaufen ist, an der Stelle jetzt verstanden ?
 
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Helmut Kiene:
Ja. Ich bin mir aber nicht sicher, ob man die Prognose benötigt, um die Abbildung der Therapiemaßnahme am Patienten ankommen zu sehen. Ich bin mir nicht sicher, ob man den Vergleich zu einer, wie auch immer entworfenen Prognose benötigt. Aber sonst, ja.

(*) Ja, also ich kann jetzt nicht mehr ganz folgen, und ich würde doch mal etwas genauer wissen wollen, was es ist, was eine solche randomisierte Studie leistet, und was sie vor allen Dingen nicht leistet, und ob Sie das näher beschreiben können, wodurch die Ärzte dümmer werden, anhand von Studien, zum Beispiel.

(*)In dem Sinne, daß der Arzt Erfüllungsgehilfe des Studienergebnisses wird. Das Medikament ist geprüft und für eine bestimmte Indikation wirksam. Der Patient hat die Indikation. Ich gebe ihm also laut Lehrbuch oder laut Medline-Recherche das Arzneimittel. Ich muß ja nicht mal mehr überlegen, ob es ihm hilft. Ich therapiere korrekt. Ich muß nicht wissen, wie die Prognose im unbehandelten Fall ist. Das bezieht sich also auf das Thema von Herrn Matthiessen. Ich muß nicht beurteilen können, ob dieses Arzneimittel bei diesem Patienten wirklich wirkt, kann ich ja angeblich sowieso nicht. Ich therapiere völlig korrekt. Ich muß die Diagnose nach irgend welchen Schlüsseln richtig stellen können, aber ich muß keine Prognose entwickeln können, und ich muß nicht beurteilen können, ob meine Therapiemaßnahmen denn Patienten helfen. Ich therapiere korrekt.

(*)Würden Sie dafür plädieren, daß diese Studien überhaupt aus den Zulassungsvorschriften getilgt werden ?

(*) Als allgemein verbindliche Vorschrift, ja. Sie dürfen nicht allgemein verbindlich sein.

(*) Ja, ja, aber ich meine, wenn Sie rechtliche Wirksamkeit haben wollen, müssen sie allgemein verbindlich sein, oder ?

(*) Ich will es noch mal ganz scharf sagen. Das zwar sicher nicht bewußte Motiv dahinter ist doch eigentlich, das Urteil des Individuums nicht mehr zu brauchen, und es sozusagen als ‘Ersatzmechanischen Prozeß’ anzugehen, wenn ich mich auf Studienergebnisse beziehe und auf diejenigen, die sagen, ärztliche Entscheidungen sind prinzipiell nur stochastisch möglich. Das ist ja heute wahrscheinlich die Mehrzahl, die meint ‘ärztliche Entscheidungsfindung ist nur stochstisch möglich’. In eine Parabel, in eine Wurfparabel kann ich hinein wachsen, das kann ich lernen, das ist ja auch so in der Praxis. Stochastisches Denken kann ich nicht denken. Das heißt dann, ich muß den einzelnen Patienten gar nicht zu Gesicht bekommen, ich muß eben nicht das machen, was wir in der Praxis ja kennen, nämlich die Kunst der Konkretion, wie anverwandele ich das Allgemeine an den besonderen Fall ? Das werde ich überhaupt nicht mehr machen, denn ich beziehe mich ja gerade auf diese 70 % und sage na ja, das gebe ich jetzt, weil es die höchste Prozentzahl ist. Ich muß das nicht mehr leisten. Wir wissen aber aus der Praxis, es gibt diese Erfahrenheit, die ein professionsspezifisches Können und personengebunden ist. Was aber eben interessant ist, sie ist eben nicht nicht kommunizierbar, sondern die Erfahrenen treffen sich darin und zeigen, sie sind sehr wirklichkeitsnah, während die anderen draußen stehen. Das wird, da hat Herr Kiene völlig recht, gar nicht mehr in die Waagschale geworfen und entwickelt. Ich muß aus eigener Erfahrung sagen, dort wo ich mich auf Studienergebnise beziehe, fühle ich mich eiskalt, da gebe ich das eben, und dort, wo ich um eine Therapie am individuellen Patienten ringe, da hat man gegebenenfalls drei schlaflose Nächte. Das ist eine Art Erkenntnisdramatik, und Herr Schürholz hat völlig recht, jede Behandlung ist dann ein investigativer Akt, und im anderen Fall ist es eine fast - nehmen Sie es mir nicht übel - bis an’s zynische gehende Automation. Das läßt mich völlig kalt. Ich berufe mich auf Statistik, dann geht’s.

