Elektrosmog Report
Nr. 3 / 1. Jahrgang Juni 1995 
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Kongreßbericht - Teil I
Aktueller Stand der Grenzwert-diskussion in Deutschland

Am 26. und 27. April fand der von der TÜV-Akademie Rheinland ausgerichtete Kongreß "Forum Elektrosmog" zum Thema "Wirkungen elektromagnetischer Felder auf Mensch und Umwelt" statt. Er gewährte den 170 Teilnehmern einen aktuellen Einblick in die politische, wirtschaftliche und wissenschaftliche Elektrosmogdebatte in Deutschland. In diesem ersten Teil berichtet der Elektrosmog-Report über den aktuellen Stand der Grenzwertdiskussion in Deutschland.

Das "Forum Elektrosmog" wurde von der TÜV-Akademie Rheinland in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) und dem Gesundheitsamt Köln veranstaltet. Unter den Teilnehmern waren, wie bei solchen Kongressen üblich, Energieversorgungs- und Telekommunikationsunternehmen stark vertreten. Betroffene Bürger, kritische Wissenschaftler und Ärzte oder auch Baubiologen, die die Einstufung von Elektrosmog als wenig relevantes Risiko nicht teilen, waren nur in geringer Zahl vertreten. Grund hierfür dürften vor allem die hohen Teilnahmegebühren von ca. 1.000 DM gewesen sein.

Wissenschaftlich brachte der TÜV-Kongreß wenig Neues. Viel lernen konnte man dagegen über den aktuellen wissenschaftlichen Diskussionsstand in Deutschland, über aktuelle politische Entwicklungen z. B. in Bezug auf geplante Grenzwertfestsetzungen sowie über die unterschiedlichen Interessen- und Lobbygruppen, die in Deutschland danach trachten, Politik und Öffentlichkeit in ihrem Sinne auf das Thema Elektrosmog einzustimmen.

Gesetzlich festgelegte Grenzwerte für die BRD

in Aussicht

In Deutschland gibt es derzeit keine gesetzlich festgelegten Grenzwerte, die den Schutz der Bevölkerung vor elektrischen und magnetischen Feldern regeln. Die derzeit in der Praxis zur Anwendung kommenden Grenzwerte stammen aus den 1992er DIN/VDE Vornormen 0848 der deutschen elektrotechnischen Kommission (DKE). Dieser seit Jahren kritisierte Zustand der Rechtsunsicherheit, aus dem die zunehmende Inanspruchnahme von Gerichten resultiert, soll sich laut Dr. Wolfgang Kemmer vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) nun endlich ändern: Das BMU arbeite an einer Verordnung für nieder- und hochfrequente Immissionen im Rahmen des Bundesimmissionsschutzgesetzes, zu der es bald Verbandsanhörungen geben werde. Eine solche bundesweit einheitliche Verordnung solle Ende des Jahres die Rechtssicherheit wiederherstellen. Dieter Gravert vom Bundesministerium für Post- und Telekommunikation berichtete, daß zudem eine "Ausweitung der Standortbescheinigung auf Altanlagen" geplant sei, die zum Aus für einige Radio- und Fernsehsender führen könne.

Kemmer forderte für die geplante Verordnung die Übernahme der international empfohlenen Grenzwerte und wandte sich gegen nationale Sonderwege - insbesondere im Hochfrequenzbereich; so sollten z. B. in der EU produzierte Mobiltelefone auch überall in der EU verkaufbar sein. Die anvisierten gesetzlichen Grenzwerte sind laut Kemmer nicht als Vorsorgewerte zu verstehen. Für eine drastische Absenkung der bestehenden Grenzwerte, etwa auf eintausendstel der heutigen Werte, gäbe es "keinen vernünftigen Grund" und selbst Minimierungsgebote für elektromagnetische Immissionen unterhalb der IRPA-Werte seien nicht notwendig. Problem seien eher die irrationalen Ängste in der Bevölkerung: "Wie immer bei der Einführung innovativer Techniken entstehen Ängste in der Bevölkerung, die schnell zum Gegenstand heftiger öffentlicher Auseinandersetzungen werden."

