Elektrosmog Report
Nr. 2 / 2. Jahrgang Februar 1996 
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Angriffspunkte von EMF
Melatonin

Das von der Zirbeldrüse (= Epiphyse, Pinealorgan) produzierte Neurohormon Melatonin spielt möglicherweise eine Schlüsselrolle bei den durch niederfrequente elektromagnetische Felder ausgelösten biologischen Wirkungen. In mehreren Studien wurde bei verschiedenen Tierarten eine Hemmung des physiologisch starken Anstiegs der Melatoninkonzentration während der Nacht durch exogene EMF ermittelt. Jüngere Forschungsergebnisse weisen dem Hormon eine größere Bedeutung für menschliche Gesundheit und Wohlbefinden zu als bisher angenommen. In den USA findet ein dort frei verkäufliches Melatoninpräparat, dem vielfältige Wirkungen nachgesagt werden, reißenden Absatz. Fernsehsendungen (SAT 1, ARD) griffen Ende 1995 die Diskussion um das neue "Wundermittel" auf.

Melatonin wurde seit etwa März 1995 auch in Deutschland angeboten (60 Kapseln à 2,5 mg für 20 bis 30 DM). Seit einer Initiative des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin im Oktober 1995 dürfen nur noch Apotheken das Präparat auf Einzelanforderung aus dem Ausland importieren.

Die Funktion der Zirbeldrüse und ihres wichtigsten Hormons, dem Melatonin, wurde lange Zeit von den Ärzten weitgehend ignoriert. In den letzten 25 Jahren führten erhebliche Fortschritte im Verständnis der Biochemie und Physiologie der Epiphyse zu einer Neubewertung. Die zwei wichtigsten physiologischen Funktionen stellen innere Zeitgeberaufgaben dar, die Beeinflussung des Tag-Nacht-Rhythmus und die Induzierung jahreszeitlicher Reaktionen auf die veränderte Tageslänge, etwa die Beeinflussung der Paarungsbereitschaft oder des Pelzwuchses bei Tieren. Melatonin wirkt auf den Hypothalamus, ein Teil des Zwischenhirns, der - z. B. durch die Ausschüttung sogenannter Releasing- (= Freisetzungs-) Hormone - eine übergeordnetes Regulationszentrum für verschiedene Körperfunktionen (Wärmeregulation, Schlaf-/Wachrhythmus, Fettstoffwechsel, Sexualfunktion etc.) darstellt.

Synthese und Sekretion von Melatonin in der Zirbeldrüse wird unabhängig vom Schlaf vor allem durch Licht und Dunkelheit gesteuert. Die nächtlichen Serumkonzentrationen liegen beim jungen Erwachsenen bei ca. 50-100 pg/ml gegenüber 10-20 pg/ml am Tag. Durch Nervenverbindungen ist das etwa erbsengroße Pinealorgan an der Gehirnbasis funktionell mit der lichtempfindlichen Netzhaut des Auges verbunden. Bei Blinden ist der Tag-Nacht-Rhythmus oft gestört. Nächtlicher Lichteinfall auf die Netzhaut führt innerhalb weniger Minuten zu einem deutlichen Abfall der Melatoninkonzentration. Daneben bestehen neuronale Kontakte zum peripheren sympathischen und zum zentralen Nervensystem. Ausgangsprodukt der Biosynthese des Hormons ist die essentielle Aminosäure Tryptophan, die von den Zellen der Epiphyse aus dem Blut aufgenommen wird. Über die Zwischenstufen 5-Hydroxytryptophan, Serotonin (= 5-Hydroxytryptamin) und N-Acetylserotonin wird schließlich Melatonin (= N-acetyl-5-methoxytryptamin) gebildet. Das lipophile Endprodukt wird in die Blutbahn abgegeben und dringt leicht in alle Zellen ein.

Melatonin besitzt offenbar spezifische Bindungsstellen (Rezeptoren) auf der Membran einiger Zellen und im Zellkern aller Zellen, so daß es einerseits wie ein Neurotransmitter (Übermittler nervöser Erregungen, wie z. B. Adrenalin) auf die Zellmembran und anderseits wie ein Steroidhormon (wie z. B. Cortison, Sexualhormone) auf den Zellkern wirkt.

