Frauen - willige Opfer der Medizin?
Früherkennung, Hormone, Geburtsmedizin auf dem Prüfstand kritischer Wissenschaft
- Wege zu einer zeitgemässen Praxis


Autor: Nora Jacobson
Keywords: Frauenheilkunde, evidence based medizine, klinische Forschung, Medizinkritik, Patienteninformation, Evaluation, Brustoperation
Abstract:
Copyright: Texte: Stiftung PARACELSUS HEUTE
HTML-Gestaltung:  Bernhard Harrer Wissenstransfer

Autoren
Begrüßungen
Die alternde Frau
Die schwarze Madonna/Theater
Die schwangere Frau
Die krebsgefährdete Frau
Moderne Medizin
 

Dr. Johannes G. Schmidt,
Was ist Behandlungsnutzen? - Cholesterin oder vom 1. zum 2. Wissenschaftlichen Einsiedler Symposium
Nora Jacobson,
Die weibliche Brust - Schönheits-Operationen als medizinische Normierung und Perfektionierung des Frauenkörpers
Prof. Karl W. Kratky,
In welchem Sinn ist die moderne Medizin eine Naturwissenschaft? - <<Weiblich-Chaotisches>> in der modernen Physik
Prof. Alvan R. Feinstein,
Krankheitserscheinungen am intakten Menschen - Was für eine Nosologie der Krankheitseinteilung brauchen wir?
Prof. Barbara Katz Rothman,
Entstehung von Leben unter Geburtsschmerzen - Sind Frauen Opfer ohne Wahl?
 Jon Rudolf Boner,
Wir meinen, es müsse einen Grund geben, weshalb wir krank oder gesund sind und weshalb diese Krankheit bösartig und jene gutartig verläuft. Wenn wir sehen, wie sich Ursache nach Ursache finden und sich der letztendliche Grund nie festmachen lässt, können wir unser Leben als Geheimnis akzeptieren und so in einem ursprünglichen Bewusstsein Klarheit für viele Fragen finden.


Die weibliche Brust - Schönheits-Operationen als medizinische Normierung des Frauenkörpers

(Original-Titel des englischen Vortrags: Breast implants - The medical revisualization and construction of the female body)

Nora Jacobson
Johns Hopkins University School of Hygiene and Public Health, Baltimore/USA

Im Jahre 1992, mitten in einer öffentlichen Kontroverse, hat die amerikanische Nahrungs- und Arzneimittelbehörde (FDA) ein Moratorium verlangt in Bezug auf die uneingeschränkte Verwendung von Silikon-Brustimplantaten. Gemäss dieser Anweisung sollte die Verfügbarkeit von Brustimplantaten auf diejenigen Frauen beschränkt werden, die eine rekonstruktive Implantation vornehmen lassen wollten oder mussten und bereit waren, an klinischen Studien teilzunehmen. Das FDA wollte versuchen, das «Bedürfnis des öffentlichen Gesundheitswesens» nach Implantaten in Übereinstimmung zu bringen mit der «langen Liste von unbeantworteten Fragen in Bezug auf ihre Sicherheit.» Unkontrollierte Implantate sollten also nicht mehr zur Anwendung gelangen.

In diesem Vortrag möchte ich die Geschichte der Brustimplantate zurückverfolgen, um zu untersuchen, ob in den Vereinigten Staaten tatsächlich ein «legitimes Bedürfnis des öffentlichen Gesundheitswesens» nach Implantaten bestand. Ich werde nicht über die Technik sprechen, denn wir (Nora Jacobson und Elizabeth Fee) sind der Meinung, dass dieses sogenannte «Bedürfnis» der Entwicklung der Technologie von Brustimplantaten nicht voranging, sondern das Problem vorerst einmal herbeigeführt wurde. Das Bedürfnis bzw. die Nachfrage nach einer Rekonstruktion der Brust wurde also ebenso konstruiert, wie Grösse und Form der Brust problematisiert und dann medikalisiert wurden. Das Problem wurde also zunächst einmal geschaffen und dann medikalisiert. Dieser Prozess hängt mit einem Zyklus von Veränderungen und einem Wandel in dieser Technologie zusammen: Mit der Verbesserung der Brustimplantate nahm auch die Verwendung zu. Und mit zunehmendem Gebrauch wurden wiederum Verbesserungen eingeführt, und so kamen immer mehr Patientinnen für die Implantate in Frage. Folglich stieg auch die Nachfrage.

