Elektrosmog Report
Nr. 3 / 2. Jahrgang März 1996 
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Niederfrequente Feldkataster
Erste Erfahrungen der Berliner Pilotstudie

Das Forschungsprojekt "Emissionskataster der elektrischen und magnetischen Feldexposition im Stadtgebiet Berlin - Eine vergleichende Pilotstudie in ausgewählten öffentlichen Bereichen" verfolgt seit 1994 das Ziel, die Realisierbarkeit eines niederfrequenten Feldkatasters zu prüfen.

Für einen Zeitraum von einem Jahr wurde das Vorhaben hierzu von 40 Mitarbeitern eines gemeinnützigen ABM-Trägers unterstützt. Von den vier ursprünglich ausgewählten Stadtbezirken sind die Arbeiten im Raum Berlin-Buch/Karow bereits abgeschlossen. Die Studien in den Bezirken Siemensstadt und Hohenschönhausen/Marzahn/Hellersdorf haben begonnen, während auf Untersuchungen im Bereich Potsdamer Platz (Europas größter Baustelle) aufgrund der Unzugänglichkeit verzichtet wird.

In Berlin-Buch/Karow wurden folgende Feldquellen im Frequenzbereich von 0 bis 500 Hz untersucht:

Die entsprechenden Ergebnisse sind bereits an anderer Stelle dargelegt (Literatur 1 bis 6). Ziel dieses Artikels ist es vielmehr, aufgrund der bisherigen Erfahrungen den Nutzen niederfrequenter Feldkataster kritisch zu beleuchten.

Der Erfolg eines derartigen Projektes hängt ganz entscheidend von der Effizienz der Erfassungsmethoden und der Qualität der Verarbeitungsmodelle ab. Wie sonst kein anderer Umweltfaktor zeichnen sich gerade elektrische und magnetische Felder durch eine starke räumliche Variation (ca. 1 m) und schnelle zeitliche Schwankungen (ca. 1 sec.) aus. Zudem liegt nicht nur eine flächige (wie z. B. im Falle von Bodenkontaminationen) sondern eine 3-dimensionale Verteilung vor.

Die rein meßtechnische Erfassung nennenswerter Gebiete ist somit nahezu unmöglich. Andererseits kann jedoch die Kenntnis der räumlichen Ausbreitung des Feldes um eine Quelle (Anmerkung 1) genutzt werden, denn Felder sind im Gegensatz zu den konventionellen Umweltfaktoren vollständig durch die Eigenschaften der Feldquelle beschreibbar. Ein Drift durch Luftbewegungen (wie z. B. bei Gasimmissionen) und anschließender Eintrag durch Niederschlag an einem anderen Ort, findet nicht statt. Dieser Vorteil ist jedoch nur dann gültig, wenn eine ungestörte Feldausbreitung vorausgesetzt wird. Bei niederfrequenten Magnetfeldern ist dies nahezu gegeben, da ferromagnetische Substanzen nicht in ausreichendem Umfang in der Umwelt vorhanden sind. Elektrische Felder werden dagegen häufig durch Bebauung und Bewuchs verzerrt - die Betrachtung der ungestörten Feldstärken stellt jedoch den 'worst-case' dar.


Die numerischen Ergebnisse der Berliner Feldkatasterstudie im Sinne von mittleren (Hochspannungsfreileitungen) und maximalen Magnetfeldstärken (Fernbahn und S-Bahn) sind nur schwer tabellarisch zu präsentieren. Die Daten liegen in einer detaillierten, flächigen Katasterdarstellung vor, die durch farbliche Darstellungen einen anschaulichen optischen Eindruck von den unterschiedlichen Feldstärken vermittelt. Hierzu gehören vor allem die Hochspannungsfreileitungen und die Trassen der Deutschen Bahn AG. Diese führen zu Farbbändern von etwa 100 m links und 100 m rechts vom Trassenmittelpunkt. Innerhalb dieser Bänder sind die dargestellten maximalen Magnetfeldstärken gegenüber dem städtischen Durchschnittspegel erhöht und liegen zwischen 0,1 µT und maximal etwa 10 µT, wobei die höheren Werte nur am Fuß des 4 Meter hohen Bahndammes auftreten. Die Redaktion 


Auf der Grundlage dieser Gesetzmäßigkeiten ist es möglich:

In der Praxis gestaltet sich dies so, daß die Feldstärken unter dem Mastfeld einer Hochspannungsfreileitung bei entsprechender Sorgfalt und Erfahrung vollständig berechnet werden können (einschließlich Berücksichtigung der Bebauung!), oder die Messung eines Querprofils an beliebiger Stelle numerisch auf das gesamte Mastfeld extrapoliert werden kann.

