Ohne Wissen der Betroffenen
10. Arzneimittelgesetz-Novelle verbietet ca. 70 % der biologischen Arzneimittel

Autor: Bettina Berger
Keywords: Naturheilkunde, Homöopathie, Arzneimittel
Abstract: Im Rahmen der 10. Arzneimittelgesetzesnovelle wird etwa 70% unserer heutigen biologischen Arzneimittel die Verkehrsfähigkeit entzogen. Was das für die Patienten bedeutet, schildert B. Berger in ihrem Artikel.
Copyright: Bettina Berger
 
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14. August 2001 
Übersicht Experten

Eine ca. 55 jährige Dame stellt eine verzweifelte Anfrage an den Beratungsdienst der Patienteninformation für Naturheilkunde e.V. 1.) : jahrelang hätte sie zu ihrer vollen Zufriedenheit das Antihyper-tonikum Arte Rautin forte S erhalten, um ihren erhöhten Blutdruck zu senken. Plötzlich ist dieses Mittel nicht mehr erhältlich und kein anderes naturheilkundliches Mittel könne eine ähnlich zufriedenstellende Wirkung erzeugen. Es ist weder auf Rezept, noch frei erhältlich, es ist von der Liste der zugelassenen Arzneimittel gestrichen worden. Statt dessen werden jetzt chemische Pharmazeutika mit starken Wirkungen an ihr ausprobiert, die einen ausgesprochen ungünstigen Einfluss auf ihre Hyperakusis, eine chronische Ohrenerkrankung, haben, an dem sie außerdem leidet. Dies hat ihr schon etliche unnötige Aufregungen inklusive eines Krankenhausaufenthaltes beschert. Sie kann sich jetzt zwischen zwei Leiden entscheiden: Entweder kann sie ihre Hörgeräte nicht mehr benutzen, weil sich durch die Medikamente ihre Hyperakusis verstärkt, oder sie erträgt chronisch zu hohe Blutdruckwerte. Unter der Verordnung mit Arte Rautin forte S hatte sie dieses Problem nicht, die hohen Blutdruckwerte ließen sich regeln. Keiner, selbst die ApothekerInnen konnten ihr Auskünfte darüber erteilen, warum dieses Mittel nicht mehr erhältlich ist. Was sie und viele andere nicht wissen:

Im Rahmen der 10. Arzneimittelgesetzesnovelle, die am 12.Mai 2000 vom Bundestag verabschiedet wurde, wird ab dem 29.7.2001 etwa 70% unserer heutigen biologischen Arzneimitteln, insbesondere zahlreichen phytotherapeutischen und anthroposophischen Mitteln die Verkehrsfähigkeit entzogen. Mit dem Verlust der Zulassung ist eine zweijährige Abverkaufsfrist verbunden, die mit dem 30.6.2003 endet. Danach sind die Mittel nicht mehr verkehrsfähig, zu deutsch: Sie sind verboten. Der Verkauf kann mit Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr oder Geldbußen bis zu 50.000 DM geahndet werden.

Der Verabschiedung dieses Gesetzes gingen jahrelange Auseinandersetzungen voraus, die insbesondere z.B. von der Hufelandgesellschaft e.V. 2.), einer Ärztegesellschaft mit ca. 20.000 Mitgliedern, und dem ZDN 3.), dem Zentrum zur Dokumentation für Naturheilverfahren getragen wurde, die sich für die Therapiefreiheit und den Erhalt der Biologischen Medizin einsetzen.

Begründet wird das Gesetz in erster Linie mit der Notwendigkeit der Anpassung an Europäische Maßstäbe, die seit 1965 nach EU- Richtlinien die nationalen Gesetzgeber verpflichten, keine Arzneimittel in den Verkehr gelangen zu lassen, dessen "pharmazeutische Qualität nicht durch Unterlagen über pharmakologisch-toxikologische und klinische Prüfungen sowie entsprechende Sachverständigengutachten belegt werden konnte" 4.).