Die Geschichte der Brustimplantate hängt eng mit der Entwicklung von drei chirurgischen Verfahren, für die sie verwendet wurden, zusammen:
(1) die Vergrösserung einer kleinen Brust;
(2) die Rekonstruktion, d.h. der Wiederaufbau der Brust nach einer Mastektomie; und
(3) die prophylaktische Mastektomie, die Entfernung von gutartigem Brustgewebe, etwa bei gutartigen Fibromen, um zukünftigem Krebs vorzubeugen.
Obwohl diese verschiedenen Verfahren unterschiedliche Indikationen hatten, verschiedene Gruppen von Patientinnen betrafen, haben sie doch zwei wichtige Gemeinsamkeiten: Erstens trug die Nachfrage dazu bei, die Technologie der Brustimplantate zu entwickeln und zu verbessern. Und zweitens führte diese verbesserte Technologie wiederum zu einer noch grösseren Nachfrage. Und beide folgten einem ähnlichen Muster, nämlich Problematisierung und dann Medikalisierung von anatomischen Abweichungen.
Fotografien in medizinischen Zeitschriften über diese anatomischen Abweichungen (z.B. kleine Brüste) veranschaulichen das Interesse an den Implantaten. Dann: Die Angst vor einer Mastektomie bei Brustkrebs; Gutartige Knoten und Zysten bzw. Fibrome in der Brust. Man verwendet da sehr unterschiedliche Ausdrücke. Allgemein spricht man von fibrozystischen Erkrankungen.
 

Die Vergrösserung der kleinen Brust

Bis Mitte der dreissiger Jahre waren kleine Brüste kein Problem. Obwohl medizinische Fachzeitschriften über Brust-Atrophien oder -Prolapse - ein Erschlaffen der Brust - berichteten und zur Korrektur Methoden wie Injektion von Paraffin oder Einbau von Glaskugeln unter dem Brustgewebe vorschlugen oder auch eine Transplantation von Fettgewebe von anderen Teilen des Körpers - normalerweise vom Bauch oder vom Hintern -, waren Empfehlungen bei kleinen Brüsten selten.

Etwa 1935 jedoch brachten plastische Chirurgen die kleine Brust ins Gespräch. Die abnorm kleine Brust wurde sogar pathologisiert und mit dem «Fachausdruck» Hypomastie umschrieben. Sie kategorisierten die verschiedenen Typen von kleinen Brüsten und nannten eine Anzahl möglicher Ursachen, einschliesslich übertriebene Diät oder endokrine Störungen. Als chirurgische Behandlungsmöglichkeit schlugen sie die Transplantation von Fett vor. Dies wurde aber selten empfohlen, wegen der Tendenz, dass das implantierte Fett nach und nach vom Körper resorbiert wird. Dies konnte auch zu Infektionen und Verkalkungen führen.

Die Medikalisierung der kleinen Brust fand etwa zwischen den späten dreissiger und frühen fünfziger Jahren statt (unterbrochen während des 2. Weltkrieges). In den Vereinigten Staaten fiel sie mit der steigenden Anzahl von ausgebildeten plastischen Chirurgen zusammen und ihren Versuchen, die Schönheitschirurgie zu legitimieren und zu etablieren. Mit der Zunahme von plastischen Chirurgen wurde auch die Technologie verbessert. Ein wesentliches Argument für die Legitimität der Schönheitsoperationen war, dass es für eine Frau verheerend und psychologisch gesehen ein Schock sei, wenn ihr physisches Aussehen nicht perfekt sei oder Mängel aufwies. «Abnormale» Brüste wurden als solche Mängel bezeichnet. Hypomastie wurde zum Inbegriff für einen körperlich-psychologischen Komplex, der zu Gefühlen von Unzulänglichkeiten in der eigenen Weiblichkeit, Schüchternheit, gesellschaftlicher Ausgrenzung, Depression, und - manchmal - zu Suizidversuchen oder Psychosen führte.