Auf diese Weise wurden die Feldstärken in der Umgebung der Freileitungen in Berlin-Buch/Karow ermittelt, wodurch sich die ausgezeichnete Eignung der Methodik für die Praxis bestätigte. Sogar die Superposition der Felder von drei Freileitungen wurde im Modell exakt nachgebildet. Zur Abschätzung des Aufwandes sind die wesentlichen Schritte für die Bearbeitung eines Mastfeldes im einzelnen aufgeführt:

  1. Planung und Organisation
  2. Analyse der Leitungsdaten
  3. Aufbereitung der topographischen Karten
  4. Messung eines Querprofils
  5. Ermittlung des Betriebszustandes
  6. Berechnung der Feldstärken
  7. Verknüpfung von Feldstärken und Karte mittels CAD
Nach unseren Erfahrungen erfordert dies einen Verarbeitungsaufwand von 10 Manntagen. Bei insgesamt 350 Mastfeldern im Berliner 110-kV-Freileitungsnetz entsteht ein Aufwand von mindestens 14 Mannjahren für die Erfassung und Kartierung. Eine Interpretation der Daten oder der Aufbau einer Datenbank ist nicht eingeschlossen. Ähnlich sieht die Erfassung der 6000 Berliner Netzstationen aus. Ein realistischer Ansatz für die Bearbeitungszeit sind 120 Mannjahre. Die Auflistung der Kabellängen in den Nieder-, Mittel- und Hochspannungsnetzen erreicht astronomische Dimensionen und sei dem Leser an dieser Stelle erspart.

Diesem Aufwand gegenüber steht die in öffentlichen Bereichen in Berlin- Buch/Karow ermittelte maximale magnetische Flußdichte von 4,2 µT, unter Berücksichtigung aller eingangs aufgelisteten Quellen, bei einer Frequenz von 50 Hz und einer Höhe von 1 m über dem Erdboden. Dieser Wert unterschreitet selbst die Grenze für noch als sinnhaft anzusehende Maßnahmen zur vorsorglichen Feldreduktion im Personenschutz (10 µT entsprechend Bundesamt für Strahlenschutz). Da vergleichbare Feldstärken auch im privaten Bereich auftreten (z. B. Elektrogeräte) und an Arbeitsplätzen keine Seltenheit sind, erübrigt sich die Diskussion zur Notwendigkeit ausgedehnter flächendeckender Feldkataster. Diese Aussage berücksichtigt nur den Personenschutz gegenüber Magnetfeldern, da dieser vordringliches Augenmerk von Forschung und Öffentlichkeit ist (Anmerkung 2).

Bleibt zum Abschluß die Frage nach dem Nutzen der Pilotstudie. Liefert diese mehr als nur den Beweis der Unverhältnismäßigkeit bundesweit ausgedehnter Feldkataster? Wir vertreten die Ansicht, daß die Pilotstudie in idealer Weise zur Schaffung einer realen Datenbasis im Umweltbereich beiträgt. Zusätzlich werden die Modelle zur flächendeckenden Erfassung der Feldstärken in der Praxis geprüft und weiter entwickelt, so daß vom derzeit weltweit effizientesten Verfahren ausgegangen werden kann. Obwohl bei den heutigen Richtwerten keine Vordringlichkeit für ausgedehnte flächendeckende Untersuchungen besteht, befindet sich das Verfahren bereits jetzt, d. h. noch vor der Verabschiedung der IRPA-Richtwerte als gesetzlich bindende Grenzwerte im Rahmen einer Verordnung zum BImSchG, im Einsatz zur Dokumentation in Industrie und Forschung. Das zukünftige Ziel der Pilotstudie ist deswegen vor allem die Sicherung einer möglichst breiten Anwendbarkeit und die Optimierung der Datenerhebung.