Der Melatonin-Rhythmus kann auch durch elektromagnetische Strahlung mit Wellenlängen außerhalb des sichtbaren Bereichs beeinflußt werden, durch nicht sichtbare ultraviolette Strahlung, niederfrequente elektromagnetische Felder sowie gepulste statische Magnetfelder. Reduzierungen des nächtlichen Melatoninanstiegs wurden bei Tieren zum Teil bereits bei Feldstärken ermittelt, denen Menschen im Alltag ausgesetzt sein können. Löscher und Mevissen (1995) setzten Ratten drei Monate magnetischen 50-Hz-Wechselfeldern von 0,3-100 T aus und fanden bei magnetfeldexponierten Tieren bereits bei 0,3 bis 1,0 µT signifikant niedrigere Melatoninwerte während der Dunkelphase (vgl. Elektrosomg-Report 1(1), S. 5-6 (1995)). In einer Studie von Harland und Liburdy (1995) wurde die krebshemmende Wirkung von Melatonin an einer Brustkrebszelllinie durch ein Magnetfeld (1,2 µT, 60 Hz) aufgehoben (vgl. Elektrosmog-Report 1 (9), S. 5-6 (1995)). Neben langzeitigen Expositionen wurden auch Kurzzeitexpositionen erprobt. So berichteten Yellon et al. (1991) von einer Beeinträchtigung des normalen nächtlichen Melatoninanstiegs, wenn Hamster 2 Stunden vor Eintritt der Dunkelheit über 15 Minuten einem Magnetfeld (100 µT, 60 Hz) ausgesetzt waren. In verschiedenen Untersuchungen wurde eine Beeinflussung der Melatoninkonzentration durch ein elektromagnetisches Feld nur erzielt, wenn die Augen der Tiere intakt waren. Danach wäre der Photorezeptor mittelbar verantwortlich für EMF-Effekte auf die Zirbeldrüse. Die Empfindlichkeit des Organs ist offenbar tageszeitabhängig mit der größten Sensitivität in der frühen Dunkelperiode. In-vitro-Beobachtungen legen nahe, daß die Zirbeldrüse auch selbst magnetosensibel ist. Untersuchungen an Primaten bzw. Menschen sind spärlich und lassen bisher keine sicheren Schlüsse zu.

Die Epiphyse erlangt ihre Funktionsfähigkeit innerhalb der ersten Lebenswochen und -monate. Im 2. bis 3. Monat bildet sich die natürliche nächtliche Melatoninspitze aus. Neugeborene, die am plötzlichen Kindstod verstorben waren, wiesen im Durchschnitt etwa halb so niedrige Melatoninkonzentrationen auf wie gleichaltrige Kontrollen, die aufgrund anderer Ursachen verstorben waren. Eine Reifungsstörung von Epiphysenfunktion und Melatoninproduktion bzw. -sekretion wird daher von Weissbluth und Weissbluth (1994) als ein möglicher ursächlicher Faktor für den plötzlichen Kindstod angesehen.

Die nächtliche Melatoninkonzentration ist am höchsten im Kindesalter und am niedrigsten in fortgeschrittenem Lebensalter. Möglicherweise reagieren jüngere Menschen zudem sensibler auf von außen zugeführtes Melatonin. Eine Beeinflussung des Eintritts der Pubertät durch einen Melatoninkonzentrationsabfall wird angenommen. Übernormale nächtliche Melatoninkonzentrationen wurden bei Männern und Frauen mit primärer oder sekundärer Unfruchtbarkeit gefunden. Verschiedene Beobachtungen stützen die Annahme einer wechselseitigen Beeinflussung von Melatonin und Sexualhormonen. In Kombination mit Progestagen bzw. dem synthetischen Gestagen Norethisteron wurden empfängnisverhütende Effekte festgestellt.