(*) Ob ein guter Arzt, ein guter Hausarzt, wirklich so vorgeht, wie Sie unterstellen ? Ich denke das Medikament ist zugelassen, es ist wirksam, er weiß aber, daß sein Patient schon ein individueller Patient ist, vielleicht gibt er ihm überhaupt nicht dieses Mittel.

(*) Entweder er macht eine gute Praxis - dann wird er aber von den Wissenschaftlern ausgelacht, er wird dann von der wissenschaftlichen Ebene jedenfalls nicht ernst genommen. Oder er richtet sich genau nach diesen wissenschaftlichen Kriterien, dann ist er um so weniger individuell. Es geht doch um den Begriff der Urteilskraft, ‘Judgement’. Es ist eben nicht formale Wissenschaftlichkeit, sondern es ist ein Akt, der außerhalb der Modelle liegt. Das ist doch das Problem. Es ist außerhalb der formalen Modelle, die ich anwende, und es ist trotzdem eine Fähigkeit, wie der Mensch weiß. Und dafür haben wir keine Theorien.

(*) Aber ich meine, ich möchte es dann doch noch einmal auf die Frage zuspitzen, wenn das so ist, ist es dann besser, diese Wirksamkeitsprüfung überhaupt einzustellen und den Arzt mit seinem Patienten allein zu lassen ?

(*) Ja, man kann solche Zulassungsprüfungen machen, aber man muß wissen, was man damit macht, nämlich einfach einen Vergleich zwischen einem alten antihypertensiven Mittel und einem neueren antihypertensiven Mittel mit einem möglicherweise signifikanten Unterschied. Es soll dann aber dem einzelnen Arzt überlassen bleiben, wie er das anwendet.

(*)Vorhin wurde gesagt, es gibt nur zwei Gründe, der eine ist für’s Marketing und der andere ist zum habilitieren. Wenn man das so akzeptiert, dann kann man das ja weiter machen. Wenn man aber meint, das sollte für was anderes dienlich sein, dann muß man sich fragen, ob das die richtige Methode ist.

(*) Ich möchte ganz kurz in die selbe Kerbe schlagen, und den Anwesenden die Kurzfassung von Frau Kienle, die sie eingereicht hat, und die sie alle bekommen haben, vielleicht noch mal in Erinnerung rufen. Es sind vorher in diesem kurzen Disput eigentlich die Dinge angesprochen worden, besonders auch von Herrn Matthiessen, die den Arzt weiterbringen sollen. Das heißt, das ist eine Forschung, die an den Arzt gerichtet ist. Wir schwenken jetzt mit Ihrer Frage ‘braucht man dann überhaupt noch solche Sachen’ wieder in den Bereich der Zulassung über, wo man ja tatsächlich jemand anderem beweisen muß, daß das funktioniert. Vielleicht sollten wir im Auge behalten, daß wir da zwischen Ebenen hin und her springen, und uns vielleicht auch einigen, daß wir jetzt vielleicht 10 Minuten lang über die Zulassung beim Amt reden, denn wenn Sie so eine Frage stellen, dann hat die diese Richtung.

