Elektrosmog Report
Nr. 11 / 2. Jahrgang November 1996 
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Tierexperimentelle Forschung
Dosis-Wirkungs-Beziehung bei der Krebspromotion

Zwischen dem Umfang der Exposition gegenüber niederfrequenten Magnetfeldern und der Zunahme des Tumorbefalls bei Ratten nach Gabe des chemischen Karzinogens DMBA besteht eine Dosis-Wirkungs-Beziehung im Bereich zwischen 1 und 100 Mikrotesla. Das sind Forschungsergebnisse der Arbeitsgruppe um Dr. Meike Mevissen und Prof. Wolfgang Löscher von der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Hohe Dosen von 50 bzw. 100 µT gingen mit einer signifikanten Krebszunahme um 25 bzw. 50% einher, während niedrige Dosen zu keiner oder nur zu einer nichtsignifikanten Zunahme der Tumorhäufigkeit führten.

In der Fachzeitschrift "Carcinogenesis" präsentierten Mevissen und Kollegen ihre jüngsten Ergebnisse tierexperimenteller Untersuchungen über den krebsfördernden Effekt magnetischer 50-Hz-Felder. Es wird heute überwiegend davon ausgegangen, daß elektromagnetische Felder selbst keine Schädigungen der Erbsubstanz und damit auch keinen Krebs verursachen, selbst also nicht karzinogen sind. Es gibt jedoch Hinweise, daß Magnetfelder die Krebsentstehung bei gleichzeitiger Einwirkung von krebsverursachenden Umwelteinflüssen fördern können, also krebspromovierend bzw. -copromovierend sind. So liegen Untersuchungen von Beniashvili und Kollegen (1991) vor, nach denen ein 50-Hz-Feld im µT-Bereich das Wachstum und das Fortschreiten von Brustkrebs bei weiblichen Ratten, die mit dem chemischen Karzinogen NMU (Nitrosomethylurea) behandelt worden sind, fördern kann.

Methodik

Die Arbeitsgruppe aus Hannover untersuchte in den vergangen Jahren den Einfluß einer 13wöchigen Exposition mit magnetischen 50-Hz-Feldern unterschiedlicher Flußdichten auf das Brustkrebswachstum von weiblichen Ratten, die mit dem chemischen Karzinogen DMBA (7,12-Dimethylbenz(a)anthrazen) behandelt worden waren (vgl. Elektrosmog-Report 1 (1), S. 5-6, 1995). Die verwendeten Flußdichten bewegten sich unter oder am gesetzlichen Grenzwert für die Allgemeinbevölkerung von 100 µT. Parallel dazu wurden verschiedene Parameter erhoben, die Aufschlüsse über Wirkungsmechanismen geben sollen, die nächtliche Melatonin-Konzentration im Serum, die ODC-Aktivität (Ornithindecarboxylase) und die Funktion der T-Lymphozyten.

Ergebnisse

In bereits publizierten Studien war eine Beschleunigung des Tumorwachstums und eine signifikante Zunahme der tumorbefallenen Tiere (Tumorinzidenz) um 50% bei Exposition mit 100 µT aufgefallen. Bei Exposition mit 0,3 bis 1 µT fand sich demgegenüber keine Veränderung gegenüber den scheinexponierten Kontrollen. In einer weiteren Untersuchung mit 10 µT fand sich eine Tendenz zu einem verstärkten Tumorwachstum, ohne daß der Unterschied zur Kontrollgruppe jedoch statistisch signifikant war. In der jetzt veröffentlichten Studie war eine Flußdichte von 50 µT verwendet worden. Hier fand sich eine signifikante Zunahme der Tumorinzidenz, die allerdings geringer ausfiel als bei der früheren Untersuchung mit 100 µT.

Abb.: Zunahme der tumortragenden Tiere (Tumorinzidenz) bei DMBA-behandelten Ratten in Abhängigkeit von der magnetischen Flußdichte nach 13wöchiger Magnetfeldexposition gegenüber scheinexponierten Kontrollen. Die Daten basieren auf Studienergebnissen mit insgesamt 333 scheinexponierten und 333 EMF-exponierten Tieren aus allen bisherigen Versuchen.

