Elektrosmog-Report
4. Jahrgang / Nr. 11 November 1998
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Niederfrequenz

EMF beeinflussen die Herzfrequenzvariabilität

Die normale Variabilität der Herzfrequenz bei gesunden jungen Männern wird durch intermittierende niederfrequente elektromagnetische Felder von 20 Mikrotesla vermindert. Das wiesen amerikanische Forscher vom Midwest Forschungsinstitut in Kansas City in einer Studienfolge nach. Es ist bekannt, dass eine verminderte Herzfrequenzvariabilität mit einem erhöhten Risiko für schwere Herzrhythmusstörungen und den plötzlichen Herztod assoziiert ist. Die Ergebnisse haben über diesen speziellen Gesichtspunkt hinaus Bedeutung, da es sich um einen Befund handelt, der durch sonst meistens nur schwer quantifizierbare Veränderungen im Bereich des vegetativen Nervensystems bedingt ist.

Ein Metronom schlägt völlig gleichmäßig. Ein gesundes Herz macht das nicht, auch nicht in völliger Ruhe, sondern die Frequenz des Herzschlages fluktuiert ein wenig um eine mittlere Frequenz. Sowohl die Herzfrequenz - der Puls - als auch die Variabilität der Herzfrequenz werden durch das Wechselspiel von Sympathikus und Parasympathikus, den beiden Gegenspielern des vegetativen Nervensystems, beeinflusst. Die Herzfrequenz wird durch den Einfluss des Sympathikus beschleunigt und durch den Parasympathikus verlangsamt.

Ein erst seit wenigen Jahren beachtetes Phänomen

Ende der siebziger Jahre wurde nachgewiesen, dass eine verminderte Variabilität der Herzfrequenz bei Patienten, die einen Herzinfarkt erlitten hatten, mit einer erhöhten Sterblichkeit verbunden ist (Wolf 1978). Wer eine vergleichsweise geringe Frequenzvariabilität, d. h. eine Frequenzstarre, aufweist, stirbt nach überlebtem Herzinfarkt im Durchschnitt früher. Heute ist bekannt, dass das vegetative Nervensystem bei der Entstehung lebensbedrohlicher Herzrhythmusstörungen eine zentrale Rolle spielt. Immer deutlicher erkannten Mediziner in den letzten zwanzig Jahren die Bedeutung der Herzfrequenzvariabilität für das Überleben. So wurde beispielsweise in der umfangreichen Framingham-Herzstudie, in der viele tausend Menschen über Jahrzehnte regelmäßig untersucht wurden, die Herzfrequenzvariabilität als ein unabhängiger prognostischer Faktor für das Sterblichkeitsrisiko bei älteren Menschen ermittelt (Tsuji 1994).

Physiologie der Herzfrequenzvariabilität (HRV)

Periodische Schwankungen der sympathisch-parasympathischen Aktivität verursachen eine Fluktuation des Herzrhythmus. Kontrollmechanismen des Herzkreislaufsystems führen zu dauernden Frequenzkorrekturen, die eine periodische geringfügige Beschleunigung bzw. Verlangsamung des Herzschlags bewirken. Sie werden nicht bewußt wahrgenommen. Diese periodischen Veränderungen lassen sich grob drei Frequenzbereichen bzw. Frequenzbändern zuordnen (Kleiger 1993, Ori 1992):

1. Ein schneller Rhythmus von 15 bis 25 pro Minute im Rhythmus der Atmung (Hochfrequenzband von 0,25-0,4 Hz). Bei der Ausatmung nimmt die Herzfrequenz ein wenig ab, bei der Einatmung zu.

2. Ein mittlerer Rhythmus von etwa 6 pro Minute im Rhythmus der Blutdruckregulation (Mittelfrequenzband von 0,1-0,15 Hz). Der sogenannte 10-Sekunden-Rhythmus entsteht durch Schwankungen der Aktivität von Blutdruck-Rezeptoren in der Wand der Hauptschlagader und der Halsschlagader. Eine Blutdruckerhöhung führt zur Dehnung der Blutgefäßwände mit einer Aktivierung dieser Rezeptoren und nachfolgender Blutdruckerniedrigung und Herzfrequenzverminderung.