Fortschritte während der Kriegszeit in der Herstellung und Synthese von plastischen und synthetischen Materialien und in der Entwicklung von komplizierten
schönheitschirurgischen Verfahren führte in den Jahren nach dem Krieg zu einem grossen Schritt nach vorne in der Technologie der Brustimplantate. In den fünfziger Jahren haben Chemie-Firmen dann eine Reihe von synthetischen Materialien eingeführt, u.a. Polyvinyl-Alkohol, Polyäthylene, Polyurethane und Teflon. Plastische Chirurgen experimentierten mit all diesen Materialien, um Brustprothesen herzustellen. Z.B. einer «idealen» Brust nachgeformte Schwämme, die mittels einer Operation zwischen Brustmuskeln und Brustgewebe eingesetzt wurden, um die Brust zu vergrössern. Solche Operationen fanden ungefähr in den später fünfziger oder frühen sechziger Jahren statt.

Die einfache Verwendungsmöglichkeit dieser Materialien und die - anfänglich - fast durchgehend guten Resultate führten dazu, dass immer mehr Chirurgen solche brustvergrössernden Operationen durchführten. Mit der wachsenden Zahl dieser Eingriffe zeigten sich aber auch sehr unterschiedliche Reaktionen des Körpers auf diese Implantate. Insbesondere die Tendenz, dass das fibröse Narbengewebe in den Schwamm einwuchs und das Implantat - und demzufolge auch die Brust - schrumpfte und hart wurde. Es traten also Probleme auf.

Die plastischen Chirurgen reagierten in vielfältiger Weise auf die offensichtlichen Probleme mit diesen Schwammimplantaten. Eine Reaktion darauf war zum Beispiel, dass man die psychologischen Symptome bei Frauen mit einer Hypomastie erneut hervorhob, indem man psychiatrische Studien durchführte mit Frauen, die den Wunsch hatten, ihre Brust zu vergrössern. Solche Untersuchungen berichteten dann, dass Frauen, die ein Brustimplantat wünschten, Anzeichen von Depression, Neurosen und Frigidität aufwiesen. Subjektive Berichte nach dem chirurgischen Eingriff schienen dies zu bestätigen, da sich der Zustand dieser Frauen offenbar verbessert habe. Des weiteren modifizierte man die bestehende Technologie und versuchte, das «ideale Implantat» nachzubilden: Das «ideale» Implantat würde nicht hart werden. Es würde chemisch und physikalisch gut akzeptiert werden, wäre nicht karzinogen und resistent gegen mechanischen Druck. Es wäre leicht sterilisierbar und gut formbar nach den spezifischen Wünschen des Chirurgen. 1963 dann glaubten die plastischen Chirurgen, dieses ideale Material gefunden zu haben. Es war das Silikon-Gel-Brustimplantat.

Entwickelt wurde es von zwei Chirurgen aus Houston in Texas, in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern vom Dow Corning Center for Medical Research. Das erste Silikon-Gel-Brustimplantat bestand aus einem Silikon-Gummibeutel, der mit Silikon-Gel gefüllt war. Auf der einen Seite war das Implantat flach, auf der anderen Seite nach aussen gewölbt. Die flache Rückseite des Implantats war mit Dacron-Fasern abgedeckt, was die Fixierung des Implantats an der Brustwand erleichtern sollte. Angepriesen als «Brust-Prothese mit dem natürlichen Gefühl» versprach dieses Silikon-Gel-Implantat die Probleme der Schwammimplantate zu lösen, insbesondere die Tendenz der Schwämme, hart zu werden. Innerhalb von ein paar Jahren nach der Einführung wurde dieses Implantat sehr weitgehend für alle Arten von Brustvergrösserungen verwendet.