55 von 99 DMBA-behandelten Ratten, die nicht EMF-exponiert waren, entwickelten innerhalb von 13 Wochen Tumoren; demgegenüber entwickelten 67 von 99 DMBA-behandelten Ratten, die zusätzlich EMF-exponiert (50 Hz, 50 T, 24 Stunden pro Tag) einen Tumor. Dies entspricht einer Zunahme der Tumorhäufigkeit um 25,5%. Die ersten Tumoren wuchsen in der EMF-exponierten Gruppe schneller als in der Vergleichsgruppe. Der Größenunterschied war in der 7. Woche signifikant. Die Zahl der Tumoren pro tumortragendem Tier war in der EMF-exponierten tendenziell größer mit einem signifikanten Unterschied in der 12. Woche. Die EMF-exponierten Ratten wiesen insgesamt 193 Tumoren auf gegenüber 139 Tumoren in der Kontrollgruppe.

Auffällig war, daß der Unterschied in der Tumorinzidenz zwischen den beiden Gruppen nach 8 Wochen wesentlich größer war (über 100%) als nach Ablauf der gesamten Untersuchungsperiode. Ein ähnliches Resultat war bereits in der Studie mit 100 µT ermittelt worden.

Weitere Befunde: Eine Senkung der nächtlichen Melatoninkonzentration wurde im Gegensatz zu früheren Untersuchungen bei 50 µT nicht gefunden. Die T-Lymphozyten-Proliferation nach Stimulation mit einem zellteilungsfördernden Mittel (Con A) war bei Zellen von EMF-exponierten Tieren im Vergleich zu den Kontrollen vermindert.

Diskussion

Die Autoren weisen daraufhin, daß die Ergebnisse der mit vier unterschiedlichen magnetischen Flußdichten durchgeführten Experimente eine hochsignifikante Dosisabhängigkeit des krebsfördernden Effektes von niederfrequenten Magnetfeldern nahelegen (p in der linearen Regressionsanalyse < 0,01).

Die Beobachtung, daß nach achtwöchiger Exposition ein stärkerer Unterschied in der Tumorhäufigkeit auftrat als nach 13 Wochen, könne ein Anzeichen dafür sein, daß Magnetfeldeffekte deutlicher zu Tage träten, wenn die Dosis des chemischen Karzinogens (DMBA) verringert würde. Dieser Frage solle nach Ansicht der Autoren nachgegangen werden. Ein solcher Effekt der Kaschierung des Einflusses von Magnetfeldern durch zu hohe Dosen des chemischen Giftes war Sluchy und Mitarbeitern bei einem Hautkrebsmodell an Mäusen aufgefallen, wie die Arbeitsgruppe auf der diesjährigen BEMS-Tagung berichtete.

Ein weiterer Aspekt, der näher untersucht werden solle, ergibt sich aus folgender Beobachtung: In einer früheren Untersuchung war unter EMF-Exposition (50 µT) eine Zunahme der Aktivität des Enzyms Ornithindecarboxylase (ODC) aufgefallen - Tumorpromotion wird häufig begleitet von einer Zunahme der ODC-Aktivität -, und zwar im Brustgewebe und nicht in anderen. Das lasse vermuten, daß EMF auf bestimmte Gewebe stärker einwirke als auf andere. EMF-Exposition vor der Gabe eines Karzinogens wie DMBA könnte daher eventuell auch zu einer Zunahme der Tumorhäufigkeit führen.

Sowohl die Tumorpromotion bei DMBA-behandelten Ratten als auch die Zunahme der ODC-Aktivität könne erklärt werden durch eine Verminderung der nächtlichen Melatonin-Konzentration, wie sie nach EMF-Exposition bei früheren Untersuchungen aufgetreten war. Allerdings konnte in der vorliegenden Studie kein Unterschied in der nächtlichen Melatoninkonzentration zwischen EMF-exponierten und scheinexponierten Tieren gefunden werden. Möglicherweise seien Jahreszeit, Alter der Tiere und endogene Ansprechbarkeit auf Magnetfelder die Ursache für solch variable Ergebnisse. Zudem hätte die Länge der Exposition von 13 Wochen möglicherweise zu einer Anpassung des Organismus (Adaptation) der Tiere hinsichtlich der Beeinflussung der Melatoninsynthese geführt. Es sei auch fraglich, ob die alleinige Betrachtung des nächtlichen Melatonin-Spitzenwertes einen hinreichenden Aufschluß über eine eventuelle Beeinträchtigung des Melatoninstoffwechsels geben könne.