Bei einer relativ abrupten Änderung der Tag-Nacht-Rhythmik etwa durch Reisen mit Zeitverschiebung und Nachtarbeit hängt die Sekretion mehr von der Uhrzeit als vom Hell-dunkel-Rhythmus ab. Hier zeigen sich therapeutische Möglichkeiten bei der Behandlung des jet-lag bzw. bei bestimmten Formen der Schlaflosigkeit durch Einnahme von Melatonin etwa 2 Stunden vor dem gewünschten Schlafeintritt. In einer Studie (Dollins et al. 1994) mit am Tag eingenommenem Melatonin (0,1 bis 10 mg) an gesunden Probanden führten bereits Dosierungen von 0,1 und 0,3 mg zu einer Zunahme des Serum-Melatonin-Spiegels auf übliche nächtliche Spitzenwerte und zu einer deutlichen Zunahme der Schläfrigkeit. Die Forscher stellten ein vergleichbares Wirkungsprofil für das hypnotische Potential von Melatonin wie für die als Tranquilizer und Beruhigungs- bzw. Schlafmittel eingesetzten Benzodiazepine fest. Neben der Zufuhr von außen besteht zudem die Möglichkeit, durch bewußt eingesetztes helles Licht den endogenen Melatoninrhythmus therapeutisch zu beeinflussen bzw. zu synchronisieren.

Die kurze Halbwertszeit von Melatonin von deutlich weniger als einer Stunde macht eine direkte hypnotische Wirkung von Melatonin unwahrscheinlich. Das Hormon löst wohl eher eine Kaskade physiologischer Ereignisse aus, die schließlich innerhalb von 2 bis 3 Stunden den Schlaf einleiten.

Die Eigenschaft von Melatonin, in alle Zellen eindringen zu können, ist essentiell für eine weitere Funktion von Melatonin, nämlich die Fähigkeit, freie Radikale zu fangen. 1-2% des eingeatmeten Sauerstoffs endet als hochgiftiges Hydroxylradikal (.OH), das wegen seiner Reaktivität allgemein als besonders zerstörerisch für große Moleküle wie Eiweiße, Fette und DNA (Erbsubstanz) angesehen wird. Experimentell ist Melatonin ein etwa doppelt so wirksamer Radikalfänger wie Vitamin E und etwa fünfmal so wirksam wie Gluthathion (ein weiterer endogener Radikalfänger). Dabei wirkt Melatonin offenbar nicht nur als direkter Radikalfänger, sondern stimuliert ein Enzym (Glutathionperoxidase), das die intrazelluläre Konzentration von H2O2 (Wasserstoffperoxid) vermindert, was zu einer verminderten Bildung von Hydroxylradikalen beiträgt.

In einem Tierversuch wurde Ratten das Karzinogen Safrol injiziert, das normalerweise über die Induzierung einer großen Menge freier Radikale die DNA zerstört. Bei simultaner Verabreichung von Melatonin wurde ein 99prozentiger Schutz vor Zerstörung der Erbsubstanz erzielt. Störungen, die zu einem verminderten nächtlichen Anstieg von Melatonin führen, können daher zu einer vermehrten oxidativen Schädigung der DNA führen. Diese Untersuchungen deuten nach Reiter et al. (1994) an, daß eine Reduktion des natürlichen Melatoninspiegels durch EMF eine vermehrte Krebsinitiation und nicht nur, wie allgemein angenommen, eine Tumorpromotion begünstigen könnte (vgl. Elektrosmog-Report 1 (8), S. 5-7 (1995).

Unspezifisch positive Wirkungen gegen die Krebsentstehung stellen auch die Stimulierung natürlicher Killerzellen durch Melatonin dar. Jüngst wurden Melatoninrezeptoren auf Lymphozyten, eine Form weißer Blutkörperchen, entdeckt, ein Hinweis auf einen weiteren möglichen Angriffspunkt des Hormons.

Melatonin besitzt offensichtlich auch spezifische Eigenschaften gegen hormonabhängige Tumoren. Bei Brustkrebs mit östrogen- bzw. progesteronpositiven Rezeptoren unterdrückte es die Transkription des entsprechenden Rezeptorgens und damit die Bildung der Rezeptoren. Eine kombinierte Anwendung mit dem Antiöstrogen Tamoxifen bei Brustkrebstumoren wird zur Zeit erprobt. Jüngst wurde in einer großen epidemiologischen Studie aus Schweden eine leichte Zunahme hormonabhängiger Tumoren unter verstärkter beruflicher EMF-Belastung beobachtet (vgl. Elektrosmog-Report 1 (9), S. 6, (1995)).