Feldquellen, deren Analyse mit hohem Aufwand und geringem Nutzen (z. B. 1-kV-Erdkabel) verbunden ist, werden bewußt ausgeklammert. Neue Ergebnisse sind insbesondere durch die gezielte Auswahl bestimmter Gebiete zu erwarten und haben sowohl für die Forschung, als auch für die frühzeitige Erkennung von Störungen der technischen EMV eine wesentliche Bedeutung. Das Projekt wird unterstützt von:

Olaf Plotzke, Elmar Stenzel

Forschungsgesellschaft für Energie und
Umwelttechnologie - FGEU mbH,

Yorckstr. 60, 10965 Berlin.

[Zitierweise dieses Artikels: Plotzke, O., Stenzel, E.: Niederfrequente Feldkataster. Erste Erfahrungen der Berliner Pilotstudie. Elektrosmog-Report 2 (3), S. 5-6 (1996)]

Anmerkungen:

  1. Unter dem Begriff "Quelle" ist der "Erzeuger" des Feldes zu verstehen - physikalisch gesehen ist ein Magnetfeld selbstverständlich "quellfrei". Ein Feld ist insbesondere die direkte unabdingbare Begleiterscheinung eines Stromes oder Potentials, während konventionelle Umweltfaktoren in der Regel unerwünschte Nebeneffekte sind.
  2. Im Hinblick auf die IRPA-Richtwerte bereiten jedoch gerade die elektrischen Feldstärken unter Freileitungen Probleme. Zudem ist derzeit tatsächlich die technische EMV als kritischer einzustufen als der Personenschutz.
Literatur:
  1. K. Koffke, O. Frohn, E. Stenzel, O. Plotzke: Feldexposition im Stadtgebiet Berlin, Forschungsgesellschaft für Energie und Umwelttechnologie - FGEU mbH. In: EMC Journal 1/95.
  2. Emisionskataster der elektrischen und magnetischen Feldexposition im Stadtgebiet Berlin - Entwurf, Forschungsgesellschaft für Energie und Umwelttechnologie - FGEU mbH, Berlin 1994.
  3. Emisionskataster der elektrischen und magnetischen Feldexposition im Stadtgebiet Berlin - Inhaltliche Ergänzung, Forschungsgesellschaft für Energie und Umwelttechnologie - FGEU mbH, Berlin 1994.
  4. O. Frohn, K. Koffke, E. Stenzel, J. Dunker, O. Plotzke: Emissionskataster der elektrischen und magnetischen Feldexposition im Stadtgebiet Berlin - Eine vergleichende Pilotstudie in ausgewählten öffentlichen Bereichen, Teilbericht Berlin-Buch/Karow, Berlin 1995.
  5. O. Frohn, K. Koffke, E. Stenzel, J. Dunker, O. Plotzke: Rechnergestützte Methoden zur großflächigen Erfassung niederfrequenter elektrischer und magnetischer Felder, Forschungsgesellschaft für Energie und Umwelttechnologie - FGEU mbH. In: EMV Kompendium 1996.
  6. O. Frohn, K. Koffke, E. Stenzel, J. Dunker, O. Plotzke: Methods of developing an emission cataster for low frequency electric and magnetic fields, Forschungsgesellschaft fr Energie und Umwelttechnologie - FGEU mbH, Accepted Proffed Paper Poster, IRPA9 International Congress on Radiation Protection, Vienna 1996.
 
 
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Epidemiologie
Niedersachsenstudie zu EMF und Kinderkrebs

Im Februar 1996 wurden die Ergebnisse einer auf Niedersachsen bezogenen epidemiologischen Untersuchung vorgestellt, bei der die EMF-Exposition krebskranker - darunter insbesondere Leukämien - und gesunder Kinder verglichen wurde. Es wurden nur in 1,4% der untersuchten Wohnungen Werte über 0,2 µT festgestellt. Bei leukämiekranken Kindern fanden sich gegenüber gesunden Kindern dreimal so häufig stärkere Magnetfelder im Wohnbereich. Dieser Unterschied ist bei der kleinen Fallzahl jedoch statistisch nicht signifikant. Die Ergebnisse fügen sich nahtlos in das Bild früherer US- und schwedischer Studien ein, die ebenso Hinweise auf eine schwache Assoziation von EMF und Leukämie gefunden hatten.

In den niedersächsischen Gemeinden Sittensen und Elbmarsch fielen Ende der achtziger bzw. zu Beginn der neunziger Jahre Häufungen von Leukämieerkrankungen auf. Sichere Ursachenzuweisungen für diese Auffälligkeit waren nicht möglich. Zwischen 1992 und 1995 wurde, basierend auf dem am Institut für Medizinische Statistik und Dokumentation geführten Deutschen Kinderkrebsregister, eine niedersachsenweite Fallkontrollstudie zur Ermittlung von Ursachen für kindliche Leukämien durchgeführt.