Ein weiterer Erklärungsansatz wurde auf der jüngsten BEMS-Tagung präsentiert: Ein niederfrequentes Magnetfeld könne nicht nur die nächtliche Melatoninfreisetzung vermindern, sondern auch ohne eine Konzentrationsabnahme die Wirkung von Melatonin auf Tumorzellen vermindern. So ist bekannt, daß Melatonin die Teilungsrate von bestimmten Brustkrebszellen (MCF-7) vermindern kann. Von mehreren Arbeitsgruppen (Harland und Liburdy, Blackman und Mitarbeiter, Luben und Mitarbeiter) konnte gezeigt werden, daß dieser tumorhemmende Effekt des Melatonins durch niederfrequente Wechselfelder beeinträchtigt werden kann.

Von Mevissen und Kollegen wurde auch eine Beeinträchtigung der Funktion der T-Lymphozyten, bestimmten Zellen des Immunsystems, durch die verwendeten Felder beobachtet. In früheren Studien konnte bereits nachgewiesen werden, daß eine Beeinträchtigung des Immunsystems das Tumorwachstum im DMBA-Brustkebsmodell erleichtern kann. Bei der Frage, ob Magnetfelder zu einer Beeinträchtigung von Immunfunktionen beitragen, spiele möglicherweise die Zeitdauer der Exposition eine Rolle, da eine italienische Arbeitsgruppe (Conti und Mitarbeiter) bei kurzzeitiger MF-Exposition eine Aktivierung von Immunzellen (in vitro) festgestellt hatten. Es werden daher zur Zeit Studien durchgeführt, um den Einfluß der Zeitdauer der Exposition auf Immunfunktionen (B- und T-Zellaktivierung, Interleukinkonzentration, kalziumgesteuerte Signalübertragung) zu untersuchen.

Insgesamt bleibt festzuhalten, daß die von Mevissen und Kollegen vorgelegten Befunde erstmals eine klare Beziehung zwischen beschleunigtem Tumorwachstum und der Flußdichte von Magnetfeldern darlegen, dies in einer hoch signifikanten Dosis-Wirkungs-Abhängigkeit und bei Magnetfeldstärken unterhalb der internationalen Grenzwertempfehlungen. Sollten sich diese Ergebnisse auch bei anderen Forschungsgruppen weiter erhärten, so wird ICNIRP nicht um die Senkung ihrer Grenzwerte herumkommen. Sollte der Mechanismus der EMF-Wirkung auf lebendige Organismen auf der Induktion von Strömen basieren, so dürften zudem beim Menschen geringere Ströme als bei Nagetieren zu biologischen Effekten führen.

Quellen:

  1. Mevissen, M., Lerchl, A., Szamel, M., Löscher, W.: Exposure of DMBA-treated female rats in a 50-Hz, 50 MikroTesla magnetic field: effects on mammary tumor growth, melatonin levels, and T lymphocyte activation. Carcinogenesis 17, 903-910 (1996).
  2. Abstract Book. Eighteenth Annual Meeting of the Bioelectromagnetics Society, Victoria, Canada, June 9-14, 1996.
 
 
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Meinungen und Stellungnahmen
Weitere EMF-Forschung überflüssig?

Prof. W. Irnich von der Universität Gießen berichtete im Newsletter der Forschungsgemeinschaft Funk von der Tagung der BEMS (Bioelectromagnetics Society) vom Juni 1996 und stellt in seinem Fazit die Frage, ob man nicht auf weitere EMF-Forschung verzichten solle. Im Gegensatz dazu warnen die Präsidenten der BEMS, der wichtigsten wissenschaftlichen Gesellschaft im Gebiet der EMF-Forschung, in einem Schreiben an die Mitglieder des amerikanischen Kongresses angesichts der ungeklärten Fragen vor einer Verminderung der Forschungsanstrengungen.

Irnich schätzt das bisherige weltweite Volumen der EMF-Forschung auf insgesamt 180 Mio. Mark und den deutschen Beitrag auf etwa 7,5 Mio. Er schließt seine Ausführungen mit den Worten: "Sollte diese Zahl nicht gänzlich falsch sein, kann man mit Recht jenen widersprechen, die postulieren, auf diesem Gebiet würde zu wenig getan, sprich finanziert. Im Gegenteil, es ist schon erstaunlich, wie eine Fragestellung Geldquellen erschließen konnte, ohne bis heute einen Beitrag zur Krebsbekämpfung geleistet zu haben. Dies läßt die ketzerische Frage aufkommen, ob es nicht besser wäre, das knappe Geld in die Krebsforschung direkt zu investieren, um so durch therapeutische Fortschritte der Menschheit zu helfen."