Der klaren Linie des BMU - Übernahme der internationalen Grenzwerte und keinerlei Empfehlungen unterhalb dieser Werte - konnte sich auch das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) nicht entziehen. Noch im Oktober 1994 hatte es dort geheißen "Deshalb empfiehlt das BfS: Auf den Neubau von Kindergärten, Schulen und Wohnanlagen direkt unter Hochspannungsleitungen sollte verzichtet werden" - auch wenn dort die internationalen Grenzwerte um etwa den Faktor 10 unterschritten werden (die Red.). Für diese Diskrepanz zwischen BMU und BfS gab es Kritik von Teilnehmern aus dem Kreis der Stromversorger - allerdings mit wenig aktuellem Bezug. Prof. Jürgen Bernhardt vom BfS sprach auf dem TÜV-Kongreß keine konkreten Empfehlungen unterhalb der IRPA-Werte mehr aus, sondern wies lediglich auf "zusätzliche Möglichkeiten zur Feldstärkeverringerung hin. Der Gedanke einer zusätzlichen Feldstärkeverringerung kommt auch Befürchtungen entgegen, durch spätere Forschungsergebnisse könnten bei kleinen Feldstärken auftretende Bioeffekte, die bisher als gesundheitlich unbedenklich erachtet wurden, doch größere Bedeutung erlangen" (Bernhardt).

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Breiter Konsens für die Übernahme international empfohlener Grenzwerte

Immerhin kann es als gewisser Fortschritt bezeichnet werden, daß sich in Deutschland nun ein Konsens abzeichnet, die Grenzwerte der DIN/VDE- Vornorm 0848 durch die strengeren internationalen Grenzwerte abzulösen. So empfiehlt die Internationale Strahlenschutzagentur (IRPA) bereits seit 1989 im 50-Hz-Bereich Grenzwerte für die Öffentlichkeit von 100 µT für Magnetfelder und 5.000 V/m für elektrische Felder. Demgegenüber beinhaltet die DIN/VDE-Vornorm 0848 von 1992 Grenzwerte von 400 µT für Magnetfelder und 7.000 V/m für elektrische Felder. Jahrelang haben BfS und Strahlenschutzkommission (SSK) in der Deutschen Elektrotechnischen Kommission (DKE) für eine Übernahme der internationalen Grenzwerte gekämpft, waren aber letztendlich am Widerstand der Industrie gescheitert.

International ist seit 1992 die ICNIRP (International Commission on Non-Ionizing Radiation Protection) als Ableger der IRPA "als für die Grenzwertfestlegung kompetente Organisation von der UNEP, von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sowie von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) anerkannt" (Bernhardt). Nachdem nun auch das BMU - im Einklang mit den meisten anderen EU-Ländern - eindeutig Position für die IRPA- bzw. ICNIRP-Empfehlungen bezogen hat, schwindet der Widerstand der Industrie. So sagte Peter Schildge, Direktor der RWE Energie AG Essen, bei der Podiumsdiskussion am ersten Kongreßtag, daß das RWE mit den IRPA- Grenzwerten leben könne. Daß dies allerdings nicht ohne Kostenauswirkungen bliebe, zeigte Dr. Gerald Newi (CONSULECTRA Hamburg/VDEW). Nach seinen Rechnungen sind 2,5 Mrd. DM für den Umbau von Hochspannungstrassen erforderlich, um an jeder Stelle Deutschlands den IRPA-Wert für das elektrische Feld von 5.000 V/m einzuhalten. Beschränkt man die Einhaltung der IRPA-Werte "auf Wohngebiete, Spiel- und Sportstätten, wäre der geschätzte Aufwand 400 Mio. DM." "Die Einhaltung des magnetischen Wertes von 100 µT nach IRPA erfordert im Bereich der öffentlichen Energieversorgung keine flächendeckenden Veränderungen, nur punktuelle Situationen wären betroffen sowie einige Industriestätten" (Newi).