Im Rahmen dieser umfassenden Untersuchungen wurde von Prof. Jörg Michaelis (Universität Mainz) und Mitarbeitern auch ein möglicher Zusammenhang zwischen Krebserkrankungen im Kindesalter und Belastungen durch elektromagnetische Felder (EMF) untersucht. In früheren Studien anderer Autoren war zum Teil ein signifikanter Zusammenhang ermittelt worden, in anderen jedoch nicht (vgl. Elektrosmog-Report, 1(5), S. 5-7 (1995)).

Methodik

Insgesamt konnten 129 leukämieerkrankte Kinder in der Auswertung berücksichtigt werden. Als weitere Fallgruppe dienten 115 Kinder mit soliden Tumoren (ZNS-Tumore, Neuroblastome, Nephroblastome und Rhabdomyosarkome (= Tumore von Nervensystem, Niere und Weichteilen)). Als Kontrollgruppe dienten 328 gesunde Kinder, die zum einen Teil den Erkrankten hinsichtlich des Wohnortes paarweise zugeordnet (Nahkontrollen), zum anderen Teil aus verschiedenen Gemeinden Niedersachsens mittels einer bevölkerungsgewichteten Zufallsauswahl bestimmt wurden (Fernkontrollen). Es wurde darauf geachtet, daß die verschiedenen Kollektive eine ähnliche Geschlechts- und Altersverteilung aufwiesen. Sozialstatus der Eltern und Urbanisierungsgrad (Stadt versus Land) wurden berücksichtigt.

Die Niedersachsen-Krebs-Studie legte besonderen Wert auf eine möglichst genaue Bestimmung der Feldexposition. Damit sollte eine wichtige Schwachstelle vieler bisheriger Studien, in denen die Belastungen nur über Schätzungen, Berechnungen oder Kurzzeitmessungen erfaßt wurden, vermieden werden.

Die Techniker der TU-Braunschweig verwendeten aufgrund der günstigen Handhabbarkeit das US-amerikanische Meßgerät EMDEX II. Die magnetische Flußdichte wurde für den gesamten Frequenzbereich (40 - 800 Hz) aufgenommen.

Es wurden zwei verschiedene Meßmethoden berücksichtigt. Bei der 24-Stunden-Messung wurden in zwei verschiedenen Zimmern (Wohn- und Kinderzimmer) im zeitlichen Abstand von 15 Sekunden Meßwerte aufgenommen. Bei der wegegetriggerten Kurzzeitmessung wurde der örtliche Feldverlauf innerhalb der Wohnungen mit Hilfe eines Meßrades, welches drei Meßwerte pro Meter aufnahm, bestimmt.

Zusätzlich wurden Außenmessungen entlang zwei Meßwegen, parallel und senkrecht zum Gehweg vorgenommen. Der über die Außenmessung ermittelte Wert sollte als Schätzwert des gemessenen Innenraumwertes verwendet werden, falls ein Teilnehmer eine Innenraummessung ablehnt. (Wegen schlechter Korrelation von theoretischem und tatsächlich gemessenem Wert fand die Außenmessung bei der Auswertung allerdings später keine weitere Beachtung.)

Bei den Innenraummessungen wurden je Etage oder Wohnung mindestens zwei Messungen (Längs- und Querrichtung) und eine zusätzliche Spotmessung im Kinderzimmer durchgeführt. Hierdurch sollen lokale Feldquellen wie Boiler, Durchlauferhitzer, Speicherheizung und hausinterne Versorgungsleitungen (oder auch Erdungsschleifen oder vagabundierende Ströme) zuverlässig erfaßt werden. Ferner wurden bettnahe Elektrogeräte (z. B. Radiowecker) aufgenommen.

Insbesondere zeigen die Feldverläufe, ob interne oder externe Felder in den Wohnräumen dominieren. So kann z. B. der Einfluß einer am Haus vorbeilaufenden Freileitung (geringe Laständerungen) von internen Quellen unterschieden werden.

Als Schwellenwert für "hohe" bzw. "niedrige" EMF-Exposition wurde ein Median (= Zentralwert; der mittlere der nach der Größe geordneten Werte) der 24-Stunden-Messung von 0,2 µT festgelegt.