Bei Depressionen oder manisch-depressiven Störungen sowie bei chronischer Schizophrenie wurden von einigen Autoren verminderte Melatoninkonzentrationen bzw. ein Fehlen des tageszeitabhängigen Rhythmus festgestellt. Die komplexe multifaktorielle Natur psychischer Störungen läßt im Einzelfall allerdings keine einfache Interpretation der Beziehung zwischen Melatonin und Erkrankung zu.

Wie wirkt sich eine Melatoninzufuhr von außen aus? Ein wesentlicher Unterschied zur endogenen natürlichen Melatoninausschüttung besteht bei oraler Applikation im Konzentrationsverlauf. Aufgrund der kurzen Halbwertszeit kommt es einige Minuten nach der Aufnahme zu einer kurzen initialen Konzentrationsspitze, gefolgt von einem ebenso schnellen Abfall, so daß nach etwa 4 Stunden praktisch keine Konzentration mehr nachweisbar ist. Eine Zufuhr von Melatonin hat akut offenbar keine meßbaren negativen Auswirkungen. Mehrwöchige Verabreichung hoher oraler Dosen (100 mg und mehr) führte nicht zu einer Störung endokriner Funktionen. Untersuchungen über die Auswirkungen einer langzeitigen äußeren Zufuhr von Melatonin liegen bisher nicht vor und sollten nur in kontrollierten Studien erfolgen. Immunstimulierende Effekte können eventuell Personen mit Autoimmunerkrankungen (z. B. Rheuma) gefährden. Im arzneimitteltelegramm (12/1995) wird darauf hingewiesen, daß die Behandlung von Schlafstörungen und Depressionen mit der Melatoninvorstufe Tryptophan (Kalma®) wegen der vereinzelten Auslösung des Eosinophilie-Myalgie-Syndroms, einer schweren Autoimmunerkrankung, abgebrochen werden mußte. Melatonin ist recht instabil gegenüber Oxidation und Schäden sind vermutlich weniger vom Melatonin selbst als von mit Abbauprodukten verunreinigten Präparaten zu erwarten. Zum Teil werden Melatoninprodukte aus menschlichen Epiphysen hergestellt, was weitere Risiken hinsichtlich unerwünschter Beimengungen birgt.

Therapeutische Möglichkeiten für Melatonin könnten sich anbieten für die Behandlung von Störungen der Tag-Nacht-Rhythmik (z. B. Schichtarbeiter, Flugzeugbesatzungen, Blinde), bei alten Menschen mit gestörter Melatoninsekretion, zur Zusatzbehandlung bestimmter Krebsleiden, zur Stimulierung des Immunsystems und eventuell zur Vorbeugung verschiedener Erkrankungszustände und Alterungsprozesse. Dabei sind physiologische Serumkonzentrationen offenbar mit einem Bruchteil der Menge zu erzielen, wie sie bisher in Kapselform angeboten wird. Vorrang vor einer künstlichen Zufuhr von außen hat ein ungestörter natürlicher Melatoninkonzentrationsverlauf.

Franjo Grotenhermen, Redaktion Elektrosmog-Report

[Zitierweise dieses Artikels: Grotenhermen, F.: Melatonin. Elektrosmog-Report 2 (2), S. 5-6 (1996)]

Quellen bzw. Literatur (eine Auswahl):

  1. Dollins, A. B., et al.: Effect of inducing nocturnal serum melatonin concentrations in daytime on sleep, mood, body temperature, and performance. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 91, 1824-1828 (1994).
  2. Katalyse e. V. (Hrsg.): Elektrosmog - Gesundheitsrisiken, Grenzwerte, Verbraucherschutz. Verlag C. F. Müller, Heidelberg 1994, S. 47 ff.
  3. Melatonin - ein Neurohormon als Allheilmittel. a-t 12 (1995), S. 114.
  4. Weitere Vorbehalte gegen Neurohormon Melatonin. a-t 1 (1996), S. 15.
  5. Wunderdroge Melatonin. ARD, Globus, 12. 12. 1995.
  6. Reiter, R. J., Melchiorri, D., et al.: A review of the evidence supporting melatonin's role as an antioxidant. J. Pineal. Res. 18, 1-11 (1995).
  7. Reiter, R. J.: Melatonin suppression by static and extremely low frequency electromagnetic fields: relationship to the reported increased incidence of cancer.
  8. Webb, S. M., Puig-Domingo, M.: Role of melatonin in health and disease. Clin. Endocrinol. 42, 221-234 (1995).
  9. Weissbluth, L., Weissbluth, M.: Sudden infant death syndrome: a genetically determined impaired maturation of the photoneuroendocrine system. A unifying hpothesis. J. Theor. Biol. 167, 13-25 (1994).
 