Joachim Hornung:
Mir wird jetzt auch etwas ganz klar, glaube ich, und zwar haben diese randomisierten Studien noch zwei ganz fatale Effekte, wie ich finde. Ich erfuhr kürzlich von einer Rheumapatientin, die über ein halbes Jahr mit hohen Dosen Voltaren behandelt wurde. Voltaren ist keine Kausaltherapie für Rheuma. Sie wandte sich dann einer Außenseiter-, einer besonderen Therapierichtung zu und hatte großes Glück, es ging ihr danach besser. Die randomisierten Studien, die ja sehr viel in der Schulmedizin angewendet werden, können jetzt vielleicht unterscheiden zwischen einem Präparat Voltaren und einem anderen neueren Präparat, das in irgendeiner Weise vielleicht noch etwas günstiger ist, weniger Auswirkungen auf die Magenschleimhaut hat oder so etwas, aber diese Studien haben den Effekt oder die Eigenschaft, daß sie schulmedizinische Therapien miteinander vergleichen und aus dem System nicht heraus führen, d. h. sie beweisen die Überlegenheit eines Präparates B gegenüber einem Präparat A. Damit ist es wissenschaftlich bewiesen und kommt, auch in dem Sinne, wie Sie das vorhin sagten, ganz allgemein in Gebrauch, und der Arzt braucht sich darüber keine Gedanken mehr machen. Das heißt er denkt einfach gar nicht mehr darüber nach, ist das überhaupt die richtige Therapie hier mit Schmerzmitteln heranzugehen, oder sollte ich mich nicht vielmehr um irgendwelche ganz anderen Therapiemethoden kümmern, die vielleicht kausal oder kurativ wirken können. Das braucht der gar nicht mehr, denn das was er macht ist ja wissenschaftlich bewiesen, und auch hinsichtlich der Richtlinien, die Herr Lüdtke erwähnte, sind die Beweise ja ordnungsgemäß geführt worden.
Das ist also ein, wie ich finde, äußerst unangenehmer Effekt, aber es geht noch einen Schritt weiter. Das geht sogar so weit, daß den schulmedizinischen Therapieformen ganz generell das Etikett angehängt wird, daß sie ja wissenschaftlich fundiert seien. Die Krankenkassen fragen z.B. niemals bei schulmedizinischer Therapien, ob die wissenschaftlich nachgewiesen sind, sie fragen es immer nur bei den besonderen Therapierichtungen. Da wird es generell in Zweifel gezogen, wogegen es bei den schulmedizinischen Therapien generell angenommen wird.
Das führt zu der absurden Situation, daß heute Medizinstudenten bereits wissen, daß bei den meisten Krebsformen die Chemotherapie in den meisten Fällen überhaupt völlig unwirksam ist. Sie wissen das, sie lernen das und daß aber trotzdem bei diesen selben Krebsformen Unmassen von Chemotherapien angewendet werden, weil die Schulmedizin ja so wissenschaftlich ist. Die Studien weisen das gar nicht mehr aus, sie beweisen längst, daß diese Therapie in vielen Fällen - in manchen Fällen ist sie wirksam, das weiß ich auch - aber in den allermeisten Fällen völlig unwirksam ist. Sie stellt jedoch einen sehr groben Eingriff in das Körpergeschehen des Patienten, also eine grobe Körperverletzung dar, und wird mit der generellen Rechtfertigung ‘weil ja die Schulmedizin so wissenschaftlich ist, weil das alles bewiesen ist’ betrieben. Also das ist so ein Übersprung, eine Übersprunghandlung - ich weiß nicht wie man das nennt - und das sind doch ganz fatale Konsequenzen, die wir einfach nicht in Kauf nehmen wollen. Also ich jedenfalls nicht.
 
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Rainer Stange:
Ich breche mal eine Lanze für die sogenannte Schulmedizin, als ‘Advocatus Diaboli’. Gerade an dem Beispiel, da denke ich, haben Leute aus unserer Richtung, also Herr Abel und ähnliche, schon sehr viel bewirkt. Es ist unter Kollegen, die früher sehr viel eher dazu gegriffen haben, eine gewisse Restriktion zu bemerken. Ich wollte noch etwas anderes sagen. Ich finde solche Diskussionen haben immer einen Schwachpunkt. Die therapeutische Situation wird so immer als eine verallgemeinerbare gesehen. Es wird zu wenig die Breite der Situation, also Akkuität, Chronizität usw. und die Schwere der Beschwerden gesehen. Wenn man z.B. einen Bluthochdruck bei einem jungen Patienten mit einem zugelassenen Medikament behandelt, und der Blutdruck senkt sich nicht, und er kriegt eine Komplikation und zeigt einen daraufhin an, ich denke da wird einen niemand herausholen. Da werden alle sogenannten Schulmediziner sagen, der hat Quatsch gemacht. Ich will sagen, wenn der Verlauf der Krankheit eine schnelle Rückkopplung darüber gibt, ob die Medikation erfolgreich war, dann ist dieses Kriterium wichtiger als das, was in irgend welchen Studien gewonnen wurde. Die Rückkopplung muß positiv sein, der Therapieerfolg muß sich einstellen, sonst wird auch jeder Schulmediziner sagen, da ist was schiefgelaufen, er hätte was anderes machen müssen. Das könnte man für das Voltaren als Beispiel unter Umständen auch anführen. Eine viel schwierigere Situation ist, wenn ich mit einer Langzeitmedikation eine Risikoverbesserung erreichen will. Mal ein Beispiel, eine junge Frau wird an Brustkrebs operiert und erfüllt formal die Kriterien für eine Langzeittherapie mit Tamoxyphen. Ob diese Therapie erfolgreich war, kann ich vielleicht erst in 10 Jahren sehen. Was mache ich nun? Ich habe überhaupt kein Kriterium an der Hand, um für die nächsten 3 Jahre, für die die Therapie empfohlen wird, zu sehen, ob die was bringt oder nicht. Ich muß das eigentlich, wie Sie sagen, relativ kühl und distanziert machen, wenn ich solche Therapien mache, aber ich habe da wenig Chancen zur Zeit. Wir sind auch nicht dazu aufgerufen, besondere Kriterien dafür, welche Personen von Tamoxyphen profitieren, abzuleiten. Für andere Therapeutika haben wir sie möglicherweise. Aber ich apelliere daran, die therapeutische Situation doch etwas differenzierter zu sehen, insbesondere dahingehend, ob ich eine schnelle Rückmeldung kriege, ob die Therapie erfolgreich und die Belastung durch die Therapie zumutbar ist.