Es bleibt unklar was mit "direkter Krebsforschung" gemeint ist, aber Irnich drückt sicherlich die Meinung jener aus, die Hinweise auf gesundheitliche Beeinträchtigungen durch EMF weitgehend ignorieren bzw. ignorieren wollen.

Die Einschätzung, es handle sich bei den genannten Zahlen um einen großen Forschungsaufwand, relativiert sich allerdings schnell: Der gesamte deutsche Forschungsbeitrag der vergangenen Jahre von 7,5 Mio. Mark wäre bereits finanziert durch 1,50 Mark pro heute auf dem deutschen Mark befindlichen Handy. Die Anzahl der Handys in Deutschland (ca. 4,5 Mio.) wird sich bis zum Jahre 2000 mehr als verdoppeln. Der Mobiltelefonmarkt stellt dabei nur einen Ausschnitt aus dem rapide expandierenden Elektronikmarkt dar. Man darf umgekehrt fragen, ob angesichts der Komplexität der wissenschaftlichen Fragestellungen und dem gegenwärtigen Forschungsstand ein Wissenschaftler ernst genommen werden kann, der die Ansicht vertritt, 7,5 Millionen Mark sei - auch im Vergleich mit anderen Forschungsgebieten - ein erheblicher Forschungsaufwand und es sei nun genug geforscht.

Der nachfolgende Brief der Präsidenten der BEMS (Kjell Hansson Mild, Präsident 1995-1996; Richard Luben, Präsident 1996-1997; Martin Blank, Gewählter Präsident 1997-1998) drückt eine besorgte Haltung über eine eventuelle Abnahme der Forschungsanstrengungen im EMF-Bereich aus. Er wurde an alle Mitglieder des amerikanischen Kongresses geschickt:

"Die öffentliche Sorge über mögliche gesundheitliche Beziehungen zwischen der Exposition gegenüber elektrischen und magnetischen Feldern und Erkrankungen wie Kinderleukämie, Brustkrebs und Alzheimer'sche Erkrankung nimmt weiter zu. Zur gleichen Zeit wächst rasch die tägliche Belastung der Öffentlichkeit durch elektrische und magnetische Felder aufgrund neuer Informations- und Kommunikationstechnologien, größerem Stromverbrauch und neuen medizinischen Anwendungsformen mit elektrischen und magnetischen Feldern. Als Leiter der größten internationalen wissenschaftlichen Gesellschaft, die biologische Effekte von elektrischen und magnetischen Feldern untersucht, sind wir beunruhigt über eine Abnahme der Forschung in diesem Bereich, zum Teil aufgrund von öffentlichen Erklärungen von jenen, von denen wir denken, daß ihnen der erforderliche multidisziplinäre Sachverstand fehlt.

Die biologischen Prozesse, die in menschliche Erkrankungen involviert sind, sind komplex und besitzen viele Facetten. Darüber hinaus sind elektrische und magnetische Felder im Gegensatz zu vielen anderen Umweltfaktoren nicht durch eine einzelne Größe charakterisiert, sondern beziehen viele verschiedene Faktoren mit ein. Geeignete Annäherungen an solch komplexe wissenschaftliche Fragestellungen können nur durch eine multidisziplinäre Zusammenarbeit von Biologen, Ärzten, Ingenieuren und Biophysikern erzielt werden. Eine Fülle veröffentlichter, überprüfter wissenschaftlicher Befunde deuten daraufhin, daß verschiedene Kombinationen von elektrischen und magnetischen Feldern konsistent sowohl biologische Systeme im lebenden Organismus als auch im Laboratorium beeinflussen. Dazu zählen:

Es gibt ein Potential für nützliche Effekte durch diese Felder, sowie die Möglichkeit von schädlichen Konsequenzen für die öffentliche Gesundheit. Das Verständnis ihrer biologischen Wirkungen kann uns in die Lage versetzen, die nützlichen Effekte zu mehren und die möglichen Gefahren zu mindern. Aber diese Prozesse können ohne weitere Forschung nicht gut verstanden werden.

In den vergangenen 20 Jahren wurden erhebliche Fortschritte in der Erforschung dieses Gebietes gemacht. Das Programm wurde erst in jüngerer Zeit bis zu einem kritischen Umfang von interdisziplinären Anstrengungen mit Beteiligung vieler Forschungseinrichtungen ausgeweitet, welches nach unserer Ansicht fortgeführt werden muß. In diesem weiterhin Neues zu Tage fördernden Gebiet der wissenschaftlichen Forschung sind Kontroversen über berichtete Ergebnisse ein natürlicher und gesunder Teil des wissenschaftlichen Fortschritts. Solche Kontroversen sollten nicht die Basis für die Einstellung von Forschungsprogrammen sein, bevor die wichtigen Fragen schlüssig beantwortet sind (...)