Grenzwerte und internationale Empfehlungen
für 50-Hz-Felder
elektrisches Feld
beruflich 
7 Stunden
öffentlich
24 Stunden
DIN/VDE Norm 0848 (1989) 
20.000 V/m
-
DIN/VDE Vornorm 0848 (1992) 
20.000 V/m
7.000 V/m
IRPA-Empfehlung (1989)
10.000 V/m
5.000 V/m
 
magnetisches Feld
beruflich 
7 Stunden
öffentlich
24 Stunden
DIN/VDE Norm 0848 (1989) 
5.000 µT
-
DIN/VDE Vornorm 0848 (1992) 
5.000 µT
400 µT
IRPA-Empfehlung (1989)
500 µT
100 µT
Hielten sich die finanziellen Folgen einer solchen Grenzwertfestlegung also in vertretbaren Grenzen, so entstünden immense Kosten, wenn Grenzwerte im Bereich "oberhalb 0,1 bis etwa 5 µT" verabschiedet würden. Der Verband der Elektrizitätswerke Baden-Württemberg hat die Kosten für Baden-Württemberg abgeschätzt, nachdem das dortige Umweltministerium in einem Erlaß vom 1.3.1994 an die staatlichen Gewerbeämter einen Genehmigungsbereich von 100 bis zu 0,1 µT nannte. Die Maßnahmen zur Begrenzung der Felder auf einen Bereich "oberhalb 0,1 bis etwa 5 µT" allein in Baden-Württemberg "würden nach einer ersten Abschätzung Gesamtkosten in zweistelligen Mrd.-Beträgen erfordern. Hinzu kämen mögliche Entschädigungszahlungen für geminderte Grundstücksnutzung bzw. anzukaufende Flächen, so daß in öffentlichen Diskussionen zu den möglichen Auswirkungen dieses Erlasses bereits die Größenordnung von 25 Mrd. DM genannt wurde" (Newi).

Unabhängig davon, ob diese Berechnungen stimmen, läßt sich aus ihnen keineswegs die Unverhältnismäßigkeit von Minimierungsmaßnahmen ableiten, da in vielen Fällen Feldreduzierungen mit geringem und daher vertretbarem Aufwand möglich sind. Dr. Ute Boikat (Amt für Gesundheit, Hamburg) sagte hierzu bei der Podiumsdiskussion: "Die Vermeidung unnötiger EMF-Expositionen - auch unterhalb der Grenzwerte - sollte durch aktive Planung gestaltet werden." Das bedeutet laut Boikat:

Bei den fachkundigen Institutionen und Bundesanstalten forderte Boikat mehr Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit möglichen Belästigungswirkungen und möglicherweise erst langfristig sich herausstellenden Gesundheitsfolgen. Des weiteren sollten aktiv Erfahrungen aus dem Beratungsalltag hinterfragt, zur Formulierung von Untersuchungshypothesen genutzt und durch kreative wissenschaftliche Neugier vorbehaltlos aufgeklärt werden.

Die Devise, mehr Transparenz fördere Hysterie und Radiophobie in der besorgten Bevölkerung sei unberechtigt. Vielmehr fördere Geheimniskrämerei das Mißtrauen. Fundierte Darstellungen förderten eine realistischere Einschätzung des Risikoausmaßes.

Michael Karus (nova-Institut Köln) stellte Minimierungs- und Vorsorgekonzepte für den HF-Bereich vor. Die vielen Hinweise auf biologische und auch gesundheitliche Effekte im athermischen Bereich seien Anlaß genug, da wo es wirtschaftlich vertretbar sei, unter Vorsorgegesichtspunkten Feldminimierungen auch unter die bestehenden Grenzwerte zu fordern. Verschiedene Institute (KATALYSE-, ECOLOG- und nova-Institut) und der hessische Verwaltungsgerichtshof halten einen Sicherheitszuschlag vom Faktor 10 auf die bestehenden Grenzwerte für gerechtfertigt, aus dem in der Praxis ein um den Faktor 3 größerer Sicherheitsabstand resultiere. Karus zeigte anhand konkreter Maßnahmen, daß der Aufbau von Mobiltelefonnetzen und die Nutzung von Handies durchaus so gestaltet werden könne, daß auch die um den Faktor 10 schärferen Grenzwerte eingehalten werden. Eine ausführliche Darstellung der Minimierungs- und Vorsorgekonzepte erfolgt in einer der nächsten Ausgaben des Elektrosmog-Reports.

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Grenzwerte auf europäischer Ebene

Die Situation bei der Grenzwertfestlegung in Europa ist unübersichtlich. Eigentlich zuständig für die Grenzwertfestsetzung auf EU-Ebene ist die Europäische Kommission. Derzeit wird ein Entwurf zum Schutz von Arbeitnehmern vor physikalischen Einwirkungen beraten, dessen Festlegungen weitgehend auf den Grenzwertempfehlungen der ICNIRP beruhen.