(*) Ich würde dem zustimmen, man muß sicher die individuelle therapeutische Situation ansehen. Trotzdem wollte ich noch ganz kurz einige Beispiele für diesen Automatismus, für diese Arztverdummungsseite, die Herr Kiene ja eben angesprochen hatte, bringen.
Wenn Sie heute die Therapie der koronaren Herzkrankheiten ansehen, können Sie feststellen,daß Sie, weil es durch Studien gesichert ist, praktisch nicht mehr ohne Azetylsalizylsäure behandeln können. Sie können nach einem Herzinfarkt nicht mehr ohne Betablocker behandeln. Sie können eine Lipid- Stoffwechselstörung bei einem koronaren Herzkranken nicht mehr ohne einen Lipidsenker behandeln. Azetylsalizylsäure und Betablocker hat jeder Patient praktisch drin nach einem Herzinfarkt, aber es guckt kein Arzt mehr, ob dieser Patient eben, um ein ganz krasses Beispiel zu nehmen, gegen Azetylsalizylsäure allergisch ist, oder ob er Asthma hat. Da guckt keiner mehr drauf. Beim Betablocker genau das gleiche, da erlebe ich reihenweise, daß diese Patienten diese Substanzen automatisch reinkriegen und keiner mehr danach fragt, ist das wirklich für diesen Patienten indiziert. Im Gegenteil, wenn sie es rausnehmen, haben sie Schwierigkeiten. Es entstehen Automatismen, ein ganz krasses Beispiel ist die Retrovir-Therapie beim HIV-Syndrom, die 1987 angeblich aufgrund einer klinischen Doppelblindstudie eingeführt wurde. Da hatte praktisch kein oder kaum ein HIV-Patient die Chance, zu einem Arzt zu gehen und von ihm wieder wegzugehen, ohne daß er Retrovir bekam. Es gab da einen ungeheuren Druck, und es sind sicher viele Patienten durch diese Substanz aufgrund einer Doppelblindstudie umgebracht oder deren Leben verkürzt worden.
Also, ich will jetzt nicht sagen, daß alle Doppelblindstudien lebensgefährlich oder lebensbedrohlich sind (Lachen). Das wäre ein bißchen übertrieben, aber es gibt auch solche Situationen. Man muß sicher ganz genau angucken, welche Situation man im Einzelfall hat. Dieser Dogmatismus, der dahinter steckt, der hat in der Tat dazu geführt, daß es heute eine lebensbedrohliche Angelegenheit geworden ist, weil keiner von den Kollegen mehr guckt. Eine durch Studien hochsignifikant abgesicherte Substanz wird automatisch reingegeben. Da gibt es ganz wenige, die den Mut haben und überhaupt noch einen Gedanken daran verschwenden zu gucken, ob es für diesen Patienten das Richtige ist? Ist der Betablocker wirklich für diesen Patienten das Richtige ? Das ist der klinische Alltag, das ist die klinische Realität, und insofern würde ich dem, was Herr Matthiessen und Herr Kiene gesagt haben, zustimmen. Es ist eine Arztverdummungsmaschinerie. Das heißt ja nicht, daß es nicht auch Situationen geben kann ( ich kann mir wenige vorstellen), wo man klinische Doppelblindstudien machen kann, ohne daß gedrückt, betrogen und gelogen wird, ich darf das jetzt mal so kraß formulieren. Ich bin sicher, daß die Effekte, die in den Studien, welche immer wieder als besondere Beispiele wie zum Beispiel die Antiarhythmika-Studie angeführt werden, herausgekommen sind, auch in einer offenen Studie herausgekommen wären. Es wäre ja noch die Frage, ob wir sie erstens brauchen, und was sie zweitens bewirken. Gut, das ist wieder ein bißchen zurückgegangen in der Diskussion, ich muß mich dafür entschuldigen, aber ich wollte das doch gerne noch mal an einem konkreten Beispiel anführen.