Die öffentliche Besorgnis kann nur vermindert werden, wenn die Themen und Fragen durch sorgfältige Forschung gelöst sind. Wir bitten Sie, diese Betrachtungen miteinzubeziehen, wenn Sie Entscheidungen über die zukünftige Forschung zu Wirkungen elektrischer und magnetischer Felder treffen."

EMF-Forschung ist vermutlich auch ein Stück Krebsforschung. Vorbeugen ist hier sicherlich nicht nur in Hinsicht auf Krebserkrankungen besser als heilen.

Franjo Grotenhermen, Redaktion Elektrosmog-Report

Quellen:

  1. Bioelectromagnetics Society: Two Statements. Microwave News 16 (4), S. 9 (1996).
  2. Irnich, W.: BEMS 1996: Amerikanische Untersuchungen dominieren. Newsletter 4 (4), S. 20-23 (1996).
 
 
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Veranstaltungsbericht
BUND-Journalistenforum Elektrosmog

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) veranstaltete sein diesjähriges Journalistenforum im Rahmen der ÖKOMEDIA´96 zum Thema Elektrosmog. Knapp 40 Journalisten folgten der Einladung, um sich über den aktuellen Diskussionsstand zu informieren.

In seinem Einführungsreferat wies Erhard Schulz (BUND) auf die zunehmende Bedeutung des Themas Elektrosmog hin. Bereits heute sind laut Schulz 1 % der Fläche Deutschlands mit Hochspannungs- und Bahnleitungen sowie Sendern bedeckt. Immer neue HF-Systeme sind für die nahe Zukunft geplant. Ob Verkehrsleitsysteme, Autobahn-Vignetten oder neue Datennetze, nichts geht mehr ohne Hochfrequenzkommunikation.

Prof. Günther Käs (Universität der Bundeswehr München, Neubiberg) legte dar, daß die heute üblichen EMF-Grundbelastungen bereits Effekte auf die Kalzium-Ionen-Konzentration im Organismus ausüben können. So liegt die niedrigste Reaktionsschwelle des Organismus bei einer elektrischen Feldstärke von 3,8 mV/m bzw. 10-9 mW/cm2. Genau diese Feldstärken sind aber flächendeckend für jedes einzelne Radio- und Fernsehprogramm notwendig, um überall einen Empfang sicherzustellen.

Das Thema der gesundheitlichen Auswirkungen von EMF wird laut Käs u. a. deshalb immer noch so kontrovers geführt, weil mögliche synergistische Aspekte und lange Latenzzeiten in den wissenschaftlichen Studien meist unberücksichtigt blieben.

Die derzeitigen Grenzwerte würden den möglichen Gefahren nicht gerecht. Dies sei um so bedauerlicher, als daß die Belastung durch intelligente Gerätetechnik deutlich reduziert werden könnte.

Werner Röhrkasten (Wandel und Goltermann Reutlingen) zeigte Elektrosmog-Meßgeräte der Firma Wandel und Goltermann, die zu den weltführenden Unternehmen in diesem Sektor gehört. Als praktische Anwendung wurden die Feldstärken von Mobiltelefonen und Bildschirmen in verschiedenen Abständen gemessen. Die Messung von Feldstärken im Bereich von 30 GHz (zukünftiger Satellitenfunk) bereitet meßtechnisch noch Probleme.

Dr. Ulrich Warnke (Universität Saarbrücken) übte grundlegende Kritik an den internationalen Gremien und ihren Wirkungsmodellen. Die Gremien seien vorwiegend mit Elektrotechnikern besetzt. Mediziner und Biologen fehlten fast vollkommen und insbesondere solche mit speziellen Fachkenntnissen. Die international (und national) verwendeten Größen zur Abschätzung des biologischen EMF-Risikos - induzierte Stromdichte und absorbierte Strahlungsenergie - seien ungeeignet, um die tatsächlichen biologischen und gesundheitlichen Effekte vergleichsweise schwacher EMF zu erfassen. Viel wichtiger seien mögliche Resonanzen mit den zahlreichen Oszillatoren im Körper. Elektromagnetische Biofelder steuerten praktisch alle Körperfunktionen.