Parallel dazu sind Anfang 1995 von CENELEC, dem europäischen Komitee für elektrotechnische Normung, Grenzwerte für die Bevölkerung und für Arbeitnehmer als europäische Vornorm (ENV-50166) veröffentlicht worden, die über den Empfehlungen der ICNIRP liegen (z. B. für 50-Hz-Magnetfelder 640 µT (Bernhardt)). Prof. Jürgen Bernhardt zur Rolle der CENELEC: "Die CENELEC-Gremien werden von den nationalen Normungskomitees gebildet; ein Mandat der Europäischen Kommission liegt nicht vor. Das Mandat zur Grenzwertfestlegung in einem Normungsgremium wie CENELEC, in dem überwiegend technische und wirtschaftliche Belange vertreten sind, ist grundsätzlich in Frage zu stellen. CENELEC kann als technisches Fachgremium wertvolle Arbeit leisten, um etwa mit der Ausarbeitung von Meßverfahren und technischen Detailregelungen die Voraussetzung dafür zu schaffen, daß auf nationaler oder internationaler Ebene rechtlich verbindliche Regelungen durch die dafür eingesetzten und politisch verantwortlichen Organe getroffen werden."

Ähnlich äußerte sich auch Michael Bobrowski von der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände (AgV) zu den nationalen (DKE) und europäischen (CENELEC) technischen Normungsgremien: "Andererseits ist es aber auch aus unserer Sicht außerordentlich problematisch, gerade in einem so sensiblen Bereich wie der umweltbezogenen elektromagnetischen Verträglichkeit Grenzwerte maßgeblich von denjenigen bestimmen zu lassen, die als erste durch zu scharfe Anforderungen an deren Höhe eingeschränkt sein würden ... Daher darf auch nach Auffassung der AgV die Festlegung von Grenzwerten für die Wirkungen elektromagnetischer Felder nicht der privatwirtschaftlich organisierten technischen Normung allein überlassen bleiben. Hier ist vielmehr der Gesetzgeber gefordert, für Klarheit und für ein ausreichend hohes Niveau des Verbraucherschutzes zu sorgen."

Bobrowski forderte hierzu "vertrauensvolle Fachgremien". Erst die Blockadehaltung vieler Stromversorger habe die übertriebene Angst vor Elektrosmog erzeugt. Aus den Fehlern der Vergangenheit habe man wenig gelernt, selbsternannte Experten und reißerische Medien hätten beim Elektrosmog leichtes Spiel gehabt.

Dr. Reinold Scheffel (TÜV-Rheinland) stellte in seinem Vortrag die EG- Richtlinie 89/336/EWG zur (technischen) elektromagnetischen Verträglichkeit, kurz EMV-Richtlinie genannt, vor, die bereits seit Dezember letzten Jahres in nationales Recht umgesetzt und somit anwendbar ist. Ab dem 1.1.1996 ist das EMV-Gesetz verbindlich. "Es fordert neben der Begrenzung der Störaussendung neuerdings auch eine ausreichende Störfestigkeit. Der Hersteller oder Importeur ist somit gezwungen, die Einhaltung beider Kriterien nachzuweisen" (Scheffel). Scheffel berichtete, daß in den letzten Jahren bei freiwillig kontrollierten Geräten die Durchfallquote bei ca. 60% gelegen hätte.

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Die IRPA/ICNIRP-Grenzwerte

Prof. Jürgen Bernhardt (BfS) erläuterte das Konzept der internationalen Grenzwertfindung basierend auf der Bewertung der Fachliteratur über biologische Wirkungen. Die ICNIRP unterscheidet zwischen "gut bestätigten biologischen Wirkungen" und "mehr hypothetischen oder vorläufig unbestätigten Wirkungen". Bernhardt und ebenso Rüdiger Matthes (BfS) betonten immer wieder, daß man die Bewertung der Fachliteratur anerkannten internationalen Gremien - ICNIRP und WHO - überlassen solle, und warnten vor "privaten" Bewertungen einzelner Wissenschaftler.

Dieses Bewertungsmonopol der ICNIRP ist allerdings durchaus kritisch zu sehen, da es lange dauern kann, bis "hypothetische Wirkungen" von der ICNIRP als "gut bestätigt" anerkannt werden. Unter Vorsorgeaspekten können daher Bewertungen sachkundiger Wissenschaftler durchaus von Wert sein. Hinzu kommt, daß die ICNIRP kein demokratisch legitimiertes Gremium darstellt, sondern ihre Mitglieder berufen werden. Seit 1993 wird das wissenschaftliche Sekretariat der ICNIRP im BfS geführt.