 
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Mobiltelefone
Elektrosensibilität im
D-Netz-Bereich

Das Institut für Umweltkrankheiten in Bad Emstal hat in Zusammenarbeit mit dem Institut für Technische Akustik der TU Berlin und der Gesamthochschule Kassel eine Studie zum Thema Elektrosensibilität im D-Netz-Bereich durchgeführt. Das Ergebnis: 2 von 11 Probanden reagierten auf D-Netz-Frequenzen elektrosensibel und nahmen überzufällig häufig Intensitäten von 0,24 W/m2 wahr.

Elektrosensibilität, auch mit Elektrohypersensibilität bezeichnet, ist die Hypersensibilität gegenüber elektromagnetischen Feldern, ähnlich einer Allergie, die eine Hypersensibilität gegenüber einem bestimmten chemischen Stoff bedeutet. Die Betroffenen können elektromagnetische Felder wahrnehmen und empfinden dies als negativ, es kommt zum Krankheitsgefühl. Die Reaktion tritt in der Regel kurzfristig innerhalb von Minuten bis Stunden nach der Exposition durch schwache elektromagnetische Felder auf.

Die Folgen einer Exposition mit einem elektromagnetischen Feld reichen nach Angaben von Betroffenen von Elektrofühligkeit bis hin zu schweren Krankheitssymptomen. Sie ähneln denen, die man aus der Allergologie kennt (Unruhe, Schlaflosigkeit, Hitzegefühl, Kopf- und Leibschmerzen, Herzrasen, Atemnot, Depressionen, Hautausschläge u. a.).

Häufig wird in Verbindung mit der Elektrosensibilität von einer erhöhten Umweltvorbelastung durch Pestizide, Herbizide, Amalgam u. ä. sowie von einer großen Zahl von Allergikern unter den elektrosensiblen Personen gesprochen.

Die Meinungen zum Thema Elektrosensibilität gehen weit auseinander. Die einen befürchten eine "Volksseuche" aufgrund der zunehmenden elektromagnetischen Belastung, für die anderen gibt es das Phänomen Elektrosensibilität gar nicht.

Und in der Tat sind bis heute sind nur sehr wenige Doppelblindversuche unter genau bekannter Vorgehensweise veröffentlicht worden, die Elektrosensibilität nachweisen konnten. Es ist bis heute keine Methode bekannt, durch die Elektrosensibilität am Patienten mit Sicherheit nachzuweisen ist.

Die in dieser Arbeit beschriebene Untersuchung hat sich zur Aufgabe gemacht, die beiden aktuellen Themen Elektrosensibilität und D-Netz-Mobilfunk durch eine Doppelblindstudie zum Thema: "Gibt es Elektrosensibilität im D-Netz-Bereich" zusammen zu bringen. Ziel war, mit wissenschaftlichen Methoden einen statistisch abgesicherten Nachweis über Elektrosensibilität bei D-Netz Frequenzen zu erhalten.

D-Netz

Im D-Netz wird auf Frequenzen von 890 bis 915 MHz gesendet und auf 935 bis 960 MHz empfangen. Die Frequenzbereiche werden in 124 Kanäle mit einer Kanalbreite von 200 kHz aufgeteilt. Die D-Netze werden digital betrieben, d. h. neben der Trägerfrequenz von 890 bis 960 MHz werden die Signale pro Sekunde 217 mal ein und ausgeschaltet, sie werden mit 217 Hz gepulst. Das Verhältnis von Sendezeit zu Sendepause ist dabei 1:8 bzw. 1:16. Zusätzlich sendet das D-Netz ein ständiges Bereitschaftssignal von 2 Hz aus.