Ergebnisse

Nur in 1,4% aller Wohnungen (8 von 572) lag der Median der Messungen über 0,2 µT. In 3,1% (4 von 129) lagen Wohnungen leukämiekranker Kinder über 0,2 T, in 0,9% (1 von 115) die andere Tumorkranker und in 0,9% (3 von 328) die gesunder Kontrollen. Der Median aller Messungen lag bei 0,025 µT. Nur 10% aller Messungen lagen über 0,075 µT. Das 95%-Quantil aller Mediane war im Vergleich mit den Gesunden (0,095 µT) bei den Leukämien und anderen Tumorkranken mit 0,135 µT erhöht, d. h. 5% der Wohnungen von Tumorkranken wiesen größere mediane Werte als 0,135 T auf, während die oberen 5% der Werte bei den Gesunden bis 0,095 µT herunter reichten.

Tabelle 1: Konfirmatorische Analysen mit einem Schwellenwert von 0,2T (Median der 24h-Messungen)
n
Fälle
Kontrollen
OR
90%-KI
p-Wert
Leu Nah
98
98
3
3,1%
1
1,0%
2,9
0,4 - 19,9
0,18
Leu Fern
129
161
4
3,1%
2
1,2%
2,3
0,5 - 9,9
0,17
Leu . K
129
328
4
3,1%
3
0,9%
3,2
0,9 - 11,6
0,06
Tu K
115
328
1
0,9%
3
0,9%
0,9
0,1 - 6,3
0,53
ZNS K
54
328
1
1,9%
3
0,9%
2,1
0,3 - 15,2
0,27
Leu/ZNS K
183
328
5
2,7%
3
0,9%
2,8
0,8 - 9,6
0,08
Leu/Tu K
244
328
5
2,1%
3
0,9%
2,0
0,6 - 6,8
0,18
Leu (Leukämien), Tu (andere Tumore), ZNS (Tumore des zentralen Nervensystems), Nah (Nahkontrollen), Fern (Fernkontrollen), K (Nah- und Fernkontrollen), OR (Odds Ratio, Schätzung des relativen Risikos), KI (Konfidenzintervall, Vertrauensbereich)

Wie Tabelle 1 zeigt, ergaben sich beim Vergleich der leukämiekranken Kinder mit den Nahkontrollen, den Fernkontrollen und beiden Kontrollgruppen zusammen ein geschätztes relatives Risiko (OR) von etwa 3 (2,3 bis 3,2). Bei den leukämiekranken Kindern wurde also etwa dreimal so häufig wie bei den gesunden Kontrollen ein medianer Wert der EMF-Belastung von > 0,2 µT ermittelt. Die Erhöhung ist bei der kleinen Fallzahl der mit > 0,2 µT belastet eingestuften Wohnungen nicht signifikant. Ebenfalls nicht signifikant über 1 liegen die Odds Ratios für die Vergleiche ZNS versus Kontrollen (2,1), Leukämien und ZNS-Tumore versus Kontrollen (2,8) und Leukämien und andere Tumore versus Kontrollen (2,0).

Neben diesen Analysen wurde eine Vielzahl weiterer explorativer Berechnungen für den Vergleich der Leukämien und der zusammengefaßten Kontrollen vorgenommen.

Eine systematische Variation des Schwellenwertes für den Median des 24-Stunden-Messung im Kinderzimmer von 0,05 µT bis 0,25 µT ergab ein erhöhtes Odds Ratio von 3,15 (p=0,04) für Schwellenwerte von 0,15 µT und 0,16 µT. Bei einer dreistufigen Einteilung der Exposition (< 0,1 µT, 0,1 - < 0,2 µT und 0,2 µT) fand sich mit ansteigender Exposition kein Trend.