Die Grenzwertempfehlungen der ICNIRP leiten sich von den "gut bestätigten" Wirkungen ab. "Eines der Hauptprobleme bei der Entwicklung von Expositionsgrenzwerten ist die Identifizierung der gesundheitsschädlichen Effekte, gegen die die Grenzwerte schützen sollen. Hier müssen in erster Linie vertrauenswürdige physiologische Reaktionen analysiert werden, die zu signifikanten biologischen Veränderungen nach Exposition führen. Wenn ausreichende Daten über einen Effekt vorliegen, kann die Einschätzung als mögliche oder tatsächliche Gesundheitsgefahr erfolgen" (Bernhardt).

Die Grenzwertempfehlungen der ICNIRP und der WHO werden turnusmäßig etwa alle 6 bis 8 Jahre überarbeitet. Bei der WHO steht die Überarbeitung der Grenzwertempfehlungen für Magnetfelder jetzt an (Bernhardt).

Die IRPA-Grenzwertempfehlungen für elektromagnetische Felder werden vom BMU, BfS und der Strahlenschutzkommission (SSK) unter Schutzaspekten als ausreichend angesehen. "Diese Feldstärke-Grenzwerte sind so festgelegt, daß gesundheitsschädliche Wirkungen auf Personen der Bevölkerung bei ganztägigen Aufenthalt am Einwirkungsort nach heutiger wissenschaftlicher Sicht nicht eintreten können" (Bernhardt).

Allerdings wird der Schutzaspekt und der Vorsorgegedanke unterschieden. "Im Bundes-Immissionsschutzgesetz ist neben dem Schutzgrundsatz zusätzlich der Vorsorgegrundsatz berücksichtigt. Das BfS sieht insbesondere bei magnetischen Feldern mit einer Frequenz von 50 Hz aufgrund der biologischen Wirkungsliteratur durchaus ein Besorgnispotential und empfiehlt seit langem, bei Neuplanungen von Anlagen die Grenzwerte nicht voll auszuschöpfen. .... Die Vorsorge muß jedoch nach Umfang und Ausmaß dem Risikopotential der Immissionen, die sie verhindern soll, proportional sein. Daraus folgt, daß Vorsorge durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt wird" (Bernhardt).

In der nächsten Ausgabe des Elektrosmog-Reports wird sich der zweite Teil des Kongreßberichts mit biologischen Wirkungen und der Forschungsförderung in Deutschland beschäftigen.

Michael Karus

nova-Institut, Thielstr. 35, 50354 Hürth

[Zitierweise dieses Artikels: Karus, M.: Aktueller Stand der Grenzwertdiskussion in Deutschland. Elektrosmog-Report 1 (3), S. 5-7 (1995).]
 

Weitere Informationen zu den Beiträgen des Elektrosmog-Kongresses erhalten Sie bei der TÜV-Akademie in Köln. Adresse: TÜV-Akademie Rheinland GmbH, Claudia Franke, Postfach 910951, 51101 Köln, Tel. (0221) 806-3063.
 
 
Im nächsten Heft: Teil II des Kongreßberichts mit Ausführungen zu biologischen Wirkmechanismen elektromagnetischer Felder

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Tiermedizinische Beobachtungen
Hundelymphome und
elektromagnetische Belastung

Hunde, die in einer höher elektromagnetisch belasteten Umgebung lebten, wiesen nach einer Studie von Forschern der tiermedizinischen Fakultät der Universität von Colorado gegenüber niedriger belasteten Tieren eine signifikant erhöhte Rate an Hundelymphomen auf.

John Reif und Mitarbeiter untersuchten 93 Fälle von Hundelymphomen und 137 Kontrollen mit anderen Krebsarten. Die erkrankten Tiere waren zwischen 1987 und 1990 Patienten im tiermedizinischen Lehrkrankenhaus. Es wurden Informationen über die täglichen Aktivitäten der Hunde, Aufenthaltsgewohnheiten und Exposition gegenüber möglichen Kofaktoren für eine Krebsauslösung gewonnen. Schließlich wurde die elektrische Verkabelung nach dem Verfahren von Wertheimer und Leeper (1979) - leicht modifiziert - codiert und die Stärke der elektromagnetischen Felder inner- und außerhalb der Häuser, in denen die Hunde lebten, gemessen.