1970, etwa sieben Jahre nach der Einführung des Silikon-Gel-Brustimplantats, schätzte das Dow Corning Center den Verkauf von Implantaten auf etwa 50'000. Wie die anderen Technologien hat auch das Silikon-Gel-Implantat gewisse Verbesserungen in Bezug auf seine Anwendung erlebt: Grösse und Form der Implantate wurden modifiziert, und die Dacron-Schicht war verschwunden. Trotz früheren Versprechen brachten Silikon-Gel-Implantate aber eine gewisse Verhärtung der Brust mit sich, insbesondere eine Verhärtung des Bindegewebes, der Bindegewebskapsel und in der Folge eine Kontraktion der Fasern der Kapsel, ein Phänomen, das als «Kapselkontraktion» bekannt wurde. Einige Erfinder versuchten das Problem der Kapselkontraktion dadurch zu lösen, indem sie das Implantat mit Kochsalzlösung füllten; andere entwickelten ein Implantat, das mit Polyurethane-Schaum bedeckt war. Diese Modifikationen schienen zwar das Härten des Implantats zu reduzieren, haben aber neue Schwierigkeiten hervorgerufen.

Das Bedürfnis für Brustimplantate wurde auch als psychologischer und sozialer und auch individueller Wunsch ausgelegt, in einer Gesellschaft, die immer stärker busenbewusst wurde. Die Chirurgen betonten, dass sie gewissermassen nur auf ein öffentliches Bedürfnis, auf die «Nachfrage von Patientinnen» reagierten.

Zwischen 1970 und 1980, als sich die sexuellen Sitten zu ändern begannen und sich eine populäre Version der Selbstverwirklichungspsychologie verbreitete, revidierten die Schönheitschirurgen ihre Einschätzung über ihre Patientinnen: Frauen - so argumentierten sie -, die eine Vergrösserung der Brust wünschten, waren nicht psychopathologisch, sondern folgten ganz einfach einem natürlichen Verlangen und hielten es für ihr Recht, sich in ihrem Körper so gut wie möglich zu fühlen und dies durch gutes Aussehen auch zu zeigen. Was zu einer weiteren Zunahme der Patientinnen geführt hat.

In den achtziger Jahren, bis zu Beginn der Kontroverse um die Implantate, haben in den Vereinigten Staaten jährlich schätzungsweise etwa 100'000 Frauen eine Brustvergrösserung vornehmen lassen. Bemühungen, die Technologie zu verbessern und vor allem das Problem der Kapselkontraktion zu lösen, setzten sich aber fort.
 

Die Brust-Rekonstruktion

Die Entwicklung der rekonstruktiven Brustchirurgie hängt eng zusammen mit der Entwicklung und den Behandlungsmöglichkeiten von Brustkrebs. Als sich die medizinischen Vorstellungen und Behandlungsmethoden änderten, nahm auch das Interesse für Brustrekonstruktionen zu. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts, ausgehend vom Humoralmodell und später von der Soliditätspathologie her wurde argumentiert, dass Brustkrebs eine Krankheit von abnormen und sich vermehrenden Zellen in der Brust sei, die sich dann im ganzen Körper ausbreiteten. Von dieser Vorstellung ausgehend, hat man dann die radikale Lösung gewählt, um so viele kranke Zellen wie möglich auszurotten. Die radikale Halsted-Mastektomie, der Prototyp dieser Entwicklung, war eine radikale Operation, bei der die ganze Brust sowie die darunterliegenden Muskeln, einschliesslich der Lymphknoten unter den Armen entfernt wurden. Halsted selber war aber gegen eine Rekonstruktion der Brust nach einer Mastektomie. Und so waren anfänglich, aufgrund seines hauptsächlich in den Vereinigten Staaten grossen Einflusses, Versuche von Brustrekonstruktionen selten.

Zu Beginn dieses Jahrhunderts wurden in Frankreich die ersten rekonstruktiven Techniken entwickelt. Man verwendete Gewebeteile vom Rücken oder vom Bauch oder von verbliebenen Teilen der Brust, um eine Brustwölbung nachzubilden. Chirurgen, die solche Rekonstruktionen vornahmen, haben den psychologischen Schock nach einer Brustamputation hervorgehoben und haben daher diese Operation als eine Möglichkeit angepriesen, die verlorene Weiblichkeit zurückzuerlangen. Sie behaupteten, dass die Aussicht, die Brust wiederherzustellen, die Frauen ermutigen und dazu veranlassen würde, sich frühzeitig untersuchen und gegen Brustkrebs behandeln zu lassen.