3. Langsame Rhythmen mit Frequenzen von weniger als 6 pro Minute, die beispielsweise auf vegetativen Schwankungen der Wärmeregulation des Körpers beruhen (Niederfrequenzband von < 0,1 Hz). Zudem gibt es noch wesentlich langsamere Rhythmen bis zu einem 24-Stunden-Rhythmus, die langzeitige Schwankungen in der Balance des vegetativen Nervensystems repräsentieren.

In ihrer Gesamtheit machen diese Fluktuationen die mit verschiedenen Messgrössen beschreibbare Herzfrequenzvariabilität (HRV) aus. Moderne Analysemethoden lassen Quantifizierungen der HRV und ihre grafische Darstellung in den verschiedenen Frequenzbändern zu.

Störungen der Herzfrequenzvariabilität

Störungen im Bereich des vegetativen Nervensystems führen zu Störungen der HRV. So konnte in verschiedenen Studien eine Überstimulation des Sympathikus bzw. eine Unterstimulation des Parasympathikus als Ursache des HRV-Abfalls bei verschiedenen Herzerkrankungen wie Herzinfarkt, koronarer Herzkrankheit und Bluthochdruck nachgewiesen werden. Die Verschiebung der vegetativen Balance zugunsten der Aktivität des Sympathikus vergrößert die Gefahr lebensbedrohlicher Herzrhythmusstörungen. Auch einige Medikamente können zu Beeinflussungen der Herzfrequenzvariabilität führen. Nun üben möglicherweise auch elektromagnetische Felder hier einen Einfluss aus. Das legen die jüngst in der Zeitschrift Bioelectromagnetics veröffentlichten Untersuchungsergebnisse einer amerikanischen Arbeitsgruppe nahe.

Abbildung 1: Die Herzfrequenzvariabilität im Niederfrequenzband zwischen 0,0 und 0,1 Hertz war bei einer intermittierenden nächtlichen EMF-Exposition mit 20 µT (Mikrotesla) deutlich gegenüber der Scheinexposition vermindert (p=0,035). (Anm.: Die HRV wurde mittels Spektralanalyse untersucht. Im Diagramm ist der Prozentsatz der totalen Power für den langsamen Rhythmus der HRV unter 0,1 Hz angegeben.) (Abb. variiert nach Sastre et al. 1998).

Abbildung 2: Die HRV im Hochfrequenzband zwischen 0,15 und 0,4 Hertz war in den Stunden mit EMF-Exposition ("Ein"-Stunden) gegenüber den "Aus"-Stunden verstärkt (p=0,06). (Abb. variiert nach Sastre et al. 1998).

Abbildung 3: Die HRV im Niederfrequenzband zwischen 0,0 und 0,1 Hertz nimmt natürlicherweise in der Nacht zu. Durch EMF wurde sie jedoch vermindert (p=0,02). (Abb. variiert nach Sastre et al. 1998).

Abbildung 4: Die HRV im Hochfrequenzband zwischen 0,15 und 0,4 Hertz nahm unter EMF-Belastung zu (p=0,008).
 

Die Studie von Sastre und Kollegen

Antonio Sastre, Mary Cook und Charles Graham vom Midwest Forschungsinstitut in Kansas City/USA untersuchten in drei aufeinanderfolgenden Studien den nächtlichen Einfluss elektromagnetischer niederfrequenter Felder (60 Hz) auf gesunde Freiwillige im Alter zwischen 18 und 35 Jahren. Die Teilnehmer erreichten abends um 22 Uhr das Untersuchungslabor. Die Untersuchungen selbst fanden während des Schlafes zwischen 23 abends und 7 Uhr morgens statt. Sie wurden an drei verschiedenen Kollektiven durchgeführt.