Wurden die fünf verwendeten Verkabelungscodes in zwei Gruppen, die eine mit niedriger, die andere mit hoher Belastung, eingeteilt, so lag die Wahrscheinlichkeit, an einem Hundelymphom zu erkranken in der höher belasteten Gruppe um ca. 60% über der niedriger belasteten (relatives Risiko: 1,6; 95%-Konfidenzintervall: 0,9-2,9) ohne Berücksichtigung möglicher weiterer Risikofaktoren. Bei Verwendung der ursprünglichen fünf Kategorien des Codes, fanden sich nur in der höchstbelasteten Gruppe signifikant erhöhte Erkrankungsraten (RR: 6,8; CI: 1,6-28,5).

Eine Assoziation zwischen der durch Messungen ermittelten Stärke der elektromagnetischen Felder in den Häusern und dem Erkrankungsrisiko bestand nicht. Leicht erhöhte Risiken mit allerdings weiten Konfidenzintervallen bestanden jedoch, wenn die elektromagnetische Belastung vor dem Haus im Mittel größer als 0,2 µT war (RR: 1,5-1,9).

Nach Ansicht von Reif sei die Studie nur zurückhaltend zu interpretieren, zumal sie die einzige dieser Art sei. Es sei jedoch eine gewisse Konsistenz mit Beobachtungen bei Kinderleukämien festzustellen. Hunde stellten gute Versuchsobjekte dar, da man wisse, wo sie sich die ganze Zeit aufhielten. Die kürzere Lebensspanne von Hunden und die Tatsache, daß sie sich eine längere Zeit als Menschen im oder in der Nähe des Hauses aufhielten, würde die Fehlklassifikation des Expositionsumfanges, wie sie bei Studien an Menschen oft ein Problem darstelle, reduzieren.

Prof. Rainer Frenzel-Beyme vom Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin (BIPS) wertet die Studie vor allem deshalb als bedeutend, da gleichartige Beobachtungen an verschiedenen Spezies "eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen spezifischen Zusammenhang" zwischen elektromagnetischer Belastung und bösartigen Erkrankungen ergeben.

Dr. Meike Mevissen von der tierärztlichen Hochschule Hannover weist in einer Stellungnahme daraufhin, daß in der nach dem Verkabelungscode höchstbelasteten Gruppe mit signifikant erhöhtem Erkrankungsrisiko die Fallzahlen sehr klein sind. "Zum Erkennen von Trends" sei die Studie jedoch "sicherlich hilfreich."

Hundelymphome sind so wie Leukämien beim Menschen bösartige Erkrankungen des blutbildenden Systems und wurden auch beim Vergleich anderer Umwelteinwirkungen wie Herbiziden als Modell für menschliche Leukämien verwendet.

Reif und Mitarbeiter verwendeten Hunde mit anderen Krebserkrankungen als Kontrollen, die nach Ansicht der Autoren möglicherweise zu einer Unterschätzung des Risikos geführt hätten. Sie planen eine weitere Analyse mit einer anderer Kontrollgruppe.

[Zitierweise dieses Artikels:.Hundelymphome und elektromagnetische Belastung. Elektrosmog-Report 1 (3), S. 8 (1995).]

Literatur:

  1. Reif, J. S., Lower, K. S., Ogilvie, G. K.: Residential exposure to magnetic fields and risk of canine lymphoma. Am. J. Epidemiol. 141, S. 352-359 (1995).
  2. Lymphoma in dogs linked to residential EMF exposures. Microwave News 15 (2), S. 5-6 (1995).
  3. Frentzel-Beyme, R.: Ausführungen zu Ergebnissen epidemiologischer Forschung. Vorbeugender Schutz vor schädlichen elektromagnetischen Feldern bei Hochspannungs-Freileitungen. Anhörung durch den Ausschuß für Umweltfragen, Hannover 9.5.1995.
  4. Mevissen, M.: persönliche Mitteilung.
 