Die Rekonstruktionstechniken zu Beginn dieses Jahrhunderts waren sehr kompliziert und zeitaufwendig, sowohl für den Chirurgen wie für die Patientin. Die erfolgreichsten Resultate vermochten zwar eine Symmetrie wiederherzustellen, die nicht auffiel, wenn der Körper bekleidet war. Nackt war der Körper aber verunstaltet und narbig. In den fünfziger Jahren verbesserten sich mit der Einführung von synthetischen Materialien für die Schwämme auch die chirurgischen Behandlungsmethoden, und dies führte auch zu besseren kosmetischen Resultaten. Trotzdem zögerten die meisten Chirurgen, diese Schwämme zu verwenden. Dies rührte daher, dass gemäss der Auffassung von Halsted die Brustrekonstruktion möglicherweise einen Rückfall verbergen oder gar verursachen könnte. Und man fürchtete auch, dass die Materialien selber vielleicht krebserregend sein könnten. Überdies war die Rekonstruktion natürlich bei den Frauen besonders problematisch, die ihre Brust aus eigenem Wunsch rekonstruieren lassen wollten, weil viele Ärzte solche Frauen scharf kritisierten und sie als undankbar und unzufrieden hinstellten. In den sechziger und siebziger Jahren wurden die Silikon-Gel-Brustimplantate weiter bekannt. Um 1970 war die Verwendung von Silikon-Gel-Implantaten bei den plastischen Chirurgen, die Brustrekonstruktionen durchführten, Standard geworden.

Die Brustrekonstruktion mit Silikon-Gel-Implantaten wurde während der siebziger Jahre legitimiert. Diese Legitimation kann man auf verschiedene Faktoren zurückführen:
(1) Die bessere Überlebenschance nach dem Krebs und die Zunahme von Brustkrebs, auch bei jüngeren Frauen. Und so hat sich diese Chirurgie in der Bevölkerung doch durchgesetzt.
(2) Eine Reihe von psychologischen Untersuchungen entwickelten auch die Idee vom «Post-Mastektomie-Syndrom» und dass eine Rekonstruktion daher hilfreicher wäre und psychosoziale Störungen mildern würde.
(3) Das ganze Klima und die soziale Akzeptanz im Gesundheitswesen hatten sich geändert und man betonte nun vermehrt die Selbstbestimmung der Frauen und ihre Wahlmöglichkeit in Bezug auf die Gesundheitsversorgung.
(4) Die radikale Halsted-Methode trat mehr und mehr in den Hintergrund. Und so konnten die plastischen Chirurgen mit Körpern arbeiten, die weniger narbig waren und mehr Gewebe aufwiesen, was wiederum zu besseren Resultaten führte.
(5) Und schliesslich waren mit der Verwendung von Silikon-Implantaten die Ergebnisse auch ästhetisch besser, und so stieg auch das Interesse und die Nachfrage nach diesem Verfahren.

Die Schönheitschirurgen haben dann auch Berichte publiziert über Fortschritte in der Behandlungstechnik und positive Behandlungsergebnisse von Rekonstruktionen. Einerseits, um die Nachfrage zu erhöhen und die Frauen dazu zu veranlassen, sich dieser Operation zu unterziehen. Und andererseits wollte man ganz allgemein die Onkologen ansprechen, die mit der nötigen kollegialen Kooperation zur Etablierung dieser Technik
beitragen sollten. Argumente für potentielle Patientinnen lehnten an die «Frauengesundheitsbewegung» an und beriefen sich auf «das Recht auf Rekonstruktion» für jede Frau, die eine Mastektomie vornehmen lassen musste. Gegenüber den Ärzten rühmten sie die Vorteile dieser Methode und die gute Verträglichkeit und vollendete Technik. Ärzte, so argumentierten sie, sollten diese Operation empfehlen, da es schliesslich um das Wohl ihrer Patientinnen ging.