Als Beispiel führte Warnke die neuen Polizeiradargeräte an, die bei Frequenzen zwischen 10 und 20 GHz arbeiten und damit bereits im Bereich der Enzymanregung liegen.

Interessant waren Warnkes Ausführungen zu der Bedeutung von EMF bei Tieren. EMF spielt bei der Koordination im Vogelflug eine wichtige Rolle, Bienen kommunizieren über EMF und spüren EMF-Veränderungen in der Atmosphäre, die sie z. B. vor Gewittern warnen. Wespen weisen im Körper "Antennen" auf, mit denen sie HF-Strahlung bündeln können. Auch im menschlichen Körper könne es zu Bündelungen/Verstärkungen, stehenden Wellen und Spitzeneffekten an Gewebeübergängen kommen. Durch solche Effekte können auch sehr schwache äußere Felder u. U. Wirkungen im Körper entfalten.

Warnke faßte die Ergebnisse der epidemiologischen Studien zusammen. Für Kinder müsse ab 0,2 µT von einem relativen Risiko von 1,5 bis 3 für Leukämie ausgegangen werden. Einzelne Studien zeigen für Belastungen ab 0,5 µT sogar ein relatives Risiko von 5. Als grundsätzliches Problem epidemiologischer Studien sieht Warnke, daß es in unserer hochelektrifizierten Welt keine unbelasteten Kontrollgruppen mehr gäbe. Hinzu komme, daß praktisch nirgendwo mehr saubere 50-Hz-Felder vorkämen, sondern der Feldverlauf durch Phasenanschnitte und Transienten stets höherfrequente Anteile enthielte, die weder von den Grenzwerten noch von Tierversuchen mit 50-Hz-Feldern adäquat erfaßt würden.

Zum Schluß präsentierte Warnke die von ihm favorisierten EMF-Wirkungsmodelle. Wichtig sei vor allem die Unterdrückung des Hormons Melatonin durch nächtlich einwirkende EMF. Melatonin ist ein Schlüsselhormon, das sich bereits in den frühestens Lebewesen fand und eine Vielzahl anderer Hormone, so z. B. auch das eigentliche Schlafhormon Vasotossin, steuert. Als fett- und wasserlösliches Hormon gelangt Melatonin an alle Stellen des Körpers. Eine Unterdrückung der nächtlichen Melatoninausschüttung kann Folgen auf die Regeneration, das Immunsystem und die Antioxidanz (Abfangen von Radikalen) haben (vgl. auch Elektrosmog-Report 2(2), S. 5-7, 1996). Hiermit seien u. U. die oft berichteten Wirkungen schwacher Felder wie Ermüdung, Erschöpfung, Depressionen und Krebs(ko)promotion zu erklären.

Die Einwirkung von HF-Strahlung kann über Resonanzeffekte die Lebensdauer und daher die Wirkung freier Radikale erhöhen. Insgesamt skizzierte Warnke folgendes Wirkbild: Infolge der zunehmenden Umweltbelastungen (UV-Strahlung, Ozon, industriell produzierte Lebensmittel etc.) nehmen wir heute mehr freie Radikale auf als früher. Infolge zunehmender HF-Strahlung würde die Wirkung der Radikale verstärkt und schließlich könne das vermindert ausgeschüttete Melatonin weniger Radikale abfangen.

"Beide Faktoren zusammen ergeben theoretisch die ganze Kaskade der heute diskutierten Störungen, Gefährdungen, Schädigungen (Tumorpromotion, Erschöpfung, Alzheimer). Die Kausalität muß in vivo-Versuchen noch endgültig bewiesen werden."

Dr. Meike Mevissen (Tierärztliche Hochschule Hannover) stellte den aktuellen Stand in Bezug auf EMF und Krebs anhand der Ergebnisse von Tierversuchen vor. Maligne Tumoren stellen heute mit 25 % die zweithäufigste Todesursache nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen (50 %) dar. In epidemiologischen Studien der letzten 15 Jahre seien wiederholt Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen EMF und Kinderleukämie und Brustkrebs gefunden worden. Ein Zusammenhang mit Hirntumoren sei dagegen unsicherer, was allerdings auch an den gegenüber den Latenzzeiten zu kurzen Untersuchungszeiträumen liegen könne.

Die meisten Wissenschaftler gehen heute davon aus, daß niederfrequente EMF keine gentoxische Wirkung besitzen, also keinen Krebs auslösen können. Dafür würde aber ein Enfluß der Felder auf die Reparaturmechanismen, die Krebspromotion und -progression diskutiert.