1. In der ersten Studie wurden 33 Probanden entweder einem 20 µT (Mikrotesla) starken Feld, einem 1 µT starken Feld oder einer Scheinexposition ohne elektromagnetische Belastung ausgesetzt. Dabei waren in den beiden EMF-belasteten Gruppen die Felder nicht kontinuierlich eingeschaltet, sondern im Wechsel von einer Stunde vollständig ausgeschaltet. In den "Ein"-Stunden wurden die Felder zudem alle 15 Sekunden ein- und ausgeschaltet. Dieses Vorgehen einer intermittierenden Exposition soll realistische Bedingungen wechselnder Feldstärken simulieren. Von 29 der 33 Probanden lagen komplette Daten zur Auswertung vor.

2. In der zweiten Studie diente jeder der 40 Teilnehmer doppelblind als seine eigene Kontrolle. Jeder Proband erhielt in einer Nacht eine Scheinexposition und in einer weiteren Nacht eine Exposition mit 20 µT in der intermitierenden Art und Weise wie in Studie 1. Von 22 Probanden lagen nach beiden Nächten komplette Daten vor.

3. In der dritten Studie wurde wie in Studie 2 vorgegangen, jedoch wurde kein intermittierendes Feld ausgesendet, sondern das 20 µ T-Feld wurde um 23 Uhr ein und um 7 Uhr ausgeschaltet. Von 26 der hierbei teilnehmenden 40 Probanden lagen komplette Daten vor.
 
 

Ergebnisse der nächtlichen Untersuchungen

In den Studien 1 und 2 fiel eine deutliche Verminderung der Herzfrequenzvariabilität im Niederfrequenzband (0,0-0,1 Hz) unter der intermittierenden Exposition mit einem 60-Hz-Feld von 20 µ T Stärke auf (Abbildungen 1 und 3). Die Herzfrequenzvariabilität im Hochfrequenzband (0,15-0,40) war in den Stunden mit EMF-Belastung dagegen gesteigert (Abbildung 2). Im Verlauf der Nacht fanden sich unter EMF-Belastung Änderungen der natürlichen Verläufe der Herzfrequenzvariabilität in den verschiedenen Frequenzbändern (Abbildungen 3 und 4).

Eine geringere magnetische Feldstärke von 1 µ T verursachte keine messbaren Effekte (Abbildung 1). Auch bei kontinuierlicher Exposition, wie sie in Studie 3 vorgenommen worden war, wurde keine Beeinflussung der Herzfrequenzvariabilität ermittelt (nicht bildlich dargestellt).

Diskussion der Befunde

Die natürliche Fluktuation der Herzfrequenz, die sogenannte HRV (Herzfrequenzvariabilität) wurde durch niederfrequente Wechselfelder signifikant beeinflusst. Im Niederfrequenzband der HRV (< 0,1 Hz), das die langsamen vegetativen Rhythmen des Körpers wie etwa die Wärmeregulation widerspiegelt, wurde eine Verminderung der Variabilität gefunden. Im Hochfrequenzband der HRV (0,15-0,4), das die schnelleren vegetativen Rhythmen widerspiegelt, wurde dagegen eine Zunahme gemessen. Wie sind diese Beobachtungen zu bewerten?

1. Zunächst ist festzuhalten, dass in zwei verschiedenen Kollektiven - in den Studien 1 und 2 - gleichartige Einflüsse durch ein intermittierend ein- und ausgeschaltetes 60-Hz-Wechselfeld von 20 µ T gemessen wurden. Das lässt - mit der nötigen Zurückhaltung - auf ein reproduzierbares Phänomen bzw. auf einen wirklichen Effekt schließen.

2. Die fehlende Beeinflussung durch eine Dauerexposition mit EMF in Studie 3 ist ein Hinweis darauf, dass das Ein- und Ausschalten der Exposition ein wichtiger Faktor für die biologische Wirkung niederfrequenter elektromagnetischer Felder auf die Herzaktion sein könnte.