Weitere technische Fortschritte und Neuerungen folgten dieser Legitimation. Während Materialien und Techniken immer besser wurden, gab es auch Veränderungen in den Patientinnengruppen, die für eine Brustrekonstruktion in Frage kamen: Nämlich jede Frau, die sich einer Mastektomie unterzogen hatte und nicht nur solche, die bereits eine gewisse Zeit überlebt hatten. Und im Hinblick auf die kosmetisch guten Resultate beispielsweise auch Frauen mit einer kleinen Brust. Das Ziel bestand darin, eine Brust zu rekonstruieren, die auch in unbekleidetem Zustand normal aussah. Ungefähr zu derselben Zeit änderte sich auch die Einstellung der Schönheitschirurgen, und sie bezeichneten nun die Entscheidung einer Frau, ihre Brust rekonstruieren zu lassen, vielmehr als ein Ausdruck psychologischer Stärke, denn als Zeichen von Schwäche und Unzufriedenheit.

Die Anzahl der Rekonstruktionen nahm dann in den achtziger Jahren stetig zu. Zu Beginn des Jahrzehnts waren es in den Vereinigten Staaten nur etwa 5% der Mastektomie-Patientinnen, die ihre Brust wiederherstellen liessen, an die 20'000 pro Jahr in den nachfolgenden Jahren. In der Mitte der achtziger Jahre war diese Zahl auf ungefähr 100'000 Patientinnen pro Jahr angewachsen, und zwar sowohl Frauen unmittelbar nach einer Mastektomie als auch brustamputierte Frauen, deren Operation bereits Jahre zurücklag. Bezeichnenderweise haben in den Vereinigten Staaten ab ca. 1985 die privaten Gesundheitsversicherungen die Kosten der rekonstruktiven Brustchirurgie routinemässig übernommen. Während der Zeit der Silikon-Gel-Kontroverse war die rekonstruktive Brustchirurgie voll akzeptiert und Standard in der Behandlung von Brustkrebs geworden.
 

Die prophylaktische Mastektomie

Die prophylaktische Mastektomie war die dritte Methode, wofür weitgehend Implantate verwendet wurden. Sie unterschied sich von den zwei erstgenannten - Vergrösserung der Brust und Rekonstruktion der Brust - in zwei wichtigen Punkten: Erstens war hier, im Gegensatz zu den zwei anderen Verfahren, die Hauptindikation nicht offenkundig. Zweitens haben die Schönheitschirurgen nie die psychologischen Aspekte im Zusammenhang mit fibrozystischen Erkrankungen herausgestrichen, obwohl man glaubte, dass die Operation auch psychologische Vorteile mit sich brachte. Weil die medizinische Natur dieses Verfahrens unterstrichen wurde, führten die Chirurgen diese Operation nicht auf Verlangen von Patientinnen durch, sondern man glaubte vielmehr, dass die Frau davon überzeugt werden sollte, weil es zu ihrem eigenen Besten war.

Obwohl die Chirurgen gutartiges Brustgewebe seit Ende des letzten Jahrhunderts entfernt hatten, stammt die erste Brustamputation mit spezifisch prophylaktischem Zweck aus dem Jahre 1917. In einem Artikel wird diese Technik als «Ablation» beschrieben, d.h. es wurde ein Teil der Brustmasse entfernt, die Gesamtform der Brust aber beibehalten. Dieses Verfahren, schrieb der Autor dieses Artikel, war insofern gerechtfertigt, als die Frauen Angst vor einer Verstümmelung hatten und daher lange keinen Arzt aufsuchten und oft zuwarteten, bis der Tumor krebsartig war, so dass man die Brust dann oft doch vollständig abnehmen musste und nicht mehr bewahren konnte. Die Möglichkeit einer brusterhaltenden Massnahme, wenn die Krankheit noch gutartig war, würde Leben retten.

