Elektrosmog Report
Nr. 7 / 3. Jahrgang Juli 1997
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Tierexperimentelle Forschung
 

EMF fördern Blutkrebs bei transgenen Mäusen

Eine australische Forschergruppe fand in einer Langzeitstudie mit transgenen Mäusen ein deutlich erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Blutkrebs, wenn die Tiere zweimal täglich eine halbe Stunde lang gepulsten hochfrequenten Feldern, wie sie für Mobiltelefone nach dem GSM-Standard typisch sind, ausgesetzt waren. Die verwendeten Mäuse waren genetisch so verändert, daß sie eine Prädisposition für die Entwicklung von Blutkrebs besaßen. Die zusätzlich bestrahlten Mäuse entwickelten im Beobachtungszeitraum von 18 Monaten in 43% der Fälle eine bösartige Erkrankung, während die Mäuse der Kontrollgruppe in nur 22% der Fälle einen Krebs aufwiesen.

Die Ergebnisse der Forschergruppe aus Adelaide, Sydney und Melbourne unter der Leitung von Michael H. Repacholi führten Anfang Mai 1997, bereits vor der Veröffentlichung in der Fachzeitschrift Radiation Research, zu lebhaften Reaktionen auch in der deutschen Presse. Repacholi ist ein renommierter Forscher im EMF-Bereich, ehemaliger Vorsitzender der ICNIRP (International Commission on Non-Ionizing Radiation Protection, Internationale Kommission für den Schutz vor nicht-ionisierender Strahlung) und gegenwärtig Leiter des EMF-Projekts der WHO (Weltgesundheitsorganisation).

Methode

Die in der Studie verwendeten Mäuse wiesen in ihren Lymphozyten (weiße Blutkörperchen) das aktivierte Krebsgen pim1 auf. Auf diese Weise manipulierte Tiere entwickeln auch ohne äußere Einflüsse innerhalb von 10 Monaten in 5-10% der Fälle Lymphome. Nach 18 Monaten sei mit einer Krebsrate von etwa 15% zu rechnen. Die Mäuse - 101 in der bestrahlten Gruppe und 100 in der Kontrollgruppe - wurden während der Studie in Gruppen zu 5 Tieren gehalten. Die Studie wurde als Blindstudie durchgeführt, so daß die Pathologen nicht wußten, ob die jeweils untersuchte Maus zur bestrahlten Gruppe oder zur Kontrollgruppe gehörte.

Die verwendete elektromagnetische Strahlung wies eine Frequenz von 900 MHz (Megahertz) auf, die mit einer Frequenz von 217 Hz gepulst wurde bei einer Pulsweite von 0,6 Millisekunden. Dies ist typisch für Mobiltelefone nach dem GSM-Standard (in Deutschland D1- und D2-Netz). Die Käfige wurden so um die EMF-emittierende Antenne gruppiert, daß das Zentrum eines jeden Käfigs 0,65 m von der Antenne entfernt lag. Die Mäuse wurden um 6 Uhr und um 18 Uhr jeweils eine halbe Stunde lang bestrahlt. Die verwendete Strahlungsintensität von 2,6-13 W/m2 führte zu SAR-Werten (spezifischen Absorptionsraten) für eine einzelne Maus zwischen 0,0078 und 4,2 W/kg. Da sich die Mäuse hauptsächlich in Gruppen aufhielten, sind die SAR-Werte für Gruppen von 5 Mäusen relevanter. Sie wurden geschätzt mit durchschnittlich 0,13-1,4 W/kg. Zum Vergleich: Typische SAR-Werte im Kopfbereich bei der Verwendung von GSM-Mobiltelefonen liegen zwischen 0,2 und 1,0 W/kg.

Die verwendete HF-Frequenz, die Pulsung und die Strahlungsabsorption bewegten sich also in einem Bereich, wie sie für GSM-Mobiltelefone typisch sind.