3. In nahezu allen klinischen Studien zur Untersuchung der HRV für Herzkreislaufrisiken wurde berichtet, dass ein höheres Risiko vor allem mit einer Verminderung der Fluktuation im Niederfrequenzband verbunden ist (Bigger 1992). Auch in der oben erwähnten Framingham-Herzstudie war nur die Verminderung im Niederfrequenzband ein unabhängiger Risikofaktor für die Mortalität (Tsuji 1994). Genau in diesem Bereich wurde in der Studie von Sastre und Kollegen eine Verminderung durch periodische EMF-Exposition gefunden. Danach stehen niederfrequente Magnetfelder im Verdacht, Herzrhythmusstörungen und plötzlichen Herztod zu begünstigen.

Psychologische Spannung, Stress und mentaler Zustand (z. B. Schlaftiefe), die ihrerseits Auswirkungen auf das Vegetativum haben, haben damit auch mittelbar Auswirkungen auf die Herzfrequenzvariabilität (Malik 1993). Eine verminderte HRV muß daher nicht auf einer unmittelbaren Wirkung auf die autonome Aktivität des vegetativen Nervensystems beruhen, sondern kann ein indirekter Effekt sein.

Dennoch sind die Befunde über die konkrete Beobachtung hinaus bemerkenswert, da sie Wirkungen elektromagnetischer Felder objektivieren, an denen das autonome Nervensystem maßgeblich beteiligt ist. Erinnert werden soll in diesem Zusammenhang auch an eine Studie aus der Neurologischen Klinik der Universität Freiburg, nach der elektromagnetische Felder von Mobiltelefonen in der Lage waren, den Blutdruck zu erhöhen (vgl. Elektrosmog-Report, Juli 1998). Meistens sind beobachtete vegetative Veränderungen im Zusammenhang mit EMF jedoch sehr unspezifisch - Kopfschmerzen, Schlafstörungen etc. - und können leicht als psychosomatisch oder nicht mit den Feldern ursächlich in Verbindung stehend angesehen werden. Parameter, die eine Quantifizierung solcher Einflüsse ermöglichen, sind daher von großem Wert.

Ungeklärte Fragen

Wie kommt die nächtliche Beeinflussung der HRV im konkreten Fall zustande? Neben einer unmittelbaren Wirkung durch EMF ist auch eine mittelbare Wirkung denkbar, beispielsweise durch eine Beeinflussung der Schlaftiefe, die ebenfalls die HRV beeinflussen würde. Wirkungen von EMF auf die Schlaftiefe wurden bereits früher beschrieben (vgl. Elektrosmog-Report, August 1996). Um diese Frage zu klären, wären simultane Messungen der Hirnströme mittels Elektroenzephalogramm notwendig gewesen. Auch Messungen der Atemfrequenz sind von Interesse, um den genauen Angriffspunkt für die beobachtete Wirkung zu ermitteln. Zudem ist unbekannt, wie lange die Wirkungen auf die HRV nach der EMF-Exposition anhalten. Sastre und Kollegen planen zur Zeit Studien, in denen diesen Fragen nachgegangen werden soll.

Weiterhin stellt sich die Frage, ob es Personen gibt, die auch bei niedrigeren Feldstärken mit vegetativen Veränderungen reagieren. In der vorliegenden Studie wurden junge gesunde Männer untersucht, die bei einer Magnetfeldstärke charakteristische Veränderungen zeigten, die zwar deutlich unter den internationalen Grenzwerten von 100 µT, jedoch wesentlich über der durchschnittlichen Wohnraumbelastung von 0,05 bis 0,1 µT liegt. Wie verhält es sich mit anderen Altersgruppen, mit chronisch Kranken, mit psychovegetativ stark belasteten Personen? Gibt es möglicherweise besonders empfindlich reagierende bzw. elektrosensible Personen? Welche Auswirkungen haben die Ergebnisse für die Arbeitswelt, in der in einigen Branchen Feldstärken von mehreren Mikrotesla auftreten können?