Um die Hinweise aus epidemiologischen Studien nachvollziehen und evtl. Wirkungsmechanismen aufdecken zu können, sind weltweit eine Vielzahl von Tierversuchen, insbesondere bei 50 und 60 Hz durchgeführt worden. Dahinter steht das Wissen, daß 85 % der Substanzen, die beim Menschen Krebs auslösen, dies auch bei Nagetieren tun. Die meisten Tierversuche zeigen, zum Teil allerdings bei relativ hohen Feldstärken, eine erhöhte Tumorinzidenz bei Anwesenheit von EMF.

Mevissen stellte ausführlich die von Prof. Löscher und ihr in Hannover durchgeführten Ratten-Brustkrebs-Experimente vor, die weltweit Aufsehen erregt haben und deren Ergebnisse gerade reproduziert werden konnten (vgl. auch Fachartikel in dieser Ausgabe). Anlaß für die Experimente waren Befunde über erhöhte Brustkrebsraten bei beruflich exponierten Männern, ansteigende Brustkrebszahlen bei Frauen in der westlichen Welt sowie Hinweise auf eine erhöhte Brustkrebsrate bei Frauen, die in der Umgebung von Hochspannungsleitungen wohnen.

In Hannover wurde Ratten in einem Standardkrebsmodell das Karzinogen DMBA in einer Dosis injiziert, die durchschnittlich bei 50 % der Ratten Brustkrebs auslöst. In einem Doppelblindversuch wurde ein Teil der Ratten Tag und Nacht zusätzlich mit Feldern der Stärke 0,3 bis 1, 10, 50 und 100 µT exponiert. Es zeigte sich eine lineare Zunahme der Tumorinzidenzen in Abhängigkeit von der magnetischen Feldstärke: In der untersten Expositionsgruppe gab es keine Erhöhung, bei 50 µT eine Erhöhung um 25 % und bei 100 T um 50 %.

Als mögliche Erklärung führte Mevissen die Melatoninhypothese an. Zudem gebe es Hinweise darauf, daß die Magnetfelder direkt auf die Brustdrüse einwirken und nicht nur indirekt über die verminderte Melatoninausschüttung. Schließlich wurde bei den exponierten Ratten auch noch eine Hemmung der T-Zellen-Aktivität und damit der Immunabwehr festgestellt.

Insgesamt zeigen die Experimente bei Magnetfeldstärken unterhalb der internationalen Grenzwertempfehlungen ein erhöhtes Risiko zur Brustkrebsentwicklung, eine Verkürzung der Latenzzeiten und ein beschleunigtes Tumorwachstum. Die Ergebnisse legen nahe, daß die Risikoerhöhung vor allem für hormonabhängige Tumoren gelte und die verschiedenen Organe unterschiedlich sensibel auf die MF-Einwirkung reagierten. Eine Schwellendosis für den Effekt sei noch nicht bekannt.

Die Mevissen/Löscher-Arbeiten werden finanziell unterstützt von der Berufsgenossenschaft Feinmechanik und Elektrotechnik, dem Bundesumweltministerium und dem US-Departement of Energy (DOE).

Bernd Rainer Müller (BUND) stellte unter dem Motto "Kein Schutz durch die geplante Elektrosmogverordnung" Kritik und Forderungen des BUND zur Diskussion (vgl. Elektrosmog-Report 1(7), S. 5-7, 1995). Hierbei ging es vor allem um den grundsätzlich falschen Ansatz der Verordnung, der sich vom Arbeitsschutz ableite, und neue Forschungsergebnisse und Wirkungsmodelle außer acht lasse. Es fehle ein Minimierungsgebot und eine besondere Berücksichtigung von Risikogruppen (Kinder und Jugendliche) und Ruhebereichen sowie Nachtzeiten. Während in der Verordnung lediglich die Signalstärke Berücksichtigung fände, müsse nach aktueller Erkenntnislage vor allem auch der Signalform Bedeutung beigemessen werden. Schließlich wandte sich Müller gegen die vielen Ausnahmeregelungen der Verordnung und forderte, daß z. B. alle Sendeanlagen von der Verordnung erfaßt werden müßten und nicht die öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehsender ausgenommen werden dürften.

Die endgültige Verabschiedung der Elektrosmogverordnung durch den Bundesrat hat sich immer wieder verzögert und. Nun soll am 8.11. eine sbschließende Beratung im Bundestagsausschuß und am 29.11 die Verabschiedung erfolgen. Hauptgrund für die Verzögerung waren Einwände verschiedener Bundesländer, die die Verankerung eines Minimierungsgebots in die Verordnung verlangen. Es ist nicht bekannt, ob zur Verabschiedung eine überarbeitete Fassung vorliegt.