Ergebnisse

Innerhalb des 18monatigen Beobachtungszeitraums entwickelten die Mäuse verschiedene Erkrankungen, darunter Nierenerkrankungen, Leberschäden, Erkrankungen des zentralen Nervensystems und andere. Die häufigsten Todesursachen waren jedoch bestimmte bösartige Erkrankungen des blutbildenden Systems, sogenannte Lymphome, darunter lymphoblastische und nicht-lymphoblastische Lymphome. Bei den Lymphomen fand sich im Gegensatz zu den übrigen Erkrankungen ein deutlicher Unterschied zwischen der bestrahlten EMF-Gruppe und der Kontrollgruppe (siehe Tabelle).

Tabelle: Entwicklung von Blutkrebs (Lymphome) in den zwei Untersuchungsgruppen
Lymphome
Gruppe
Anz. Tiere
Lymphoblastisch
Nicht-lymphoblastisch
Gesamt
Kontrollgruppe
100
3
19
22
EMF-Gruppe
101
6
37
43
Die Zunahme des Anteils der Mäuse, die unter der hochfrequenten EMF-Exposition ein Lymphom entwickelten, von 22% auf 43% war statistisch hochsignifikant (p < 0,001). In einem multivariaten Rechenmodell wurden die Ergebnisse an Unterschiede im Alter und im Körpergewicht der Mäuse angepaßt sowie andere Erkrankungen als konkurrierende Todesursachen berücksichtigt. Danach wies die exponierte Gruppe ein mehr als doppelt so großes Risiko für die Entwicklung eines Blutkrebses auf wie die nichtbelastete Gruppe. Das Risiko war um den Faktor 2,4 erhöht und weiterhin hochsignifikant (p = 0,006, 95%-KI: 1,3-4,5). Das Signifikanzniveau der Daten besagt: Mit einer Wahrscheinlichkeit von größer 99% besteht ein echter Zusammenhang zwischen der EMF-Exposition und der erhöhten Tumorzahl. Mit einer Wahrscheinlichkeit von größer 99% ist dieses Ergebnis kein Zufall.

Diskussion

Man geht heute davon aus, daß elektromagnetische Felder (EMF) im nicht-thermischen Intensitätsbereich keinen Krebs verursachen, da die Energie zu gering ist, um Schäden an der Erbsubstanz zu verursachen. Es bestehen jedoch Hinweise auf krebsfördernde Wirkungen. Bestehende Grenzwertkonzepte orientieren sich allerdings nur an thermischen Effekten (=Wärmeeffekten). In verschiedenen früheren Untersuchungen hatte eine niedrigenergetische gepulste Hochfrequenzbestrahlung von Mäusen, die mit einem chemischen Karzinogen vorbehandelt worden waren, hinsichtlich der Krebsförderung zu widersprüchlichen Ergebnissen geführt.

Es lag daher nahe, die Frage nicht-thermischer Effekte mit einem anderen bewährten Modell zu untersuchen. Tiere, die bereits eine Veranlagung für die Entwicklung eines Tumors aufweisen, entwickeln eine wesentlich höhere Tumorrate, wenn sie zusätzlich einer krebsfördernden Substanz bzw. Umgebung ausgesetzt werden. Solche Tiere weisen entweder ein aktiviertes Krebsgen auf oder ihnen fehlt ein Gen, welches die Bildung von Tumoren unterdrückt. Die in dieser Studie verwendeten Mäuse mit dem Krebsgen pim1 erfüllen dieses Kriterium.

Eine Strahlung, die in Intensität und Frequenz dem digitaler Mobiltelefone nach dem GSM-Standard entspricht, führte unter Verwendung dieses Tiermodells zu einer signifikanten Zunahme bestimmter Blutkrebsarten.