Erste epidemiologische Daten

Die hier vorgestellten experimentellen Befunde veranlassten David Savitz von der Universität von North Carolina, Daten früherer Studien an 140.000 Arbeitern von Energieversorgungsunternehmen erneut auszuwerten. Danach bestand in der höchsten Expositionskategorie eine Verdoppelung des Risikos für Todesursachen, die im Zusammenhang mit Herzrhythmusstörungen stehen. Es bestand sowohl eine Beziehung zur Stärke als auch zur Dauer der EMF-Exposition. Frühere epidemiologische Studien hatten Herzkreislauferkrankungen bisher nur in ihrer Gesamtheit betrachtet und keine erhöhten Risiken bei EMF-Exposition gefunden. Die neuen epidemiologischen Daten von Savitz sollen in naher Zukunft im American Journal of Epidemiologie veröffentlicht werden.

Sastre weist darauf hin, dass trotz aller Hinweise die Hypothese, elektromagnetische Felder beeinflussten die Herzfrequenzvariabilität und erhöhten damit das Risiko für lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen, bisher nicht bewiesen sei. Das schöne sei jedoch, "dass wir wissen, wie wir die Daten bekommen können, um sie entweder zu bestätigen oder zu verwerfen."

Franjo Grotenhermen

nova-Institut, Redaktion Elektrosmog-Report

Literatur:

  1. Bigger, J. T., Fleiss, J. L., Steinmann, R. C., Rolnitzky, L. M., Kleiger, R. E., Rottman,N.: Frequency domain measures of heart period varaibility and mortality after myocardial infarction. Circulation 85, 164-171 (1992).
  2. EMFs shown to change human cardiac rhythms: predicted rise in heart disease supported by EPI Study. Microwave News 18(4), 2-3 (1998).
  3. Kleiger, R. E., Bosner, M. S., Rottman, J. N., Stein, P. K.: Time-domain measurements of heart rate varaibility. J. Amb. Monit. 6, 1-18 (1993).
  4. Malik, M., Camm, A. J.: Heart rate variability: from facts to fancies. J. Am. Coll. Cardiol. 22, 566-568 (1993).
  5. Ori, Z., Monir, G., Weiss, J., Sayhouni, X., Singer, D. H.: Heart rate variability. Frequency domain analysis. Cardiol. Clin. 10, 499-537 (1992).
  6. Sastre, A., Cook, M.R., Graham, C.: Nocturnal exposure to intermittent 60 Hz magnetic fields alters human cardiac rhythm. Bioloectromagnetics 19, 98-106 (1998).
  7. Tsuji, H., Venditti, F. J., Manders, E. S., Evans, J. C., Larson, M. G., Feldman, C. L., Levy, D.: Reduced heart rate variability and mortality risk in an elderly cohort: The Framingham heart study. Circulation 90, 878-883 (1994).
  8. Wolf, M. W., Varigos, G. A., Hunt, D., Sloman, J. G.: Sinus arrhythmia in acute myocardial infarction. Med. J. Austral. 2, 52 (1978).
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Versicherungen

Risiko EMF - Die zivilrechtliche Haftungssituation in Deutschland

"Während das Thema elektromagnetische Felder (EMF) seit geraumer Zeit die Verwaltungsgerichte beschäftigt und in der öffentlichen Literatur rege diskutiert wird, steht eine umfassende zivilrechtliche Untersuchung der damit verbundenen Haftungsrisiken offensichtlich noch aus." Mit dieser Aussage leiten die Rechtsreferendare Sasche Halbe (Kanzlei Knoke, Sallawitz, v. Bismarck in Hannover) und Frank Quante (Kanzlei Rinsche und Speckmann in Potsdam) ihre umfassende Bestandsaufnahme und Analyse der zivilrechtlichen EMF-Haftungssituation ein. Ihr 19seitiger Text befaßt sich mit der Kausalitätsfrage, nachbarrechtlichen Ansprüchen (§§ 1004, 906 BGB), Schadensersatzansprüchen (§ 1 ProdHaftG und § 823 BGB), Erkenntnisfortschritten und Haftungsrisiken sowie vertraglichen Ansprüchen (§§ 459 und 535 ff. BGB).