 
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Mikrowellentherapie
Fehlgeburtenrisiko
bei Physiotherapeutinnen

Rita Quellet-Hellstrom und Walter F. Stewart von der John-Hopkins-Universität in den USA veröffentlichten 1993 ihre Studienergebnisse über ein erhöhtes Risiko von Fehlgeburten bei Physiotherapeutinnen, die Patienten mit Mikrowellen-Wärmetherapie behandelten. 1995 erschien eine Entgegnung zweier Forscher der australischen Telecom.

Quellet-Hellstrom und Stewart untersuchten in einer retrospektiven Studie die Auswirkungen von Kurzwellen- und Mikrowellen-Wärmetherapie auf das Fehlgeburtenrisiko. 42.403 Physiotherapeutinnen wurden in die Studie aufgenommen. Es fanden sich 1.753 Schwangerschaften, bei denen die betroffenen Frauen angaben, 6 Monate vor und während des ersten Drittels der Schwangerschaft beruflich Hochfrequenz-Wärmetherapie angewendet zu haben.

In diesen Fällen wurden die Häufigkeit der Anwendungen und durch entsprechende Messungen am Arbeitsplatz der Umfang der Streustrahlung, denen die Physiotherapeutinnen vermutlich ausgesetzt waren, ermittelt. Bei der Kurzwellen-Therapie wurde eine Frequenz von 27,12 MHz, bei der Mikrowellen-Therapie Frequenzen von 915 MHz oder 2.450 MHz verwendet. Mögliche Kofaktoren für eine erhöhte Fehlgeburtenrate wie die Einnahme von Medikamenten, Kontakt mit krebsfördernden Chemikalien, Benutzung elektrischer Heizdecken etc. wurden berücksichtigt.

Bei einer erhöhten Exposition gegenüber elektromagnetischer Strahlung im Kurzwellenbereich fand sich kein erhöhtes Fehlgeburtenrisiko (relatives Risiko: 1,07; 95%-Konfidenzintervall: 0,91-1,24). Bei erhöhter Exposition gegenüber HF-Strahlung im Mikrowellenbereich war das Risiko allerdings um etwa 30% vergrößert (RR = 1,28; 95%-Konfidenzintervall: 1,02-1,59). In der höchstbelasteten Gruppe war das relative Risiko mit 1,59 auch am höchsten, was als Hinweis auf eine Dosis-Wirkungsbeziehung gedeutet werden könne.

In ihrer Entgegnung weisen Bruce Hocking und Ken Joyner von der australischen Telecom daraufhin, daß es für diese Ergebnisse keine naturwissenschaftliche Erklärung gäbe. Mikrowellen im verwendeten Frequenzbereich wiesen eine deutlich geringere Eindringtiefe als Kurzwellen auf. Die spezifische Absorptionsrate (SAR) in der Gebärmutter sei bei Mikrowellen der von den amerikanischen Forschern postulierten Intensität der Streustrahlung sehr gering. Es sei daher eher zu erwarten, daß Kurzwellen eine stärkere Wirkung als Mikrowellen auf die Gebärmutter im ersten Schwangerschaftsdrittel ausübten, wenn diese noch tief im Becken liegt. Ein maximaler Mikrowelleneffekt sei erst in der späten Schwangerschaft zu erwarten, wenn der Fetus nah an der Bauchdecke liegt.

Eindringtiefen in menschliches Gewebe
(nach Hocking/Joyner)
Frequenz (MHz) Eindringtiefe (cm)
27,12 (Kurzwellen) 14,3
915 (Mikrowellen) 3,04
2.450 (Mikrowellen) 1,7
 

Maximale spezifische Absorptionsrate (SAR) in der Gebärmutter (nach Hocking/Joyner)
Frequenz (MHz) SAR (W/kg) 
27,12 (Kurzwellen) 0,209 
915 (Mikrowellen) 0,023
2.450 (Mikrowellen) 0,000027 
In einer Replik verteidigen Quellet-Hellstrom und Stewart ihre Daten und weisen daraufhin, daß ihre Beobachtungen weitgehend mit früheren Untersuchungen einer finnischen und einer schwedischen Arbeitsgruppe übereinstimmen. Die empirischen Daten seien zunächst einmal unabhängig von irgendwelchen kausalen Erklärungsansätzen zu würdigen. Man könne in der Wissenschaft doch nicht hergehen und Daten nur deshalb nicht zur Kenntnis nehmen, weil es bisher keine befriedigende Erklärung für deren Ausprägung gäbe. Bei der vorhandenen Konsistenz der Beobachtungen sei es ratsam, mögliche andere kausale Faktoren als die Eindringtiefe und die SAR-Werte in die Überlegungen einzubeziehen, so z. B. mögliche Frequenz-Effekte.