Das Konzept der Prophylaxe ging von verschiedenen Annahmen aus:
(1) Dass gewisse gutartige Zustände der Brust auch präkanzerös sein konnten. Und
(2) dass diese sehr genau von gutartigen, nicht präkanzerösen Formen unterschieden werden konnten.
(3) Und da die bewahrende Chirurgie einen Teil dieser gutartigen Fibrome und des umgebenden Brustgewebes entnahm, würde das Krebsrisiko durch eine Verminderung der Menge von angreifbarem Gewebe reduziert.
1951 entwickelten Chirurgen dann die prophylaktische subkutane Mastektomie. Das Fibrom wurde sozusagen herausgeschält, indem man eine Art Tasche übrigliess, so dass die äussser Schicht der Haut und des Gewebes intakt blieb. Dadurch wurde die Brust etwas schlaffer. Die Entwicklung von synthetischen Schwämmen zu etwa derselben Zeit brachte eine Brustprothese hervor, mit der dieser leere Teil bzw. diese Tasche gefüllt werden konnte. Daher hat man diese prophylaktische Operation auch bei gutartigen fibrozystischen Erkrankungen oder bei Mastodynie, d.h. bei schmerzenden Brüsten, bereitwilliger durchgeführt - mit oder ohne Krebsangst der betroffenen Frau. Die Frauen würden sich nach einer solchen Operation im allgemeinen besser fühlen und besser aussehen, behauptete ein plastischer Chirurge.

Reaktionen wie Härten und Schrumpfen des Implantats und die Tatsache, dass der Körper das Implantat abstiess, traten bei denjenigen Patientinnen am akutesten auf, bei denen das Implantat direkt unter der Haut und dem Gewebe plaziert worden war. Als diese nachteiligen Reaktionen dann vermehrt bekannt wurden, wurden die Chirurgen mehr und mehr zurückhaltend und zögerten, diese Schwämme zu verwenden. Mit der Einführung der Silikon-Gel-Brustimplantate überwanden dann aber viele Chirurgen ihre diesbezüglichen Bedenken.

Für die plastischen Chirurgen stellte die prophylaktische Mastektomie eine Gelegenheit dar, eine Legitimität zu erreichen, die durch rein kosmetische Arbeit nicht zu erreichen war. Sie haben also nicht nur den psychologischen Nutzen dieser Operation hervorgehoben, sondern sie betonten auch deren präventiven Wert bei einer Krankheit, bei der man in einem späteren Zeitpunkt evt. radikalere Methoden wie Brustamputation, Bestrahlung und Chemotherapie anwenden musste.

1970 hat man dann diese prophylaktische subkutane Mastektomie mit Einsetzen von Implantaten schon recht häufig durchgeführt. (Obwohl keine verlässlichen Statistiken existieren, hat eine Erhebung in den frühen siebziger Jahren gezeigt, dass 47% der Frauen mit einem Fibrom diese Art Operation vornehmen liessen. Eine Autor schätzte, dass sich die Zahl dieser Operationen in den Vereinigten Staaten auf einige Tausend pro Jahr belief.) Mit dieser grossen Anzahl von chirurgischen Eingriffen begann dann eine Diskussion über das Wesen und die Wirksamkeit der vorsorglichen Prophylaxe und somit auch über die Voraussetzungen, unter denen prophylaktische Mastektomien durchgeführt wurden: Was genau sollte denn hier vorgebeugt werden? War es Krebs oder war es die Furcht der Frauen vor der Entwicklung von Krebs, die behandelt wurde? Wurde genügend Brustgewebe entfernt, um das Krebsrisiko zu reduzieren? Das äussere Ergebnis war der stärkste Verkaufspunkt dieser Technik: Je mehr Brustgewebe beibehalten oder gerettet werden konnte, so hiess es, umso besser waren die kosmetischen Resultate. Die plastischen Chirugen waren nun hin- und hergerissen zwischen der Erhaltung von möglichst viel Brustgewebe, um ein ästhetisch gutes Resultat zu bewirken und der Entfernung von genüged Gewebe, um einen prophylaktischen Nutzen zu erzielen.