Die Bedeutung dieses Ergebnisses für die menschliche Gesundheit ist unklar. Die Mäuse wurden im Weitfeld bestrahlt, welches den ganzen Körper umfaßte, während beim mobiltelfonierenden Menschen nur ein kleiner Teil des Körpers im Nahfeld relevanten Energien ausgesetzt ist. Beim Menschen wird die HF-Strahlung eines Handys von der Haut, den darunterliegenden Muskeln und vom Auge absorbiert, mit nur geringem Eindringen in tiefere Gewebeschichten. Die Studie ist dennoch bemerkenswert und deutet auf gesundheitlich relevante biologische Effekte im nicht-thermischen Bereich unterhalb der offiziellen Grenzwerte für Mobiltelefone hin. Sie war von der australischen Telefongesellschaft Telstra finanziert worden, sicherlich mit der Vorstellung, daß sie einen gesundheitsgefährdenden Effekt der verwendeten Strahlung ausschließen würde. Das Ergebnis fiel jedoch nun unerwartet aus. Repacholi erklärte dazu in einem Interview: "Wir waren geschockt von dem Ergebnis. Damit hatten wir nicht gerechnet."

Resonanz in der Öffentlichkeit

Die Medienresonanz, welche die Studie weltweit hervorrief, veranlaßte auch öffentliche Instanzen zur Reaktion. Der australische Minister für Kommunikation und Kunst, Senator Richard Alston, meinte im Parlament, man könne aufgrund der Studie sagen, "daß Mäuse, die eine genetische Prädisposition für die Entwicklung von Lymphomen aufweisen, gut beraten sind, keine Mobiltelefone zu verwenden ... Das gilt auch für Ratten, würde ich sagen."

Weniger flapsig reagierten andere. "Es ist eine interessante Studie. Man kann jedoch keine Schlußfolgerungen hinsichtlich des Risikos für den Menschen daraus ziehen," meinte Dr. Mary Elizabeth Jacobs von der amerikanischen FDA (Food and Drug Administration). Dr. George Carlo, Leiter der amerikanischen WTR (Wireless Technology Research), die von der CTIA (Gesellschaft der Telekommunikationsindustrie) gefördert wird, erklärte: Diese und andere Studien "deuten deutlich daraufhin, daß da eine biologische Wirkung ist. Ich stimme nicht der Idee zu, daß das unmöglich ist."

Das deutsche Bundesamt für Strahlenschutz beeilte sich in einer Pressemitteilung vom 9. Mai 1997, darauf hinzuweisen, daß es "keinen wissenschaftlich begründeten Anlaß [gäbe], die bestehenden Grenzwerte zu ändern." Die Ergebnisse der Studie seien aus zwei Gründen nicht auf den Menschen übertragbar: "Das manipulierte Mausgen mit dem Namen pim 1 wurde beim Menschen bisher nicht beobachtet" und "Die Expositionsbedingungen und die Art der Absorption der Hochfrequenzstrahlung unterscheiden sich beim Menschen und der Maus sehr."

Beide Argumente sind jedoch keine Einwände, die Bedenken einer Gesundheitsschädigung durch Mobiltelefone aus dem Wege räumen können.

Prof. Wolfgang Löscher von der Tiermedizinischen Hochschule in Hannover, der mit Dr. Meike Mevissen mögliche krebsfördernde Effekte von niederfrequenten elektromagnetischen Feldern untersucht, meinte in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 22. Mai 1997 dann auch: "Keine Firma auf der Welt entwickelt ein Medikament, das bei Labormäusen Krebs verursacht und sagt, wie die Telefonhersteller, daß das bei Menschen nicht passieren wird."

Die australischen Forscher regen wie viele andere Wissenschaftler eine Wiederholung der Studie eventuell unter modifizierten Bedingungen an. So könnte etwa ein anderes Krebsgen Verwendung finden und die Versuchsbedingungen könnten so verändert werden, daß die erheblichen Schwankungen der ermittelten spezifischen Absorptionsraten (SAR) vermindert werden.

Geheimiskrämerei

Die Studie war bereits im Jahre 1995 abgeschlossen worden. Am 8. Juli 1996 wurde sie bei der Fachzeitschrift Radiation Research zur Veröffentlichung eingereicht. Zuvor war sie von anderen Zeitschriften (Lancet, Nature und Science) abgelehnt worden, aus "nicht-wissenschaftlichen Gründen", wie Repacholi betont. Wie Zeitungen berichteten, hätten Nature und Science die Publikation abgelehnt, da Sorge bestünde, daß die Resultate Panik verursachen könnten. Man wolle daher bis zu einer Wiederholung der Studie warten, um zu schauen, ob sich die Ergebnisse reproduzieren lassen.