Tabelle 2: Verschiedene explorative Analysen mit einem Schwellenwert von 0,2T (Median der 24h-Messungen)
n
Exponierte
OR
90%-KI
p-Wert
Leu
K
Leu
K
Nachtwert
129
328
5
3,9%
3
0,9%
3,9
1,1 - 13,4
0,03
Nachtwert (nur 0-4 Jahre)
74
174
4
5,4%
1
0,6%
11,1
1,7 - 72,4
0,02
Mittelwert 24h
129
328
4
3,1%
6
1,8%
1,5
0,5 - 4,4
0,27
Mittelwerte der beiden Mediane
129
328
4
3,1%
3
0,9%
3,3
0,9 - 11,8
0,06
Kurzzeit
129
328
3
2,3%
7
2,1%
0,9
0,3 - 2,9
0,56
Für den Mittelwert (= arithmetisches Mittel) der Messungen ergab sich ein nicht signifikant erhöhtes Odds Ratio von 1,5 (p=0,27). Der Mittelwert ist stärker beeinflußt durch sogenannte "Ausreißer", in diesem Fall durch kurzzeitig vorkommende Erhöhungen des Magnetfeldes, als der Median und daher bei der vorliegenden Untersuchung wenig geeignet.

Für den Mittelwert der beiden Mediane aus den Messungen in Kinderzimmer und Wohnzimmer betrug das Odds Ratio 3,3 (p=0,06), für die Kurzzeitmessungen 0,9 (p=0,56). Wurden nur die Nachtwerte verwendet, so ergab sich ein Odds Ratio von 3,9 (p=0,03), für die Untergruppe der 0-4jährigen sogar von 11,1 (p=0,02).

Da das Ergebnis der Kurzzeitmessung stark vom Zeitpunkt der Messung abhängt, wurde größeres Gewicht auf die Langzeitmessung gelegt. Der Nachtwert schien den Autoren interessant, da sich einerseits das Kind sehr wahrscheinlich auch dort befindet, wo gemessen wird, und er andererseits im Zusammenhang mit der Melatoninhypothese gesehen werden kann (vgl. Elektrosmog-Report 2(2), S. 5-7, (1996)). Tatsächlich fanden sich bei den Nachtwerten auch auffällige Assoziationen, die jedoch durch die Vielzahl der Tests (multiple Testsituation bei explorativen Analysen) zufällig bedingt sein können.

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Diskussion und Schlußfolgerung

Die Magnetfeldexpositionen bei den in Niedersachsen gemessenen Wohnungen lagen deutlich unter den Werten, die z. B. aus schwedischen und nordamerikanischen Studien (Großraum Los Angeles: 16% der gemessenen Wohnungen über 0,2 µT) oder Messungen in deutschen Großstädten bekannt sind. Ursachen für die Unterschiede sind vor allem die ländliche Prägung großer Teile Niedersachsens, der hohe Anteil privater Eigenheime sowie unterschiedliche Verkabelungsstandards. Bzgl. der Wohnform zeigt sich ein eindeutiger Trend: Die niedrigsten Werte wurden auf Bauernhöfen gemessen, gefolgt von Ein-, Zwei- und Mehrfamilienhäusern. Die höchsten Belastungen fanden sich in Wohnblöcken. Demgegenüber waren die jahreszeitlich bedingten Unterschiede in der Magnetfeldexposition zu vernachlässigen.

Die Autoren sehen in ihren Beobachtungen einen "weiteren Hinweis darauf, daß ein schwacher Zusammenhang zwischen der häuslichen Exposition durch stärkere elektromagnetische Felder und Krebserkrankungen bestehen könnte." Statistisch signifikante Ergebnisse seien nicht nachgewiesen worden. Die Wahrscheinlichkeit, einen Zusammenhang aufzudekken, sei jedoch wegen der unerwartet geringen Zahl der über 0,2 µT Exponierten niedrig gewesen. Ein möglicher Zusammenhang zwischen EMF und Krebs im Kindesalter sei vermutlich nur schwach und nur ein kleiner Teil der Bevölkerung sei vermutlich hoch exponiert. Michaelis und Mitarbeiter sprechen sich wegen der Stützung der Hypothese, daß ein Zusammenhang zwischen EMF und Tumoren im Kindesalter bestehe, für eine bundesweite Ausdehnung der Studie aus, um mit Hilfe höherer Fallzahlen die Frage nach einem Zusammenhang zwischen EMF und Kinderleukämie statistisch abgesichert beantworten zu können. Derzeit wird von Michaelis und Mitarbeitern bereits eine weitere Studie für den Raum Berlin durchgeführt, deren Ergebnisse mit Spannung erwartet werden, da hier eine größere Zahl an Wohnungen mit stärkeren magnetischen Feldern erwartet wird.