(*) Ich möchte aber genau zu dem Punkt noch was ergänzen. Und zwar, einfach zu diesem Automatismus und der angeblichen Verallgemeinbarkeit von großen Studien. Es ist nämlich so, ich denke, wenn man methodologisch gewissenhaft arbeitet, (dann) müßte man jeden Patienten, den man behandelt, darauf überprüfen, ob er genau den gleichen Einschlußkriterien entspricht, die man für die Patienten angenommen hat, die in diese Studien reingekommen sind. Ich denke, daß das nicht so häufig passiert.

(*) Ich wollte sagen, wir sollten vielleicht kein unnötiges Feindbild aufbauen. Wir vermischen jetzt wieder ‘doppelblind’ und ‘randomisiert’. Ich glaube, was ‘doppelblind’ betrifft, ist man sehr viel relativierender geworden. Was dagegen heute - und das kann man auch nicht vom Tisch wegwischen - erstmal die Erkenntnisnöte sind, das ist, daß wir aus biometrischer Sicht eine Randomisation brauchen, anders geht es halt nicht. Das ist ja nicht nur Borniertheit. Wenn man sie nicht verwenden würde, dann müßte man eben gerade herausfinden, wie man mit nicht-stochastischen Mitteln eine Sicherheit finden kann. Diese müssen ja entwickelt werden, und insofern möchte ich nicht, daß wir jetzt ein falschen Feindbild aufbauen.
Um das bei Ihnen noch zu ergänzen, das ist ja nicht nur eine Halb-Randomisierung, sondern es ist eine Halbheit. Es gingen zum Teil nur 10% der Befragten dieser Stichprobe in die Studie rein. Das ist eine hohe selktive Auswahl, wer geht denn rein? Die ganz Indifferenten. Und die anderen, die zunehmend sagen, ‘ich will mich nicht randomisieren lassen’.....? Es war auch unsere Erfahrung, als wir in dieser Forschungsförderung versucht hatten, vergleichende Therapiestudien zu machen, daß das gar nicht möglich ist. Zumal diejenigen, die eine spezielle Therapie der besonderen Therapieformen bekommen, würden sich doch niemals randomisieren lassen. Es ist schlechterdings nicht machbar und ich wage die Voraussage, daß sich in Zukunft der immer autonomer werdende Bürger schlichtweg nicht mehr randomisieren lassen will. D.h., der Konservatismus der Medizin, der ja seine Rechte hat, wird sich unter diesem Druck einfach etwas anderes einfallen lassen müssen, der Bürger will es nicht, und er macht es nicht. Weder der Arzt, noch der Patient will sich so behandeln lassen. Deswegen sind wir aufgerufen, etwas menschennäheres, der menschlichen Lebenswirklichkeit näheres zu entwickeln.
Das ist das Problem mit der Randomisation.

(*) Wir hängen aber, das haben wir festgestellt, doch noch sehr an dieser konventionellen Methode, und wir sind ja eigentlich zusammengekommen, um darüber wegzukommen. Es ist klar, daß wir aus bestimmten Gründen damit immer noch umgehen müssen, aber wir müssen ja eigentlich darüber wegkommen, und wir wollen morgen früh ja doch dahin kommen, daß wir irgendwo Perspektiven sehen, in welche Richtung die Forschung gehen könnte, um da drüber wegzukommen. Ich denke, was Herr Matthiessen jetzt gesagt hat, das hat für mich Evidenzcharakter, weil das überall so ist.
Lassen Sie mich eine Bemerkung machen, die nicht direkt hier reingehört, aber verstehen Sie es als Bild. Wenn die Firma Bayer heute einen Gesamtextrakt aus Johanniskraut auf den Markt bringt, dann doch nicht, weil man wissenschaftlich eingesehen hat, daß ein Gesamtextrakt besser ist, als eine isolierte Wirksubstanz, sondern weil das Marketing es verlangt. D. h. der Bürger, die Menschen wollen den Gesamtextrakt, und bei der klinischen Prüfung hat sich herausgestellt, daß der Gesamtextrakt besser verträglich ist, er kontinuierlicher eingenommen wird und der isolierten Wirksubstanz sogar eher noch überlegen ist. Warum haben sie das gemacht ? Aus Marketinggründen, und aus Marketinggründen wird man die Randomisation eines Tages aufgeben. Und für diesen Fall brauchen wir Ideen für eine Methodologie, die sich am einzelnen Menschen orientiert, deshalb sind wir zusammengekommen.
Können wir, bevor wir auseinandergehen, noch so ein paar ‘Spotlights’ abgeben, die dann morgen in der Diskussion sozusagen noch mal wieder aufgenommen werden können ?