Genau das hätte allerdings bereits geschehen können, wenn die wesentlichen Ergebnisse nicht erst zwei Jahre nach Abschluß der Studie veröffentlicht worden wären. Repacholi weist daraufhin, daß die Geheimhaltung notwendig gewesen sei, um eine sorgfältige Betrachtung der Befunde vornehmen zu können. Tatsächlich hätte jedoch die Möglichkeit bestanden, die Studienresultate auf wissenschaftlichen Kongressen vorzustellen und auch hinsichtlich eventueller Schwachstellen zu diskutieren - ein oft gewähltes Verfahren, bevor Methodik und Ergebnisse in Fachzeitschriften ausführlich vorgestellt werden.

So wird Prof. Niels Kuster von der ETH (Eidgenössisch Technische Hochschule) Zürich in der Schweizer Zeitung Sonntagsblick zitiert: "Es ist mir unverständlich, daß die Industrie die Studie nicht vor 18 Monaten, als die ersten Ergebnisse bekannt wurden, wiederholt hat. Jetzt werden wir für mindestens zwei Jahre nicht wissen, ob Mobiltelefone tatsächlich die Krebsentwicklung beschleunigen."

Dies ist eine unverzeihliche Politik der Forschungsverzögerung.

Die Zeitschrift Microwave News kritisiert in ihrer jüngsten Ausgabe scharf die Geheimniskrämerei nicht nur bei dieser von der australischen Telefongesellschaft geförderten Studie. "Telstra ist nicht allein bei der Unterdrückung des freien Flusses von Informationen. Deutsche Telekom, France Telekom und andere europäische Gesellschaften verhalten sich so, als ob die Ergebnisse von industriegesponserter Forschung Handelsgeheimnisse seien. Anfragen von Journalisten werden grundsätzlich ignoriert."

Es sind milliardenschwere Interessen im Spiel.

Franjo Grotenhermen, Elektrosmog-Report

Quellen:

  1. Digital mobile phone radiation boosts cancer rate in mice. Microwave News 17 (3), S. 1, 10-12 (1997).
  2. Krebs durch Handys? Pressemitteilung des Bundesamtes für Strahlenschutz vom 9. Mai 1997.
  3. Repacholi, M. H., Basten, A., Gebski, V., Noonan, D., Finnie, J., Harris, A. W.: Lymphomas in E-pim1 transgenic mice exposed to pulsed 900 MHz electromagnetic fields. Radiation Research 147, 637-640 (1997).

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Psychologische Forschung
 

EMF und Risikowahrnehmung

In den letzten Jahren hat die Aufmerksamkeit für die Risikopotentiale von elektromagnetischen Feldern (EMF) zugenommen. Das wirft die Frage auf, wie EMF-Risiken in der Öffentlichkeit bewertet werden und von welchen Faktoren diese Bewertungen abhängig sind.

Unsere Untersuchungen zu diesem Thema beruhen auf verschiedenen, einander ergänzenden methodischen Ansätzen. In einer psychometrischen (d.h. quantitativen) Studie wurde ermittelt, welche Faktoren die Risikowahrnehmung von Produkten beeinflussen, die EMF emittieren. Darüber hinaus wurde ein qualitativer Ansatz verfolgt. Dieser bestand aus zwei Studien. Zum einen wurden sogenannte Fokus-Gruppen durchgeführt, um zu erfahren, wie Betroffene und die allgemeine Öffentlichkeit EMF-Risiken bewerten und wie welche Argumente bei der Diskussion des EMF-Themas die Meinungsbildung beeinflussen. Zum anderen wurden zum Zwecke der Überprüfung der Befunde aus den Fokusgruppen Straßeninterviews durchgeführt.