[Zitierweise dieses Artikels: Niedersachsenstudie zu EMF und Kinderkrebs. Elektrosmog-Report 2 (3), S. 6-8 (1996)]

Quellen:

  1. Michaelis, J., Schüz, J., Meinert, R., Menger, M., Grigat, J.-P., Kaatsch, P., Kaletsch, U., Miesner, A., Stamm, A., Brinkmann, K., Kärner, H.: Elektromagnetische Felder und Krebserkrankungen im Kindesalter: Ergebnisse einer Fallkontrollstudie in Niedersachsen. Papier zur Pressekonferenz und Vortragsveranstaltung, TU Braunschweig 8.2.1996.
  2. Grigat, J. P. 1996: Meßtechnik- und -Verfahren zur Bestimmung einer Feldexposition in Wohnungen. Papier zur Pressekonferenz und Vortragsveranstaltung, TU Braunschweig 8.2.1996.
 
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Kommentar
Nicht viel Neues, aber ...

Die erste wissenschaftliche epidemiologische Studie zum Thema EMF und Kinderleukämie in Deutschland brachte - international betrachtet - wenig Neuigkeiten. Die Ergebnisse reihen sich nahtlos ein in die Ergebnisse bisher durchgeführter Studien.

Bemerkenswert ist allerdings, daß die hierzulande oftmals als unsauber gescholtenen US- und schwedischen Studien in ihren Ergebnissen von der deutschen Studie bestätigt wurden. Auch die deutsche Gründlichkeit beim Messen kann die Hinweise auf einen schwachen Zusammenhang zwischen EMF und Kinderleukämie nicht zum Verschwinden bringen.

Die Leukämiefälle wurden nur in Beziehung zur magnetischen Flußdichte gesetzt. Hier wurde eine echte Chance vertan, über bisherige Studien hinauszugehen. Meßtechnisch aufgenommen wurde auch die zeitliche Veränderung des Feldes, so daß es möglich gewesen wäre, über die Flußdichte hinausgehende Feldparameter in Beziehung zu Leukämiefällen zu setzen. Seit Jahren wird zunehmend diskutiert, ob die magnetische Flußstärke das geeignete Maß für die biologische Wirkung darstellt. Vielleicht sind zeitliche und räumliche Feldgradienten, kurze Spitzen wie Transienten oder die Feldrichtung ebenso wichtige Parameter, um das EMF-Puzzle zu lösen. Es bleibt zu hoffen, daß noch entsprechende Nachauswertungen erfolgen bzw. diese Fragestellungen in laufenden und zukünftigen Studien mit einbezogen werden. Ebenso bleibt zu hoffen, daß die epidemiologische Forschung ihr Augenmerk auch auf andere Krebserkrankungen, insbesondere hormonabhängige Tumore wie z. B. Brustkrebs richtet, da hier aufgrund der - leider - erheblich höheren Fallzahlen bei entsprechenden Unterschieden leichter statistisch signifikante Ergebnisse gefunden werden können.

Die Niedersachsenstudie hat aber auf anderer Ebene Neues gebracht: Mit Michaelis hat erstmalig ein international renommierter Statistiker die deutsche Elektrosmogszene betreten, die bislang vor allem von Seiten der Elektrotechnik dominiert wird. Es wird der EMF-Entwarner-Lobby nicht gelingen, Michaelis vor ihren Karren zu spannen. Das Niveau der Auseinandersetzung wird hierdurch steigen.

Wie notwendig dies ist, zeigten Pressekonferenz und Vortragsveranstaltung anläßlich der erstmaligen Präsentation der Niedersachsenstudie am 8.2.1996 in der TU Braunschweig. Nachdem Jan Peter Grigat die Meßverfahren und -ergebnisse erläutert und Jörg Michaelis seine epidemiologischen Resultate vorgestellt hatte, mußte - wie schon so oft - Hermann C. Kärner (TU Braunschweig) in den Ring, um die Michaelis-Ergebnisse ins rechte Licht zu rücken, die Folgen der Felder "gesundzubeten". Daß er sich dabei einige fachliche Schnitzer auf dem Gebiet der Statistik und auch Physik erlaubte, störte den Elektrotechnik-Fanclub nicht weiter. Andere Teilnehmer und Journalisten konnten die Vorstellung indes kaum glauben und hätten lieber die Zeit genutzt, über die beiden ersten Vorträge zu diskutieren. Gut, daß nun wenigstens Michaelis mitmischt ....