(*) Nun kann ich als Pädagoge den Medizinern ja nicht sagen, wie sie ihre Forschung betreiben sollen, auf das Eis begebe ich mich nun wirklich nicht. Ich kann nur die folgende Empfehlung geben. Wenn ich über Forschung in der Sonderpädagogik spreche, müssen wir uns überlegen, wie sieht tägliche Praxis aus ? Und unsere Forschung muß der täglichen Praxis möglichst nahe kommen. D. h., wenn ich (eine) Gruppenvergleichsstudie habe, in der z. B. ein Leseprogramm geprüft worden ist, dann sage ich, Moment mal, hier haben die Forscher einmal im Januar pro Kind 20 Minuten getestet, und einmal im August pro Kind 20 Minuten getestet, sie haben sich zufällig Lehrer ausgesucht, denen sie ein Leseprogramm verordnet haben, was diese Lehrer vielleicht gut fanden, vielleicht aber auch nicht. All das ist unrealistisch ! Denn kein Lehrer setzt in seiner Klasse ein Leseprogramm ein, mit dem er nicht gerne arbeiten möchte. Keiner setzt ein Leseprogramm ein, wo er den Eindruck hat, da kommen nur Leseschwierigkeiten bei raus. Keiner kommt auf die Idee, den Lernfortschritt seiner Kinder nur einmal am Schuljahresanfang und einmal am Schuljahresende zu messen. Mit anderen Worten, das Gruppenvergleichsdesign entspricht zu wenig der praktischen Vorgehensweise. Eine randomisierte doppelblinde Studie entspricht nach meinem bescheidenen laienhaften Eindruck überhaupt nicht der ärztlichen Vorgehensweise im wirklichen Leben. Warum ? Da werden Patienten zufällig ausgesucht, ich gehe aber nicht zufällig zum Arzt; die Ärzte werden zufällig zugeteilt, ich nehme mir aber nicht zufällig einen Arzt, sondern den Arzt meines Vertrauens. Die Behandlung ist ja gerade ein Prozeß, in dem ich mit dem Arzt meines Vertrauens in Kontakt bleibe. Wenn er mir ein Medikament gibt, dann werde ich ja dieses Medikament nehmen, vielleicht wenn ich dem Waschzettel vertraue, aber eben auch, wenn ich dem Arzt vertraue. Wenn ich Probleme habe, gehe ich wieder zu dem Arzt. Mit anderen Worten das Modell, ‘große zufällige Patientenzahlen usw.’ extensiv zu untersuchen, entspricht nicht der wirklichen Vorgehensweise. Sie müssen sich in den Untersuchungen ja auch angucken, wie oft die maßgeblichen Ärzte mit den Patienten in Kontakt waren, das sind ja sehr verdünnte Erfahrungen. Und dann, meine ich, muß man versuchen, die Methodologie von unten herauf neu zu denken, Nicht den eingetretenen Pfaden hinterher denken, sondern neue Pfade ausdenken. Dann würde ich versuchen, die praktische Vorgehensweise, die ärztliche Vorgehensweise, stärker kontrolliert zu begleiten. Damit kommt man vielleicht auf brauchbare Ideen. Ich vermute, man kommt dann stärker auf kleine Gruppen bzw. auf Forschungen mit Einzelpersonen, wo die extensive Vorgehensweise, die man vereinfacht so kennzeichnen kann, ‘viele Personen nach Zufall und nur wenig Kontakt mit den Personen’ durch ‘wenige Personen, aber langfristige Begleitung, viel Kontakt, intensiver Austausch’ ersetzt wird. Wenn so etwas systematisch gemacht wird, kann man dafür genauso Richtlinien verabschieden, wie für randomisierte Studien. Wenn so etwas systematisch gemacht wird, dann könnte man viele ‘kleine Studien’ aggregieren und käme so allmählich zu einer kumulativen systematischen Erfahrungsverwertung.

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