Zum Thema "Erkenntnisfortschritte und Haftungsrisiken" schreiben die Autoren, "daß es gerade Produzenten von Geräten mit erheblichen Feldstärken (...) keinesfalls leichtfallen dürfte, den Beweis dafür zu erbringen, daß mögliche Gesundheitsgefahren zum Zeitpunkt der Inverkehrgabe unbekannt waren. Als Ursache für die gegenwärtige Unmöglichkeit, verläßliche Aussagen über den Grad der Gesundheitsgefährdungen durch elektromagnetische Felder zu machen, kommt die mangelnde Bereitschaft, Erkenntnisse zu gewinnen, in Betracht. (...) Den Hersteller trifft zudem die Pflicht, seine Produkte nach der Inverkehrgabe auf bis dato noch unbekannt gebliebene schädliche Eigenschaften hin zu beobachten. Für den Fall des Bekanntwerdens einer schädlichen Eigenschaft eines bereits in Verkehr gebrachten Produktes, hat er in geeigneter Weise zu warnen und wenn erforderlich eine Rückrufaktion durchzuführen. Zu solchen Aktionen sähen sich auch die Hersteller elektrischer und elektronischer Geräte verpflichtet, wenn sich der Verdacht genereller Gesundheitsschädlichkeit bestätigte."

Zusammenfassend schreiben die Autoren: "Der derzeitige Forschungsstand zu den Wirkungen elektromagnetischer Felder schließt eine zivilrechtliche Haftung nicht aus. Der naturwissenschaftliche Kausalzusammenhang ist rechtlich nicht unabdingbar. Überschreiten die Feldwerte die Grenzwerte der 26. BImSchV, bestehen Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche gem. §§ 1004, 906 BGB bzw. § 823 BGB. Sind dagegen die Werte eingehalten, verbleiben die in der Kausalitätsfrage verorteten prozeßtaktischen Aspekte zur Durchsetzung der Ansprüche. Für die nicht der 26. BImSchV unterstehenden Bereiche konnten Beispiele aus der Rechtsprechung Ansatzpunkte für Schadensersatzansprüche aufzeigen. Im Hinblick auf mögliche Erkenntnisfortschritte zu den Wirkungen elektromagnetischer Felder können Haftungsrisiken im Zusammenhang mit den heute in Gebrauch befindlichen emittierenden Geräten und dem Betrieb entsprechender Anlagen nicht ausgeschlossen werden. Insbesondere im Vertragsrecht ist aber auch die derzeitige Zurückhaltung der Rechtsprechung, bei unklarem Forschungsstand Gewährleistungsrechte aufgrund subjektiver Ängste zu begründen, deutlich geworden.

Die Gerichte bleiben auch nach Erlaß der 26. BImSchV vor die höchst schwierige Aufgabe gestellt, Prognosen über den hinreichenden Grad der Wahrscheinlichkeit einer Gesundheitsgefährdung von elektromagnetischen Strahlen zu stellen. Die Thematik ist daher von ungebrochener Aktualität und begründet weiteren naturwissenschaftlichen und juristischen Forschungsbedarf."

Quelle: Halbe, S., Quante, F.: Risiko EMF - Die zivilrechtliche Haftungssituation in Deutschland (Teil 1 und 2). PHi - Produkt- und Umwelthaftpflicht international 2/98 und 3/98.

Die Fachzeitschrift kann bezogen werden bei: Die Kölnische Rück, Theodor-Heuss-Ring 11, 50668 Köln, Fax: (0221) 97 38-16 52, E-Mail: rlorain@colognere.com.
 
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Verbraucherschutz

Handies gefährlicher als offiziell zugegeben? - Neue Konzepte zur Strahlungsminimierung in Sicht

Laut einer Meldung im Independent (24./25.10.98) haben sechs führende Hersteller von Handies - von Ericsson über Alcatel bis Hitachi - in letzter Zeit Patente eingereicht, die "Gesundheitsgefahren reduzieren" oder "sichere Abstände zwischen Nutzern und strahlenden Systemen" schaffen sollen. Laut Anwalt Tom Jones hat die Handy-Industrie mit diesen "verräterischen" Patenten indirekt zugegeben, dass sich Hersteller der Gesundheitsrisiken ihrer Geräte bewußt sind. Die Juristen vertreten Mandanten, die Handy-Hersteller und -verkäufer verklagt haben, weil sie Tumore, Schäden am Immunsystem oder Gedächtnisverlust auf die Nutzung der Handies zurückführen. Die Hersteller dementieren dies entschieden und erklärten, die neuen Patente seien lediglich ein Vorgriff auf zu erwartende schärfere Grenzwerte.