"Grundsätzlich sollte man den Umfang, mit dem konkurrierende Erklärungen durch vorhandene Daten unterstützt werden, untersuchen und nicht, ob Daten durch konkurrierende Erklärungen unterstützt werden. Die Daten sind fixiert, die möglichen Erklärungen dagegen nicht."3

[Zitierweise dieses Artikels:.Fehlgeburtenrisiko bei Physiotherapeutinnen. Elektrosmog-Report 1 (3), S. 8-9 (1995).]

Literatur:

  1. Quellet-Hellstrom, R., Stewart, W. F.: Miscarriages among female physical therapists who report using radio- and microwave-frequency electromagnetic radiation. Am. J. Epidemiol. 138, S. 775-785 (1993).
  2. Hocking, B., Joyner, K.: RE: "Miscarriages among female physical therapists who report using radio- and microwave-frequency electromagnetic radiation". Letter. Am. J. Epidemiol. 141, S. 273-274 (1995).
  3. Quellet-Hellstrom, R., Stewart, W. F.: The authors reply. Letter. Am. J. Epidemiol. 141, S. 274 (1995).
  4. Källén, B., Moritz, U.: Delivery outcome among physiotherapists in Sweden: Is non-ionizing radiation a fetal hazard? Arch. Environ. Health 37, S. 81-83 (1982).
 
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Kurznachrichten
Besserer Schutz für Patienten mit Herzschrittmachern

Eine Studie, die Prof. Irnich (Universität Gießen) im Auftrag der Forschungsgemeinschaft Funk e. V. (FGF) durchgeführt hat, ergab, daß 27% aller gängigen Herzschrittmacher auf kurze Distanz von D-Netz-Telefonen gestört werden. Eine Beeinflussung durch E-Netz-Geräte und schnurlose Telefone konnte nicht nachgewiesen werden.

FGF empfiehlt: Zwischen Herzschrittmacher und einem 2-Watt-Handy sollte ein Sicherheitsabstand von 25 cm und bei 8-Watt-Geräten ein Abstand von 50 cm eingehalten werden. Es wird davon abgeraten, das Handy im Standby-Betrieb in der Brusttasche zu tragen.

Das europäische Komitee für Normen in der Elektrotechnik (CENELEC) hat 1991 eine europäische Norm (EN 50061) für die Sicherheit implantierter Herzschrittmacher erarbeitet, die erst 1998 für die Hersteller von Herzschrittmachern verbindlich wird. FGF fordert, diese Norm frequenzmäßig zu erweitern (auf Frequenzen über 30 MHz) und rechtskräftig werden zu lassen, um die Störfestigkeit aller neuen Herzschrittmacher sicherzustellen.

Quelle: Pressemitteilung der FGF vom 28. März 1995
 
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. Neues Institut zur Elektrosmogforschung in NRW

Am 28.4.1995 wurde der Neubau des Instituts für Mobil- und Satellitenfunktechnik (IMST) in Kamp-Lintfort (NRW) feierlich eingeweiht. Gleichzeit wurde das Institut um die Abteilung "Elektromagnetische Verträglichkeit und Umweltaspekte (EMVU)" erweitert, die die Auswirkungen von Elektrosmog auf die menschliche Gesundheit erforschen soll. Das IMST erhält hierfür vom Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes NRW eine Anschubfinanzierung von 8,8 Mio. DM.

In der Presseerklärung heißt es: "In dieser Abteilung werden Forschungsarbeiten zusammen mit anderen Wissenschaftlern aus Medizin und Biologie durchgeführt werden, die die Wirkungen und Einflüsse elektromagnetischer Wellen auf den Menschen und seine Umwelt systematisch untersuchen. Mit diesem, momentan sicherlich einzigartigen, Forschungsschwerpunkt setzt das Land NRW ein richtungsweisendes Signal im Hinblick auf einen intelligenten, wohlverstandenen Umgang mit modernen Hochtechnologien."

Schwerpunkt der Abteilung EMVU werden zunächst vor allem die Auswirkungen der Mobiltelefontechnologie sein.


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