Ergebnisse der psychometrischen Studie

Die psychometrische Forschung zur Risikowahrnehmung untersucht, wie Laien Risiken wahrnehmen und bewerten. Im Regelfall bekommen Laien dabei eine Liste von Risikoquellen vorgelegt, die sie hinsichtlich der Riskantheit, aber auch im Hinblick auf eine ganze Reihe anderer Aspekte - wie z.B. Freiwilligkeit, Kontrollierbarkeit, Art der möglichen Schädigung etc. - zu bewerten haben. Solche Risikoquellen können Technologien (u.a. Kernkraft oder Gentechnik), Aktivitäten (z.B. Rauchen, Skifahren) oder Produkte sein (z.B. Handy, Arzneimittel). Im Ergebnis liegt für jede Risikoquelle ein differenziertes Risikoprofil vor.

In unserer Studie wurden - erstmals in Deutschland - Produktrisiken untersucht. Die Ergebnisse zeigen, daß die EMF emittierenden Produkte (Fernseher, Mobiltelefon usw.) nicht als hohes Risiko bewertet werden. Im Vergleich mit anderen Produkten und Konsumgütern findet sich für die meisten EMF-emittierenden Produkte eine niedrigere Risikoeinschätzung. Für neuere EMF-emittierende Produkte ergaben sich folgende, weitgehend übereinstimmende Bewertungen im Risikoprofil:

Weiterhein fallen folgende Unterschiede auf: Das Risiko von Mobiltelefon und schnurlosem Telefon wird als 'unbekannter' eingeschätzt. Und es finden sich auffällige Differenzen in Bezug auf den Nutzen. Bei Mobil- und schnurlosem Telefon übersteigt das wahrgenommene Risiko den wahrgenommenen Nutzen.

Im weiteren interessiert, welche der oben aufgeführten qualitativen Urteilsaspekte einen Einfluß darauf haben, ob das Risiko des Mobiltelefons eher höher oder eher niedriger eingeschätzt wird. Tabelle 1 gibt die Ergebnisse einer multiplen Regressionsanalyse wieder.

Tabelle: Multiple Regression für persönliche Risikoeinschätzung von Mobilfunktelefonen
Prädiktorvariable 
Beta
Signifikanz
Schaden häufig
0,38
p<0,01*)
Sicherheitsprüfung nicht ausreichend
0,19
p<0,01*)
Signalpotential (Frühwarnzeichen)
0,15
p=0,02*)
Risiko auch bei sachgemäßer Nutzung 
0,10
p=0,13
schwerer Schaden
0,11
p=0,14
persönlicher Schutz möglich
0,07
p=0,21
Risiko unbekannt
-0,04
p=0,46
Schaden später
-0,02
p=0,70
Schaden begrenzbar
0,00
p=0,97
R2= 0,53, adjusted R2= 0,51.

*) Signifikanter Aspekt für die persönliche Risikoeinschätzung von Mobiltelefonen auf einem Signifikanzniveau von p<0,05.

Zunächst zeigt sich, daß von den hier betrachteten neun erklärenden Variablen (Prädiktorvariablen) nur drei überhaupt einen statistisch signifikanten, eigenständigen Erklärungsbeitrag leisten: die Schadenshäufigkeit, das Signalpotential, und die Einschätzung, ob die Sicherheitsprüfungen für das Produkt ausreichend sind.

Die multiple Regression läßt erkennen, daß dann eine höhere Risikobewertung vorgenommen wird, wenn:

Ergebnisse der qualitativen Untersuchung

Die qualitative Untersuchung beruht auf den Fokusgruppen-Gruppendiskussions-Ansatz. Sie dient der Anreicherung und Vertiefung der Erkenntnisse der psychometrischen Studie. Fokusgruppen vermitteln zwar keine repräsentativen, dafür aber "dichtere" Einsichten, die der Konkretisierung und dem besseren Verständnis der Risikowahrnehmung und -bewertung im EMF-Bereich dienen. Diese Untersuchung konzentrierte sich auf den Mobilfunkbereich.

Es zeigte sich, daß EMF-Risiken für nichtbetroffene Laien kein Thema sind, dem besondere Aufmerksamkeit entgegengebracht wird. Die Risiken anderer Produkte und Konsumgüter werden als weit höher eingeschätzt. Allerdings sehen die von uns befragten Laien auch kaum einen Nutzen von Mobiltelefonen.