Der im allgemeinen gut unterrichtete "Chaos Computer Club" teilte bereits am 22.09.1998 über "ServiceWatch" Details dieser Neuentwicklungen mit, die aus internen Quellen der beiden "nordischen GSM-Hersteller" stammen. Den Informationen zufolge werden sogenannte Headsets zukünftig wesentlich stärker in den Mittelpunkt der Entwicklung gerückt: "Mit einem Headset kann das Telefon in ungefährlicher Entfernung vom Kopf positioniert werden. Die Pläne, von denen uns berichtet wurde, sehen u.a. Telefone mit Hörertaste am Headset, Wahl bei Spracheingabe und akustischer Ansage des anrufenden Teilnehmers vor. Die konventionellen Bedienelemente sollen zumindest bei einigen Modellen bis zum absoluten Minimum reduziert werden."

Ein anderer Aspekt der herstellerseitigen Vorsorge für den Fall des Nachweises der Gefährlichkeit derzeitiger Funktelefone ist die Investition in neue Übertragungstechniken. Als unter Umständen problematisch werden die Zeitslotlängen bzw. die Pulsung des GSM-Signals betrachtet, deren Frequenz mit 217 Hz "recht nahe an hirninternen Kommunikationsfrequenzen im 100-Hz-Bereich liege". In diesem Zusammenhang ist interessant, daß sowohl bei UMTS als auch bei Nokias neuer 58-GHz-Technologie andere Zeitslotlängen vorliegen sollen.

Rechtsanwälte in den angelsächsischen Ländern sehen eine Welle von Schadensersatzprozessen auf die Elektronikkonzerne zurollen - ähnlich wie bei der Tabakindustrie, die inzwischen Milliardensummen für die Beilegung der Rechtsstreitigkeiten angeboten hat. In diesem Zusammenhang werden immer wieder die Untersuchungen von Repacholi ins Feld geführt, die bei Mäusen einen Zusammenhang zwischen GSM-Handy-Strahlung und einem erhöhten Blutkrebsrisiko gefunden hatten (vgl. Elektrosmog-Report, Juli 1997 und November 1997). Aktuelle Untersuchungen an der Universitätsklinik in Bristol haben zudem erstmalig "deutliche Änderungen bei den Gehirnfunktionen" des Menschen als Folge von GSM-Handy-Strahlung nachweisen können. Es traten kurzfristige Gedächtnisstörungen auf, Konzentration und Reaktionsvermögen wurden erschwert und das Raumgefühl in Mitleidenschaft gezogen. Forschungsleiter Dr. Alan Preece teilte mit, daß die Auswertung der Resultate noch nicht abgeschlossen sei, die Ergebnisse aber noch dieses Jahr in der Fachpresse veröffentlicht werden sollten.

Der Biologe und Strahlenforscher Roger Coghill aus Wales hat die Handy-Hersteller diesen Sommer verklagt und will den Aufdruck eines Warnhinweises erzwingen ähnlich dem "Rauchen gefährdet ..." auf Zigarettenschachteln. Coghill fordert eine Empfehlung, nicht mehr als 20 Minuten am Tag mobil zu telefonieren.

Quellen:

- taz vom 26.10.1998
- Chaos Computer Club (http://www.ccc.de/ServiceWatch)
- Hamburger Abendblatt vom 22.09.1998.
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Elektromagnetische Verträglichkeit

Herzschrittmacher und Diebstahlsicherungen

Metalldetektoren und Diebstahlsicherungen in Warenhäusern und Flughäfen können gelegentlich die Funktion von Herzschrittmachern und anderen implantierten Systemen wie Defibrillatoren und Rückenmarksstimulatoren beeinflussen. Die FDA, US-amerikanische Behörde für die Kontrolle von Medikamenten und Medizintechnik, wies jedoch darauf hin, dass Patienten nicht übertrieben beunruhigt sein bräuchten. Mehr als 1 Millionen Amerikaner trügen solche Implantate, der FDA lägen jedoch nur 44 Berichte über Reaktionen innerhalb der letzten 10 Jahre vor.