Michael Karus, Redaktion Elektrosmog-Report
 
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BUND erhebt Einspruch gegen die Vornorm VDE V 0848

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. (BUND) hat am 26. 11. 1995 bei der Deutschen Elektrotechnischen Kommission Einwendungen gegen die Vornorm VDE V 0848 Teil 4/A3 erhoben. "Die Vornorm ist nicht geeignet, einen dauerhaften Schutz für die Menschen und die Natur vor elektromagnetischen Feldern im Frequenzbereich von 0 bis 30 kHz zu erreichen."

Begründet wird dies damit, daß eine Vielzahl von biologischen Wirkungen unterhalb der Grenzwerte bekannt seien, die in der Vornorm keine Berücksichtigung fänden. Grund hierfür sei das überholte Erklärungsmodell, das der Vornorm zugrunde liegt und das nur "für bestimmte Wirkungen von EMF-Feldern (Wahrnehmungen, Belästigungen) berechtigt" sei. "Bei Langzeitwirkungen mit geringen Feldstärken und zur Erklärung weiterer Effekte muß dieser Ansatz zwangsläufig versagen." Relevant sei vielmehr die Störung des "Signal- bzw. Informationsflusses im betreffenden biologischen Regelkreis" durch technisch erzeugte Felder. Hierzu sei eine qualitative Betrachtung des Stromverlaufs erforderlich, die in der Vornorm fehle.

Weiter heißt es, daß Wechselwirkungen mit anderen Schadwirkungen nicht berücksichtigt seien, besondere Risikogruppen unberücksichtigt blieben, Gefahrenschutz und Vorsorge nicht ausreichten und schließlich Minimierungsstrategien fehlten.

Das 8-seitige Papier kann beim BUND, Im Rheingarten 7, 53225 Bonn angefordert werden.
 
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Dauerbrenner
Elektrosmog-Verordnung

Nach neuesten Informationen aus dem Bundesumweltministerium (BMU) soll der überarbeitete Entwurf der Elektrosmog-Verordnung Mitte bis Ende März fertiggestellt sein und dann in die Ressortabstimmung gehen. Wenn es dabei zu keinen weiteren Verzögerungen kommen sollte, ist im April mit der Kabinettvorlage zu rechnen.

Da sich die geplanten EU-Richtlinien nur auf die elektromagnetischen Belastung am Arbeitsplatz beziehen, ist ein rechtswirksamer Schutz der Bevölkerung derzeit nur über eine nationale Verordnung zu erzielen.

EU-Kommission verabschiedet
Mobilfunk-Richtlinie

Mehr Wettbewerb wird künftig auf dem Markt der Mobilkommunikation herrschen. Die Europäische Kommission hat eine entsprechende Richtlinie über die Liberalisierung dieses Marktes formell gebilligt. Die Kommission fordert darin die Mitgliedstaaten auf, alle Monopole und Sonderrechte aufzuheben, faire Lizensierungsverfahren durchzuführen und "sämtliche Hindernisse für die Nutzung von Einrichtungen für mobile Netze" abzuschaffen. Infolge dieser Maßnahmen werden deutliche Kostensenkungen für die Kunden erwartet. Die Mitgliedstaaten haben neun Monate Zeit, ihre nationalen Bestimmungen der Richtlinie anzupassen.

Der Markt für Mobilkommunikation entwickelt sich mit einer Wachstumsrate von über 60% rasant. Schon heute gibt es in der EU 20 Millionen Nutzer, für die Jahrtausendwende erwartet die Kommission 38 Millionen Kunden.

Quelle: EU-Nachrichten, Nr. 2, 19.1.1996

Termine

Der Arbeitskreis Elektro-Biologie (AEB) e. V. bietet im ersten Halbjahr 1996 drei elektrobiologische Seminare an. Das Grundlagenseminar (29.-30. März), das Aufbauseminar (3.-4. Mai) und das Meßtechnikseminar (14. Juni).

Referenten: Herr Auracher (Meß- und Installationstechnik), Herr Bertuleit (Abschirmtechnik), Dr. Gralla (Physik und Elektrophysik), Prof. Käs (HF-Technik), Herr Reinhard (Elektrotechnik), Dr. Scheingraber (Medizin und Biologie) sowie Prof. Zeisel (Meßtechnik).

Information und Anmeldung: AEB e. V., Pognerstr. 5, 81379 München, Tel.: (089)7231515. 


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