Nur für Personen, die ihre Befindlichkeitsstörungen EMF zuschreiben, und solche, die befürchten, durch eine EMF-Quelle (hier insbesondere Mobilfunksendeanlage) geschädigt zu werden, sind EMF-Risiken wirklich relevant. Diese beiden Gruppen sind sich sicher, daß von EMF hohe Gesundheitsrisiken ausgehen. Dagegen sehen professionelle Nutzer (Feuerwehr, Rotes Kreuz, Taxifahrer etc.), obwohl sie exponiert sind, keine entscheidenden Risiken. Sie betonen den Nutzen und die Notwendigkeit des Einsatzes von Mobilfunk für ihre Arbeit. Private Nutzer von Funktelefonen stehen in ihrer Nutzeneinschätzung den professionellen Nutzern nahe. Die Nutzenbewertung ist also deutlich verschieden: Wer kein Mobiltelefon hat, der sieht keinen oder kaum einen Nutzen. Wer dagegen über ein solches Telefon verfügt, der bewertet den Nutzen höher. In Bezug auf die Risikobewertung unterscheiden sich private und professionelle Nutzer jedoch. Die Risikoeinschätzung der privaten Nutzer ist eher diffus.

Auch die Laien, die sich nicht betroffen fühlen, sind sich im Hinblick auf das Risikopotential von EMF sehr unsicher. Der Diskussionsverlauf in den Laien-Fokusgruppen zeigt, daß die eigene Risikobewertung diffus wird, sobald mit anderen darüber diskutiert, wird. Soziale Einflüsse beeinflussen die Risikobewertung. Meinungsführerschaften und Rivalitäten in der Fokusgruppe führen zu Instabilität, Orientierungsverlust und Diffusität der Diskussion. Sie prägen die Debatte über EMF-Risiken, die offen - das heißt eben auch unsicher bleibt - und nicht zu einem Abschluß im Sinne einer gemeinsam geteilten Sichtweise kommen kann.

Bei Laien zeigen sich beträchtliche Kenntnis- und Wissenslücken. Zwischen hoch- und niederfrequenten EMF werden keine Unterschiede gemacht. Als Quellen von EMF-Risiken werden einige wenige, prototypische Geräte und Anlagen genannt (Mobilfunk, Hochspannungsleitung, Babyphon, Radiowecker). Expositionspfade und Wirkmechanismen sind unbekannt. Schädigungen werden vor allem im Hinblick auf das Auge (generell den Kopf) vermutet.

Trotz der Wissensdefizite ist aber die Risiko- und Gefahrenbewertung von Laien durchaus umfassend. Obwohl in den Einzelheiten falsch oder einseitig, fällt aber insgesamt eine ausdifferenziertes Bezugssystem bei der Bewertung auf: So werden z.B. Synergieeffekte mit anderen Umweltbelastungen erwartet, tageszeitliche Schwankungen der eigenen Verletzlichkeit angenommen und besondere "lokale" Wirkungsfenster, die zu einer verstärkten Verletzlichkeit führen (z.B. das Schlafzimmer), befürchtet.

Hinsichtlich der Risikowahrnehmung ist der Produktbereich (Güter für den Endverbraucher) klar von der Bewertung von Sendeanlagen zu unterscheiden. Während bei Gütern individueller Nutzen gegenüber dem Risikopotential "aufgerechnet" wird bzw. werden kann, wird eine solche Abwägung bei Mobilfunksendeanlagen nicht vorgenommen. Generell werden solche Anlagen als Zumutung empfunden, auch von denen, die den Mobilfunk für nützlich erachten.

Die Risikodiskussion über EMF ist auch eine Experten- sowie Vertrauens- bzw. Glaubwürdigkeitsdiskussion. Das naturwissenschaftliche Erkenntnismodell wird in Frage gestellt. Für jeden Experten läßt sich ein Gegenexperte finden - so lassen sich die vorhandenen Überzeugungen zusammenfassen. Mißtrauen besteht vor allem gegenüber Grenzwerten. Laien vermuten, daß damit "Gefahren" heruntergespielt werden. Diese Strategie wird vielfach Unternehmen unterstellt.