Das Abschlußreferat hielt Michael Karus (nova-Institut Hürth/Köln) über Vorsorge- und Minimierungsmaßnahmen (vgl. Elektrosmog-Report 1(6), S. 5-7, 1995 und 2(5), S. 7-11, 1996). Karus wies insbesondere die große Diskrepanz zwischen immer deutlicheren Hinweisen auf Gesundheitsgefahren durch EMF sowie vielen wenig aufwendigen Minimierungsmaßnahmen auf der einen Seite hin und dem fast vollkommenen Ignorieren dieser Möglichkeiten von Seiten der Politik und Industrieverbänden auf der anderen Seite. Das es anders geht, zeigen innovative Hersteller, die strahlungsminimierte Geräte auf den Markt bringen, wie z. B. im Bereich der Mobiltelefone (Elektrosmog-Report 2(10), S. 5-6, 1996). Karus kritisierte die Forschungspolitik. Die möglichen Erkenntnisgewinne seien maßgeblich davon bestimmt, welche Projekte überhaupt gefördert würden. So würde viel Geld für Untersuchungen der Beeinflussung des EEG´s durch kurzzeitige Einwirkung von Mobilfunk-Strahlung ausgegeben, obwohl - unabhängig davon, was dabei gefunden wird - dies praktisch keine Aussagen über mögliche Gesundheitsgefahren zuläßt. Naheliegende epidemiologische Studien über die Auswirkungen von Fernseh- und Rundfunksendern oder auch Mobiltelefone auf Anwohner bzw. Nutzer, die seit Jahren gefordert werden, werden dagegen nicht gefördert. Hierdurch würden eventuelle Effekte von HF-Strahlung und insbesondere modulierter und gepulster HF-Strahlung unnötig lange im Dunkeln gehalten.
 
 
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Verbraucherinformation

Magnetfelder durch elektrische Lattenrostantriebe

Elektrisch verstellbare Lattenroste können am Schlafplatz für beträchtliche magnetische und elektrische Felder sorgen. Nach Messungen von Werner Schaper, Verbraucherzentrale Hamburg, kann es im Bett zu Belastungen von bis zu 30 T kommen, wobei die Felder bei einer Vielzahl von Modellen auch vorhanden sind, wenn der Elektromotor nicht in Betrieb ist. Dies resultiert daraus, daß der Speisetransformator die 230-V-Netzspannung auch dann auf 24 Volt herunterspannt, wenn der Motor nicht benutzt wird.

Schätzungen nach treten bei 80 % aller elektrisch verstellbarer Lattenroste erhöhte magnetische und elektrische Felder auf. Die Felder wirken über die gesamte Schlaf- und Regenerationsphase auf den Menschen ein. Kritische Wissenschaftler vom ECOLOG- und nova-Institut empfehlen, daß in der Schlafzeit die Magnetfeldbelastung unterhalb von ca. 0,2 bis 0,3 µT liegen sollte. Diese Werte können in Betten mit verstellbaren Lattenrosten bis zum Faktor 100 übertroffen werden. Eventuell sind immer wieder zu hörende Klagen über Schlafstörungen u. a. auf diese Felder zurückzuführen.

Seit wenigen Jahren bieten Hersteller elektrische Lattenrostantriebe mit integriertem Netzfreischalter an, der, wenn der Elektromotor nicht benötigt wird, die Spannung und damit auch die Felder wegschaltet. Aber auch hier gibt es Unterschiede. Manche Modelle schalten zwar den Haupttransformator aus, verwenden hierzu aber einen "Stand-by-Trafo". Dadurch werden zwar die Magnetfelder stark reduziert, es bleiben jedoch elektrische Felder in der Größenordnung von 50 V/m bestehen. Durch die verbleibenden, teilweise nicht unerheblichen Leckströme werden zudem übergeordnete Netzfreischalter blockiert. Optimal sind netzunabhängige Freischalter, bei denen die Hilfsspannung von einem geladenen Kondensator, Akku oder Batterie bereitgestellt wird und die den Speisetransformator per mechanischem Relais zweipolig abschalten. Solche Systeme stellen sicher, daß der Schlafplatz auch mit elektrisch verstellbaren Lattenrostantrieben frei von zusätzlichen elektrischen und magnetischen Feldern bleibt.


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