In einem Brief an Herzspezialisten und Neurologen vom 7. Oktober 1998 schrieb die Behörde, dass man Patienten jedoch warnen solle, wenn sie von Symptomen berichten. Man arbeite mit beiden Industrien zusammen, um die verschiedenen Anwendungen kompatibler zu machen. Elizabeth Jacobson, die wissenschaftliche Direktorin der FDA für Medizingeräte erklärte: "Wir sehen nicht, dass es ein grosses Problem der öffentlichen Gesundheit ist. Sehr viele Leute gehen jeden Tag durch solche Systeme, und wir haben sehr wenige Berichte" über Wechselwirkungen.

Die FDA drängt die beiden Industrien - die Hersteller von Medizingeräten und die von Diebstahlsicherungen - jedoch, das Problem zu untersuchen. Eine noch bessere Technik könne nach Ansicht der FDA jedes Risiko einer Wechselwirkung ausschliessen.

Das Thema begann vor einigen Jahren mit Beobachtungen von Wechselwirkungen zwischen Mobiltelefonen und Herzschrittmachern. Nun hat sich der Fokus auf die weit verbreiteten Diebstahlsicherungen verlagert.

Seit 1988 erhielt FDA 18 Meldungen über Wechselwirkungen mit Herzschrittmachern, von denen einer potentiell schwerwiegend und die anderen leicht waren. 9 Berichte bezogen sich auf Defibrillatoren, die im Fall eines Herzstillstandes einen elektrischen Schock auslösen sollen. Bei zwei Patienten wurde solch ein Schock ausgelöst, als sie sich gegen eine Diebstahtsicherung lehnten bzw. mit einem Metalldetektor untersucht wurden. 17 Wechselwirkungen bezogen sich auf Rückenmarks-Stimulatoren, die bei nicht behandelbaren Schmerzzuständen eingesetzt werden. Die Betroffenen berichteten von Schmerzen oder Schocks.

Die FDA empfiehlt Trägern solcher Implantate, sich nicht gegen Diebstahlsicherungen oder Metalldetektoren zu lehnen.

Quelle: AP vom 7.10.1998.
 
 
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Verbraucherinformationen

Abgeschirmte Steckdosenleisten

Die Firma Wilhelm Tempel, Fachversand für strahlungsarme Netzkabel, Dieburg, bietet abgeschirmte Steckdosenleisten und Verlängerungskabel an ("Nonray-Serie"). Die Steckdosenleisten bestehen vollständig aus Metall und werden über flexible, abgeschirmte Netzzuleitungen mit Strom versorgt. Es werden Modelle mit 3 bis 17 Steckdosen angeboten. Die Preise liegen bei 100 bis 300 DM, die Garantiezeit beträgt 2 Jahre.

Kontakt: Wilhelm Tempel, Fachversand für strahlungsarme Netzkabel, Henri-Dunant-Str. 3a, Tel. und Fax: 06151-788 761.
 
 
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Veranstaltungshinweise

7. November 1998, Stadthalle Hanau, 10:30 bis 18:00

Bundesweites Treffen der Bürgerinitiativen gegen Elektrosmog

Referenten: Manfred Fritsch (Vorsitzender des Bundesverbandes), Friedrich Spiegel (BI Müll und Umwelt), Franz Harbers (Bayrische Bürgerwelle), Gerhard Niemann (Selbsthilfeverein für Elektrosensible), Margot Schweppe (Bürgerinitiative Funkturm), Matthias Krist (Rechtsanwalt)

Veranstalter und Kontakt: Bundesverband gegen Elektrosmog, Fensterbachstr. 16, 65329 Hohenstein, Tel.: 06120-91 00 08, Fax: 06120-91 00 09.

Preis: 20 DM.
 
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