Jede Sendestation (Basisstation) hat 8 Kanäle à maximal 50 Watt, eine mit z. B. Rundfunksendern verglichen sehr geringe Sendeleistung. Trotz der geringen Leistung gibt es in Deutschland heute viele D-Netzgegner. Die Angaben über die Anzahl der Bürgerinitiativen gegen die Sendemaste des D-Netzes schwanken zwischen 20 und 200. Etwa 36 Verfahren laufen derzeit gegen die Funkanlagen. Bedenken gegen das Netz haben vor allem direkte Anwohner der Sendestationen, da diese häufig in Wohngebieten aufgestellt werden. Bei direkter Montage der Sender auf Wohnhäusern ist der Abstand zur Bevölkerung teilweise sehr gering. Weiterhin ist die Bevölkerung verunsichert, die zwischen zwei Funktürmen im Richtfunkstrahl wohnt. Von Bedeutung ist dabei auch die große Anzahl von Basisstationen, insgesamt einige 1.000 in Deutschland.

Methodik

In der Studie wurden 11 sich selbst als elektrosensibel einstufende Probanden, 7 Männer und 4 Frauen, nach einer 3-AFC-Methode im Doppelblindversuch auf Elektrosensibilität im D-Netz Frequenzbereich getestet. Auffällig war, daß bei 9 der 11 Versuchspersonen eine Allergie auf bestimmte Stoffe bekannt war.

Die Versuchsteilnehmer hielten sich ca. 8 Stunden im Institut auf und wurden gemeinsam mit je drei anderen Personen im Rotationsverfahren getestet. Bei jedem Probanden wurden 12 Versuche durchgeführt.

Bei jedem Versuch wurden 3 Reize mit einer Dauer von 2 Minuten in zufälliger Abfolge abwechselnd mit einer Pause von 10 Sekunden ausgesendet. In einem der drei Reize war ein gepulstes elektromagnetisches Feld mit D-Netz-Frequenz (900 MHz) mit einer bestimmten Intensität vorhanden. Die anderen beiden Reize entsprachen keinem EMF bzw. der sehr geringen Hintergrundbelastung, so daß sich für jeden Versuch eine Ratewahrscheinlichkeit von 33% ergab.

Das D-Netz wurde mit einem Signal-Generator der Firma Rhode und Schwarz (SME 03, 5 kHz bis 3 GHz) simuliert und über einen Verstärker (Rohde und Schwarz RF Power Amplifier HUU 10, 10 W, 200 bis 1000 MHz) auf eine Sendeantenne (logarithmisch-periodische Antenne der Firma Chase UPA 6108, 300 MHz bis 1 GHz) übertragen. Die Probanden saßen in einer Kammer mit geöffneter Tür in 1,9 m Abstand zur Sendeantenne. Die Antenne war in 1,2 m (Kopfhöhe) gegenüber der Versuchsperson angebracht und bestrahlte diese direkt.

Die Intensität betrug am Kopf des Probanden 0,24 W/m2 (0,024 mW/cm2), nachdem durch einen Vorversuch die Wahrnehmung bei 0,05 W/m2 ausgeschlossen worden war. Der DIN/VDE-Grenzwert liegt für 900 MHz bei 4,5 W/m2.

Die relativen Häufigkeiten der richtigen Antworten wurden in relative Häufigkeiten der Wahrnehmung umgerechnet und so die Ergebnisse von der Wahrscheinlichkeit des richtigen Ratens bereinigt.

Ergebnis

Durchschnittlich 40,9% der Antworten bei 0,24 W/m2 waren richtig. Die Verteilung der richtigen Antworten (Treffer) unter den Probanden lag zwischen 25 und 58%. Sie war nicht normalverteilt (siehe Tabelle), da bei der höchsten Trefferquote von 58% die Kurve noch einmal auf zwei Personen anstieg.
Anzahl der Probanden Relative Häufigkeit der Treffer 
2 Probanden 0,25 
3 Probanden 0,33 
3 Probanden 0,42 
1 Proband 0,50 
2 Probanden 0,58 
Zwei der elf Personen reagierten also überzufällig häufig. Die gemeinsam erreichte Häufigkeit der Wahrnehmung durch diese Teilnehmer betrug nach Berücksichtigung der Ratewahrscheinlichkeit bei 0,24 W/m2 37,5 %.

Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang, daß die beiden Personen bei alleiniger Betrachtung der ersten sechs Versuche eine Häufigkeit der Wahrnehmung von 63% erreichten. Die Ratewahrscheinlichkeit für dieses Ergebnis beträgt nur ca. 2%. Dies deutet auf eine kumulierende Wirkung der elektromagnetischen Felder im Körper hin, so daß nach zu großer EMF-Belastung die Differenzierung von schon vorhandener und zusätzlicher Belastung nahezu unmöglich wird.

Nach der Versuchsdurchführung berichteten 3 Personen unaufgefordert brieflich bzw. telefonisch über unspezifische gesundheitliche Nachwirkungen (Erschöpfung, Antriebslosigkeit etc.) über den Versuchstag hinaus, darunter die 2 Probanden mit der höchsten Trefferquote.

Fazit: Die Ergebnisse zeigen, daß es elektrosensible Personen im D-Netz-Frequenzbereich gibt, deren Reaktion auf einen elektromagnetischen Reiz unter den vorhandenen Bedingungen nachgewiesen werden konnte. Bei neun der elf Probanden konnte unter diesen Bedingungen eine Elektrosensibilität bei 900 MHz nicht bestätigt werden. Eine Elektrosensibilität bei anderen Frequenzen ist für dieses Teilkollektiv jedoch nicht auszuschliessen.

Dipl.-Ing. Holger Oetzel

Institut für Umweltkrankheiten

Im Kurpark 1, 34308 Bad Emstal
 


Die Studie ist beim Institut für Umweltkrankheiten in gebundener Form (70 Seiten) für DM 20,- erhältlich. 


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EMF im Internet

Wer sich aktuell über die Diskussion um Elektrosmog informieren will, der findet im Internet einige interessante Adressen:

Quelle: c't 2/96, S. 69.
Termine

Braunschweig 8. Februar 1996

Vortragsveranstaltung "Forschungsergebnisse einer Studie zu den Risiken kindlicher Leukämie in Zusammenhang mit niederfrequenten elektromagnetischen Feldern in Niedersachsen" 14 Uhr im Vorlesungssaal 23.1. Veranstalter: Prof. Brinkmann, TU Braunschweig.

Dipl.-Ing. Grigat (Meßmethodik), Prof. Michaelis (Epidemiologie) und Prof. Kärner (Technik) stellen erstmalig die Ergebnisse ihrer seit 1992 laufenden Studie der Öffentlichkeit vor.

Information und Anmeldung: TU Braunschweig, Tel: (0531)391-7738 und Fax: (0531)391-8200.

Bremen 5. März 1996

Seminar "Elektrosmog - Konkrete Bedrohung oder blanke Panikmache?" 9 bis 17 Uhr im Bremer Presse Club, Schnoor 27-28. Veranstalter: Umweltbildungszentrum (UBZ) Bremen.

Themen und Referenten: "Physikalisch-technische Grundlagen, Aktuelle Forschung und Stand der politischen Diskussion" (Michael Karus, nova-Institut Köln), "Gefahr für unsere Gesundheit?" (Prof. Eike Georg Hensch, Biophysikalisches Forschungsinstitut Nienburg) und "Rechts- und Gesundheitsschutz bei Elektrosmog?" (Wilhelm Krahn-Zembol, Rechtsanwalt).

Teilnahmegebühr: 350 DM (incl. Unterlagen und Mittagessen), Information und Anmeldung: UBZ, Tel: (0421)412032 und Fax: (0421)413492.

Essen 12. März 1996

Seminar "Gefahren durch elektrische und magnetische Felder", ganztägig im Haus der Technik e. V. Seminarleitung: Frau Dr. E. Stöcker-Meier, Umweltministerium NRW.

Das eintägige Seminar soll den neuesten Stand der Diskussionen und neue Untersuchungsergebnisse darlegen, Fachkenntnisse vermitteln und Überlegungen zur Umsetzung von Maßnahmen durch die Administration darstellen.

Information und Anmeldung: Haus der Technik e. V., Tel: (0201)1803-1 bzw. -344 und Fax: (0201)1803-346. 


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