Fazit und Ausblick

Die neueren EMF-emittierenden Produkte liegen in einem kritischen Bereich. Denn Risiken werden eingegangen oder akzeptiert, wenn sie (a) gering sind oder (b) wenn der Nutzen weit höher als das Risiko ist. Zwar ist die Risikobewertung bei diesen Produkten nicht sonderlich hoch, aber der eingeschätzte Nutzen ist eben auch niedrig. Den Produkten fehlt der Akzeptanzpuffer "Nutzen". Schon eine geringe Verstärkung der Risikowahrnehmung kann deshalb hier Effekte haben und die EMF-Problematik zu einem größeren Reizthema machen.

Die Risikoeinschätzung von EMF-emittierenden Produkten wie dem Mobiltelefon hängt wesentlich von der Häufigkeits- bzw. Wahrscheinlichkeitseinschätzung ab. Wer zwar weiß, daß etwas passieren kann, aber eben davon ausgeht, daß dieser Schadensfall unwahrscheinlich ist, sieht nur ein geringes Risiko. Die Wahrnehmung der Häufigkeit ist bei Laien allerdings meist nicht auf Daten gegründet: Vielmehr spielen kognitive Urteilsheuristiken, wie z.B. die Verfügbarkeitsheuristik (vgl. Tversky & Kahnemann 1973), eine entscheidende Rolle. Je häufiger in der Presse über Risiko-Ereignisse berichtet wird, je dramatischer die Berichterstattung ist und je eindrucksvoller das vermittelte Bild, desto präsenter ist das Ereignis im Gedächtnis fixiert und desto höher wird seine Wahrscheinlichkeit/Häufigkeit eingeschätzt.

Wer dagegen seine Unkenntnis über das Risiko so interpretiert, daß das Risiko nur die Spitze des Eisbergs ist, der wird höhere Risiken annehmen. Der Umgang mit hypothetischen Risiken ist also die entscheidende Frage bei der Bewertung von EMF-emittierenden Produkten. In welche Richtung solche hypothetischen Risiken interpretiert werden, hängt eben auch von dem Vertrauen in die soziale Verantwortung der Unternehmen und der staatlichen Kontrollinstanzen ab. Wer glaubt, daß der Staat nicht genug tut, um seine Bürger vor Risiken zu schützen, der setzt ein höheres Risiko an.

Die künftige Entwicklung der EMF-Risikodiskussion ist allerdings noch offen. Die Unsicherheit und Diffusität der Meinungsbildung, wie sie sich insbesondere bei den Fokusgruppen zeigt, unterscheidet die EMF-Risikodiskussion deutlich von anderen technikbezogenen Risikokontroversen. Damit hängt die vergleichsweise noch niedrige Polarisierung der Öffentlichkeit im EMF Bereich zusammen: Gegner und Befürworter stehen sich noch nicht in einem unversöhnlichen Konflikt gegenüber.

Schließlich gilt für den Umgang mit den Risikoängsten: Eine (immer auch nötige) erweiterte Produktinformation kann Unsicherheiten im Hinblick auf Risikopotentiale nicht auflösen. Wichtiger ist es, das Vertrauen in die Risikovorsorge und das Risikomanagement des Staates und der Unternehmen zu verstärken. Hier gilt es, klare Botschaften (und Taten) zu vermitteln. Der Ansatz der "vorsichtigen Vermeidung” von Risikopotentialen, der von Granger Morgan (1992) entwickelt wurde, ist sicherlich hier ein Weg.