Diese Debatte veranlasste dann die Befürworter der prophylaktischen Mastektomie dazu, sehr weitgehende epidemiologische Untersuchungen durchzuführen. Einige davon wiesen zwar Mängel auf wie unzulängliche diagnostische Kriterien, fehlende Kontrollgruppen etc. Diese Studien sollten beweisen, dass aufgrund dieser Operationen das Krebsrisiko oder die Notwendigkeit einer Brustamputation sehr stark gesenkt werden konnte. In diesen, die prophylaktische Mastektomie befürwortenden Artikeln verwendeten die Autoren wiederum die Sprache des «Women's Health Movement», indem sie wiederum betonten, dass jede Frau das Recht habe, ihre eigenen medizinischen Entscheidungen zu treffen. Die Wahl für die prophylaktische Mastektomie zeige einen Wandel Richtung eher bewahrender, brusterhaltender chirurgischer Behandlungsmethoden. Erst mit der Bewegung der Frauenrechtlerinnen wurde wieder eine gewisse Vorsicht, eine gewisse Warnung ausgesprochen.

Zu Beginn der neunziger Jahre, als die Kontroverse über das Silikon-Gel-Implantat sehr intensiv wurde, wurde auch die prophylaktische Mastektomie, als wirksame Methode, um Brustkrebs vorzubeugen, nicht mehr so bereitwillig akzeptiert wie bisher. In den Vereinigten Staaten hat die Kontroverse um die Silikon-Gel-Implantate jegliche Diskussion im Zusammenhang mit der prophylaktischen Mastektomie ausgelassen. Die Auseinandersetzung konzentrierte sich ausschliesslich auf Brustvergrösserung und Rekonstruktion der Brust - zwei Verfahren, die vom moralischen Standpunkt her oft miteinander im Widerspruch standen.
 

Fotografische Dokumente

Schliesslich möchte ich noch über die wichtige Rolle der Visualisierung sprechen in Bezug auf die Erzeugung eines Bedürfnisses für die Implantate. Ich möchte aufzeigen, dass die Fotografien, die in der Fachliteratur veröffentlicht werden, die Entwicklung der Brustimplantate nicht nur dokumentieren, sondern sie vielmehr sogar erst bewirkt haben.

Es sind fast immer zwei Abbildungen, ein Paar, «vorher» und «nachher». Man versteht diese Fotografien dann so, als ob es der Zustand «vor» und der Zustand «nach» dem chirurgischen Eingriff wäre. Man spricht nicht von der Zeit, die vergangen ist. Es wird auch nicht der Zustand zu einem späteren Zeitpunkt gezeigt, sondern nur unmittelbar nach der Operation, dann, wenn das Implantat noch in einem guten Zustand ist. Die Bilder «vorher» dienen dazu, die physische Erscheinung zu problematisieren und die Nowendigkeit zu konstruieren, die zu einer chirurgischen Intervention führen. Chirurgen «diagnostizieren» bei einer Frau also sozusagen Hypomastie durch den visuellen Vergleich, den diese Frau bei in Zeitschriften abgebildeten, anderen «Patientinnen» anstellen kann.
Die Fotografie nach der Operation ist eine Konstruktion verschiedenartigster Bedeutungsebenen. Erstmal ist die Fotografie selber konstruiert und oft so dargestellt, dass die Aufmerksamkeit auf das Ergebnis gelenkt wird. Sie wird sorgfältig ausgewählt, und die Frau wird besonders schön gezeigt, beispielsweise mit Schmuck. Das «nachher» repräsentiert auch den aktuellen physischen Zustand der Brust und des Brustgewebes und wird als
das Ergebnis der plastischen und chirurgischen Kunst dargestellt. Damit wird die Idee verkauft, dass hier gegenüber dem «vorher» ein Fortschritt abzulesen ist und dass das die Lösung des Problems «vorher» ist. Implizit bedeutet das Bild «nachher» eine Verbesserung im ästhetischen Bereich. Also muss angenommen werden, dass die Technologie dieser Rekonstruktion erfolgreich und notwendig ist.
 
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Layout: Datadiwan eMail: webmeister@datadiwan.de