Dies klingt zunächst überzeugend, ignoriert aber die Tatsache, dass diesen Prüfkriterien ein bestimmtes wissenschaftliches Weltbild zugrunde liegt, dass anderen, auch traditionellen Therapierichtungen, wie zum Beispiel der Homöopathie, der Phytotherapie, der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) und der Anthroposophie nicht gerecht werden kann. Dieser Tatsache wurde auch im Rahmen der Zweiten Arzneimittelgesetzesnovelle von 1975 Rechnung getragen: Für die besonderen Therapierichtungen (Homöopathie, Anthroposophie und Phytotherapie) galt nämlich, dass "wissenschaftlich aufbereitete Erfahrungsmaterialien" 5.) als Voraussetzung für die Zulassung gleichberechtigt anerkannt wurden. "Bei der Neuordnung des Arzneimittelrechts ist der Ausschuss von der Tatsache ausgegangen, dass auf dem Gebiet der Arzneimitteltherapie mehrere Therapierichtungen nebeneinander bestehen, die von unterschiedlichen theoretischen Denkansätzen und wissenschaftlichen Methoden ausgehen." 6.) Von einem derartigen Eintreten für Therapiefreiheit und wissenschaftliche Pluralität kann im Rahmen der neuen Regelungen keine Rede mehr sein. Insbesondere durch den Anpassungsdruck an die Europäische Situation ist für ausdifferenzierte naturheilkundliche Behandlungsangebote in Deutschland wohl kaum noch eine ausreichende Lobby vorhanden.

Die neuen gesetzlichen Regelungen bedeuten nämlich für unzählige dieser Mittel ein Aus, insbesondere deshalb, weil die Nachzulassungskosten für zahlreiche mittelständische Betriebe ins Unermessliche steigen. So wird von der Firma Heel berichtet, dass sie in den letzten 7 Jahren Personalaufwendungen in der Größenordnung von mindestens 2 Millionen DM tätigen musste, um den Anforderungen gerecht zu werden. 7.)

Für Dr. Karl Buchleitner, Mitglied des Vorstandes der Hufelandgesellschaft, kommt dieses Gesetz einer Nivellierung des Arzneimittelmarktes zu Ungunsten der Biologischen Medizin gleich. 8.) Dabei stehen die radikalen Beschränkungen der Zulassung biologischer Heilmittel im krassen Widerspruch zu den Bedürfnissen der Bevölkerung.

Umfragen des Allensbachers Demographischen Institutes belegen: Die positive Einstellung gegenüber der Anwendung von Naturheilmitteln hat sich in Deutschland von 1970 bis 1992 kontinuierlich verstärkt: Dem Statement "Ich halte am meisten von Medikamenten, die aus der Naturheilkunde kommen" stimmten 1970 noch 23%, 1992 dagegen 42% der Bevölkerung zu!" 9.)

Wenn also fast die Hälfte der Bevölkerung an der Verwendung und Verbreitung naturheilkundlicher Medikamente interessiert ist, erscheint es verwunderlich, wie Entscheidungen gefällt werden, die der Öffentlichkeit kaum oder zu spät ins Bewusstsein geraten und daher so gut wie gar nicht bekannt gemacht und diskutiert werden können. So sehen sich auch mitgliederstarke Vereine und Gesellschaften, die einzelne Aspekte erfahrungsorientierter Medizin pflegen und weitergeben, plötzlich vor große Probleme gestellt: Bestimmt keine Ausnahme bildet z.B. der Biochemische Bund Deutschlands. Auch er muss in seinen über 80 Ortsvereinen den Vertrieb der seit 127 Jahren bewährten Biochemischen Salze einstellen.

Bettina Berger, Patienteninformation für Naturheilkunde e.V., Berlin

1.) Patienteninformation für Naturheilkunde e.V.: siehe www.datadiwan.de oder Tel.: 030/ 7600 8760
2.) Hufelandgesellschaft für Gesamtmedizin e.V: Ortenaustr. 10, 76 199 Karlsruhe, 0721 8862 67
3.) siehe www.zdn.de
4.) Stellungnahme der Hufelandgesellschaft e.V. zum Rundschreiben von Frau Gudrun Schaich-Walch an die Mitglieder des Bundestages der SPD-Fraktion vom 9.Mai 2000
5.) ebenda
6.) ebenda
7.) www.zdn.de/novelle/redesuessm.htm, S.4 (Zugriff 2001-07-29)
8.) Stellungnahme der Hufelandgesellschaft e.V. zum Rundschreiben von Gudrun Schaich-Walch an die Mitglieder des Bundestages der SPD-Fraktion vom 9.Mai 2000
9.) Aus: Andritzky, Walter: Alternative Gesundheitskultur, Eine Bestandaufnahme mit Teilnehmerbefragung, Forschungsberichte zur Transkulturellen Medizin und Psychotherapie, Verlag für Wissenschaft und Bildung, Berlin 1997

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