Dr. Peter M. Wiedemann und

Dipl.-Päd. Holger Schütz

Programmgruppe Mensch, Umwelt, Technik (MUT)

Forschungszentrum Jülich GmbH, 52425 Jülich

Quellen:

  1. Bobis-Seidenschwanz, A. & Wiedemann, P.M. (1993): Gesundheitsrisiken nieder- und hochfrequenter elektromagnetischer Felder. Bestandsaufnahme der öffentlichen Kontroverse. Arbeiten zur Risiko-Kommunikation, Heft 39. Forschungszentrum Jülich.
  2. Morgan, M.G. (1992) Prudent Avoidance. Public Utilities Fortnightly, 15.3.1992
  3. Tversky, A. & Kahneman, D. (1973): Availability: A heuristic for judging frequency and probability. Cognitive Psychology, 4.
  4. Wiedemann, P.M.; Bobis-Seidenschwanz, A. & Schütz, H. (1994): Elektrosmog - Ein Risiko? Bedeutungskonstitution von Risiken hochfrequenter elektromagnetischer Felder. Arbeiten zur Risiko-Kommunikation, Heft 44. Forschungszentrum Jülich.
  5. Wiedemann, P.M. & Schütz, H. (1994): Produktrisiken und Produktimage. Risiko-Report 1/94. Forschungszentrum Jülich.

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Therapeutische Anwendung
 

Pulsierende Signal Therapie

In den USA wurde ein Verfahren zur Behandlung degenerativer Erkrankungen des Bewegungsapparates mit Hilfe niederfrequenter elektromagnetischer Felder entwickelt, die Pulsierende Signal Therapie (PST). Dieses Verfahren wird nach Auskunft der PST Handels GmbH in München seit vergangenem Jahr auch in ca. 35 Zentren in Deutschland angeboten. In den USA und Kanada seien bisher ca. 10.000 Patienten erfolgreich behandelt worden.

Die Entwicklung des Verfahrens geht auf die Beobachtung zurück, daß eine auf den Knochen einwirkende physikalische Belastung winzige elektrische Ströme verursacht (piezoelektrische Ströme). Diese stellten ein die Knochenbildung förderndes Signal dar. Ähnliche mechano-elektrische Übertragungsmechanismen seien auch bei der Stimulierung der Knorpelbildung wirksam. Die PST greife fördernd in diese biologischen Prozesse ein.

Eine plazebokontrollierte Studie aus dem Jahre 1994 von David H. Trock und Kollegen untersuchte den Effekt der PST-Behandlung bei Arthrose/Arthritis des Kniegelenkes (86 Patienten) und der Halswirbelsäule (81 Patienten). Das dabei verwendete Gerät erzeugte pulsierende EMF extrem niedriger Frequenz und bestand aus drei Komponenten, einem Magnetfeldgenerator, einer elektronischen Schnittstelle und einer segmentierten Toroidspule mit ringförmigen Windungen, die gepulste elliptische Gleichstrommagnetfelder erzeugte. Der örtlich behandelten Gelenkregion wurden schrittweise folgende Energien verabreicht: 1-1,5 mT*) (5 Hz, 10 min), 1,5-2,5 mT (10 Hz, 10 min), 1,5-2,5 mT (12 Hz, 10 min), also insgesamt 30 Minuten. Die Wellenform war nahezu rechteckig.

Die Behandlungen wurden 3 bis 5 mal pro Woche durchgeführt, bei insgesamt 18 Behandlungen. Beurteilungen des Schweregrades der Erkrankung wurden vor Beginn der Behandlung, zur Mitte und am Ende der Therapie sowie einen Monat nach Abschluß der Behandlung vorgenommen.

Bei den Ergebnissen ist auffällig, daß sowohl die Patienten, die eine echte Behandlung als auch die, welche nur eine Scheinbehandlung (Plazebobehandlung) erfuhren, im Mittel unter der Behandlung signifikante Besserungen zeigten. Die Besserungen für die verschiedenen Parameter (Schmerz, Schmerz bei Bewegung, Aktivitäten des täglichen Lebens, Druckempfindlichkeit etc.) waren jedoch bei der echten Behandlung durchweg stärker ausgeprägt und hielten länger an. Einen Monat nach der Behandlung war in den Plazebogruppen für die meisten Parameter keine Besserung gegenüber dem Ausgangszustand mehr nachweisbar, während die PST-behandelten Patienten weiterhin signifikante Besserungen aufwiesen. Daher kann davon ausgegangen werden, daß die Effekte der Pulsierenden Signal Therapie nicht auf Suggestiveffekten beruhen.

*) 1 mT = 1 Millitesla = 1.000 Mikrotesla (T)

Quellen: